Dreizehntes Capitel.

Ein freund in der Noth.

[712] Das war eine lustige Nacht in dem Dorfe, welches gleich oberhalb des Drachenfels am Ufer des Rheins liegt.

Zwei Violinen, eine schrille Klarinette, ein Waldhorn und eine mächtige Baßgeige sendeten ihre heiteren Klänge durch die geöffneten Fenster in's Freie hinaus, so laut und durchdringend, daß die Kinder auf der Straße nach dem Takt der Musik bequem tanzen konnten, und sogar auf der andern Seite des Stromes ein tanzlustiges Paar vermocht hätte, nach den über die glatten Fluthen hinrollenden Klängen sich recht müde zu walzen.

Ja, es war eine lustige Nacht. Vier Lampen mit blechernen Reflectoren, und dazu noch die Talglichter der Musikanten verbreiteten in dem niedrigen Saal eine ungewöhnliche Helligkeit, und wenn Tabaksdampf die Atmosphäre auch etwas verdichtete, und der unter schweren Schuhen aufwirbelnde Staub das[712] Seinige mit zu der Verdichtung beitrug, so glühten die Gesichter der Tanzenden deßhalb nicht weniger enthusiastisch, nicht weniger zündend waren die Blitze, die aus fröhlichen Augen von dem einen Ende des Saales nach dem andern hinüberzuckten und schossen und in andern, ebenso fröhlichen Augen stets den gesuchten und ersehnten Ableiter fanden.

»Heute ist Kirmeß!« klang es aus Geigen, Klarinette und Waldhorn so deutlich hervor, daß der Dorfschulmeister selber es nicht deutlicher und eindringlicher zu buchstabiren vermocht hatte. »Heute ist Kirmeß,« stand geschrieben auf den runzeligen Gesichtern der Bestevaders, die in frisch gewaschenen Zipfelmützen, funkelnagelneuen kattunenen Jacken, schwarzen Kniehosen, wollenen blauen Strümpfen und mächtigen Schnallenschuhen an den Wänden herum saßen und gravitätisch ihren Sonntags-Nachmittags-Maserkopf rauchten. »Heute ist Kirmeß,« lachte es nicht minder verständlich aus den Augen der Bestemoders, wenn Vater selbst oder ein Uehmchen,1 in Erinnerung der weit zurückliegenden eigenen glücklichen Jugend, sie mit dem Ellenbogen bezeichnend in die Seite stieß oder ihnen mit der schwieligen Hand das Kinn und die eingefallenen Wangen schäkernd streichelte. »Heute ist Kirmeß,« leuchtete es aus den runden Gesichtern der festlich geputzten Kinder, indem sie sich verstohlen in die Winkel hineindrängten, um dort, Angesichts der tanzenden Paare, mit Ruhe ihre riesenhaften, üppig mit Butter bestrichenen und mit Rosinen und Korinthen reich durchwachsenen Kirmeßweck-Brückstücken2 zu verzehren.

»Kirmeß ist heute,« jubelten laut die vierschrötigen Burschen, ihre Worte mit einem fürchterlichen Luftsprung begleitend und mit den Absätzen krachend den Takt auf den dröhnenden Bohlen schlagend. »Kirmeß ist heute,« antworteten dann wohl die Mädchen, wenn sie sich von den kräftigen Armen ihrer Tänzer fester umfangen fühlten und männliche Lippen ihre vollen, von Gesundheit strotzenden Wangen in dem Gewirre flüchtig und verstohlen streiften.

Sogar die grünen und lochen seidenen Bänder in den Knopflöchern der schwarzen Jacken der jungen Männer und die mit Knistergold und blitzenden Glaskorallen verschwenderisch verzierten Sträuße auf den wogenden Busen der erhitzten Dorfschönen schienen in den lustigen Ruf einzustimmen; und dieselben Worte schrieben die heute ausnahmsweise hoch geschraubten Lampendochte mit schwarzen Rußringen an die weiß-getünchte Decke, und klingelten heimlich die auf dem um den ganzen Saal herumlaufenden Gesims in Reihe und Glied aufgestellten angeschenkten Flaschen und leeren Gläser, sobald eine Pause eintrat und die Arme sich nach ihnen ausstreckten, um mit dem selbstgewonnenen rothen Wein den Staub aus den durstigen Kehlen zu spülen.

»Heute ist Kirmeß!« rief auch mir eine behagliche männliche Stimme in's Ohr, und zugleich traf mich ein heftiger, wohlgemeinter Schlag auf die Schulter, als ich, auf meinen Wanderstab gestützt, von der Straße aus einen Blick in den so geräuschvoll belebten Saal warf.[713]

»Ja, Kirmeß ist heute,« wiederholte dieselbe Stimme, und mich umschauend erblickte ich einen Mann, der, nach seinem Aeußern zu schlichen, nur der Gastwirth sein konnte.

»Ich sehe es,« antwortete ich ernst, »es ist auch nicht meine Absicht, irgendwie zu stören; ich wollte nur fragen, ob ich für Geld und gute Worte etwas zu essen und vielleicht ein Winkelchen, und wäre es auf dem Heuboden, für die Nacht erhalten kann?«

»Weder für Gelb, noch für gute Worte, Freund, heute ist Kirmeß, und wo Kirmeß ist, da kann ein lustiger Handwerksbursche auch noch satt werden, ohne daß er dafür zu bezahlen oder darum zu bitten braucht. Könnt Eure paar Pfennige ruhig behalten; kommt herein, und wenn Ihr Euch vernüchtert habt, sollt Ihr mittanzen, und den Musikanten möchte ich sehen, der einem armen Wanderburschen nicht für umsonst aufspielen wollte!«

»Aber lieber Mann, ich bin von der Reise erschöpft und dann betrachtet nur meinen Aufzug –«

»Ach was, Aufzug hin, Aufzug her! Ihr kommt aus Städten, wo man besser tanzt, als auf dem Lande, und tanzen müßt Ihr, und wenn die Stiefel Euch drücken, dann hopst Ihr auf den Strümpfen herum! Abgemacht! Vorwärts! Handwerker und Bauern brauchen sich Einer vor dem Andern nicht zu schämen und nicht viel Umstände mit einander zu machen!«

»Mit hineingehen will ich wohl, wenn Ihr mir ein unbeachtetes Winkelchen anweisen wollt, aber tanzen kann ich gewiß nicht, meine Füße sind wund und kaum vermag ich mich vor Erschöpfung aufrecht zu erhalten,« bat ich dringend.

Der Wirth schüttelte ungläubig den Kopf, in demselben Augenblick erreichte aber auch im Saal die Pause ihr Ende.


»Juuuch –hu –hu –hu!«


gellte ein landesüblicher Jauchzer, daß das ganze Haus bebte. Neue Jauchzer, einer immer lauter, als der andere, folgten nach und übertäubten die Musik, die bereits einen Walzer, angestimmt hatte; der Gastwirth aber ergriff mich am Arm und mich in das Haus hineinziehend, dessen Flur der Sammelplatz für die ganze Dorfjugend zu sein schien, siel er lustig in die Walzermelodie ein:


»Bald gras ich am Acker, bald gras ich am Rhein,

Bald hab' ich ein Schätzchen, bald bin ich allein!«


sang er, indem er sich ziemlich rücksichtslos mit den Ellenbogen nach rechts und links Platz verschaffte.


»Dort oben auf dem Berge, da steht 'ne Kapell',

Da tanzen die Kapuziner mit ihrer Mamsell!

Juuuch–hu–hu–hu!«


erschallte es als Antwort aus dem Saale zu uns herüber und wuchtiger stampften die schweren Stiefel auf den Fußboden.

Ohne eigentlich zu wissen, wie mir geschah, und die rauhen aber wohlgemeinten Willkommrufe und Püffe, die von allen Seiten auf mich einregneten, mit einem erzwungenen Lächeln erwidernd, gelangte ich endlich in ein Nebengemach, in welchem sich die stillen Zecher und Kartenspieler häuslich niedergelassen hatten.

Meine Umgebung nicht weiter beachtend, begab ich mich nach dem mir angewiesenen langen Tische hin, und nachdem ich meinen Ranzen abgelegt, setzte[714] ich mich so nieder, daß ich eine an demselben Tische spielende Gesellschaft nicht störte.

Die Gesellschaft der Kartenspieler war mir in so weit willkommen, als ich daraus rechnete, von ihnen nicht in's Gespräch gezogen zu werden; der Wirth aber hatte alle Hände voll zu thun und war selbst ein Freund vom Tanzen, weßhalb ich hoffen durfte, fernerhin unbeachtet zu bleiben.

Eine Flasche Wein und ein tüchtiger Imbiß waren unterdeß vor mich hingestellt worden, und da ich seit dem frühen Morgen keine Gelegenheit gefunden hatte, mich durch warme Speisen zu kräftigen, so zögerte ich nicht, der an mich ergangenen wenig förmlichen jedoch wohlgemeinten Einladung Folge zu leisten.

Allmälig verfiel ich indessen wieder in so hohem Grade in mein gewohntes trübes Brüten, daß die Musik und der wilde Jubel für mich ungehört verhallten und ich noch weniger die forschenden Blicke bemerkte, mit welchen ich von einem andern, seitwärts von mir stehenden Tische aus beobachtet wurde. Ich dachte eben an den folgenden Tag, an welchem ich in der Nähe der nur noch eine gute Meile weit entfernten Oberförstern eintreffen sollte, und überlegte zugleich, auf welche Weise es mir wohl gelingen werde, Johanna von meiner Anwesenheit heimlich zu benachrichtigen und sie unentdeckt zu sehen.

»Johanna, loch' Kaffee,« ertönte es plötzlich heiser krächzend von dem andern Tisch zu mir herüber.

Ein unbeschreiblicher Schrecken bemächtigte sich meiner, ich fühlte, daß ich erbleichte, und um das Zittern meiner Hände weniger bemerklich zu machen, ließ ich Messer und Gabel vor mich auf den Teller sinken.

Ich glaubte Anton's Raben gehört zu haben, und um mich von der Wahrheit meiner Muthmaßung zu überzeugen, wendete ich meine Augen langsam nach der Richtung hinüber, aus welcher ich die Stimme vernommen.

Von Anton oder seinem Raben sah ich nichts, dagegen gewahrte ich, daß drei Männer, die vielgebrauchten Karten in der Hand, aus vollem Herzen über ihren vierten Mitspieler lachten, der den Raben des weit und breit bekannten Anton so täuschend nachgeahmt hatte. Der vierte nun stimmte mit in das Lachen ein, doch glaubte ich auf seinem halb abgewandten Gesicht den Ausdruck eines höhnischen Triumphes zu entdecken, den er darüber empfand, durch ein so schlau gewähltes Mittel sich über meine Person Gewißheit verschafft zu haben.

Daß ich mich nicht täuschte, begriff ich, sobald ich Anton's vagabundirenden Bruder erkannte, und das Herz sank mir in der Brust, indem ich mir vergegenwärtigte, was ich von einem derartigen Charakter, im Falle mein Verdacht sich bestätigte, zu fürchten haben würde.

Während ich noch auf den abstoßenden Menschen hinstarrte, als ob ich in seinem Innern hätte lesen mögen, wendete er sich wieder nach mir um, wodurch meine Verwirrung natürlich noch gesteigert wurde. Seine Blicke blieben diesmal aber nicht auf mir haften, sondern glitten, wie über einen ihm vollständig fremden und gleichgültigen Gegenstand über mich hin, worauf er, in die geräuschvollen Scherze seiner Kameraden[715] einstimmend, die Karten wieder zur Hand nahm.

Hatte er mich wirtlich nicht erkannt? War sein Ruf nur zufällig gewesen oder suchte er mich nach dem ersten Schrecken wieder zu beruhigen und meinen Argwohn einzuschläfern? Das waren Fragen, die ich mir damals nicht gleich zu beantworten vermochte. Der Schrecken hatte aber so lähmend auf mich eine gewirkt, daß ich die Speisen unberührt stehen lassen mußte; und indessen um vor dem Gastwirth nicht durch meine ungerechtfertigte Mäßigkeit aufzufallen, sprach ich von Zeit zu Zeit der Flasche zu, wobei ich das Benehmen von Anton's Bruder scharf bewachte.

Doch weder durch Blicke noch durch Mienen verrieth derselbe, was in seinem Innern vorging; trotzdem fühlte ich mich so beängstigt in der Nähe des unheimlichen, verrufenen Menschen, daß ich mich weit, weit fort wünschte und mir die bittersten Vorwürfe darüber machte, nicht in irgend einem Stall oder Schuppen, oder gar unter dem freien Himmel übernachtet zu haben.

Wie nun der wilde Andres mich durch seine verstellte Stimme mit unüberwindlicher Besorgniß erfüllt hatte, so war auf der andern Seite wieder meine Erinnerung an den armen Krüppel und seinen Raben auf's Lebhafteste wachgerufen worden. Unwillkürlich gedachte ich Anton's tiefer Dankbarkeit und seiner genauen Ortskenntniß in der Umgebung der Oberförsterei, und wie ein Blitz leuchtete es in meinem Geiste auf, daß er der Einzige, dem ich mich anvertrauen könne, der Einzige, der im Stande' sei, mir in meiner bedrängten Lage beizustehen.

Doch wie sollte ich fortgelangen, ohne erst recht die Aufmerksamkeit der Leute, wenigstens des Gastwirths und des wilden Andres, auf mich zu ziehen? Wäre es doch etwas zu Ungewöhnliches gewesen, wenn ein fahrender Handwerksbursche verschmäht hätte, sich an den Lustbarkeiten einer Kirmeß und dazu noch kostenfrei zu betheiligen.

Indem ich noch hin und her überlegte, trat der Wirth strahlenden Antlitzes, die beiden Hände tief in die Seitentaschen seiner Jacke gesenkt, die Zipfelmütze verwegen auf ein Ohr gedrückt, zu uns in das Gemach, sich dann aber kurz umkehrend und so stehen bleibend, weidete er sich offenbar mit ganzer Seele an dem heitern Bilde, welches ihm der fast bis zum Erbrücken angefüllte Saat bot.

Mein Entschluß war schnell gefaßt; bescheiden und aus beiden Füßen hinkend trat ich an seine Seite.

»Herr Wirth,« redete ich ihn an, meinen weißen Filzhut zum Zeichen meiner Ehrerbietung etwas lüftend, »ich bin recht unglücklich daran, ich möchte mich wohl mit Eurer Erlaubniß unter die Tänzer mischen« –

»Immer zu, immer zu,« unterbrach mich der Wirth, mich so derb auf die Schulter schlagend, daß ich meinte zusammensinken zu müssen.

»Aber lieber Herr Wirth, ich bin ja unfähig dazu, mein Körper ist wie zerschlagen, meine Füße sind wund, und da wollte ich Euch bitten, mir eine Stelle anzuweisen, wo ich nur eine Stunde ruhen und mich umkleiden kann, damit ich Eurem Hause zur Ehre wenigstens mit Anstand auf dem Tanzplatz erscheine.«[716]

Etwa eine Minute lang betrachtete der Wirth mich mit schalkhaftem Ausdruck von oben bis unten. Eine lustige Antwort schwebte ihm auf den Lippen; mein klägliches und zugleich ehrerbietiges Wesen mußte dagegen seine Theilnahme erwecken, denn er nickte mir gutmüthig zu, und nachdem er mich aufgefordert, mein Ranzel zu holen, bugsirte er mich nicht ohne Mühe durch den Saal nach der Flur hinaus.

Zagend schlich ich meinem Gastfreunde nach, doch führte ich meine Bewegungen mit äußerlicher Ruhe aus, und um keinen Preis hätte ich rückwärts schauen mögen. Ich fühlte, daß die Blicke des wilden Andres spähend auf mir hafteten, und wären meine Blicke den seinigen begegnet, würde ich mich unwillkürlich jedenfalls noch mehr verrathen haben.

Wunderbar erschien es mir freilich, daß er, wenn er über meine Person im Klaren war, mich überhaupt aus den Augen ließ, da es doch in seiner Macht lag,[771] kraft der hinter mir hergeschickten Steckbriefe, meine Verhaftung durch die Dorfbehörde zu bewirken. Wahrscheinlich aber befürchtete er, die jungen Burschen würden, um in ihrem Vergnügen nicht durch unangenehme Auftritte gestört zu werden, auf meine Seite treten.

Auf der Hausflur angekommen, wo nur Kinder uns umgaben, wendete ich mich noch einmal in dringendster Weise an den Wirth. Ich bat ihn, mich, der ich selbst ein Bauersohn sei, nicht für stolz zu halten, wenn ich nicht mehr in die Mitte der frohen, Menschen zurückkehre; ich setzte ihm auseinander, daß mir vor einigen Tagen erst die Nachricht von dem Tode meiner Mutter zugegangen und der Schmerz über deren Verlust noch zu frisch sei, um einen solchen Gesellschafter abzugeben, wie er es wünsche. Ich zeigte ihm daraus mein Wanderbuch, welches er in aller Ordnung fand, und nachdem ich ihm auf's Herzlichste[772] für sein? Gastfreundschaft gedankt, bat ich um Erlaubniß, da es mir im Hause zu geräuschvoll sei, im Stall oder in der Scheune die Nacht zubringen zu dürfen.

O wie ich mich vor mir selbst schämte, zu groben Unwahrheiten meine Zuflucht nehmen und den so freundlich gesinnten Mann täuschen zu müssen! Allein was sollte ich beginnen? Vor mir lag die Freiheit, winkte mir Johanna's trauerndes Bild, und hinter mir drohte wie ein furchtbar gähnender Abgrund, lebenslängliche Kerkerhaft! –

Der Wirth, von Natur ein gutmüthiger Mensch, durch den Genuß des Weines vielleicht noch gutmüthiger gemacht, würdigte meine Einwände nach Gebühr, da aber das durchdringende Jauchzen ihn wilder nach dem Tanzplatz rief, so nahm er sich nicht die Zeit, mich zu begleiten. Er gab mir daher nur flüchtig die Richtung an, in welcher ich die Thür des im tiefsten Schatten liegenden Heustalles finden würde, worauf er in's Haus zurückeilte, mir es anheim stellend, nach besten Kräften mir meinen Weg selbst zu suchen.

An den Stall gelangte ich schnell genug heran, auch die bezeichnete Thür entdeckte ich nach einigem Umherlasten, und vertraut mit den ländlichen Einrichtungen, kostete es mich keine Mühe, den hölzernen Keil aus der eisernen Ueberfallkrampe herauszuziehen, in Folge dessen die Thür knarrend aus ihren Fugen wich.

Im Begriff einzutreten, blickte ich noch einmal mechanisch nach der mir nur von der Seite sichtbaren erleuchteten Hausthür zurück, als der Schalten eines Mannes in derselben mich veranlaßte, genauer hinzuschauen.

Eine böse Ahnung durchzuckte mich und ein eiskalter Schauer machte mir das Blut in den Adern gerinnen, als ich des wilden Andres' Gestalt erkannte, wie derselbe vornüber geneigt dastand und offenbar zu mir herüber lauschte.

»Ich bin verloren,« dachte ich bebenden Herzens; schnell aber, als habe die Todesangst meine geistigen Kräfte verschärft, faßte ich mich wieder, und die Thür mehrere Male heftig zuschlagend, erzeugte ich ein Gelausch, als wenn ich dieselbe vom Innern des Stalles aus zu befestigen versucht hätte. Leise und den wilden Andres beständig im Auge behaltend, schlich ich sodann bis an die äußerste Ecke des kleinen Gebautes, wo ich mich, da eine offene Flucht der umherstöbernden Hirtenhunde wegen mir in diesem Augenblick zu gefährlich erschien, dicht an der Mauer niederkauerte. Andres, unstreitig überzeugt, daß ich mich im Stall befinde, glaubte nicht mehr nöthig zu haben, seinen Bewegungen noch länger Zwang aufzuerlegen, und um besser lauschen zu können, trat er einige Schritte von der Thüre fort, und gerade in den aus dem nächsten Fenster fallenden Lichtschimmer hinein. Ich unterschied daher die Umrisse seiner Gestalt ganz genau, und hätte ich mich nach seinem ersten Erscheinen wirklich über seine Absichten getäuscht und einer übergroßen Besorgniß Raum gegeben, so wären jetzt keine Zweifel mehr möglich gewesen.

Immer nach dem Stalle hinüberspähend, blieb der Verräther mehrere Minuten auf derselben Stelle stehen, und als er dann endlich vermuthen durfte,[773] daß ich mich in das Heu verkrochen habe, schlich er leise nach der angelehnten Thür hin.

Anfänglich glaubte ich, er beabsichtige, mich ohne Zeugen zu sprechen, um mit mir zu unterhandeln, und mit Freuden hätte ich einen beträchtlichen Theil meiner Habe, ja das Ganze hingegeben, um mir dadurch auf kurze Zeit sein unverbrüchliches Schweigen zu erlaufen, doch wurde ich bereits in der nächsten Minute eines Andern belehrt. Ich errieth nämlich aus dem Geräusch, welches er erzeugte, daß er mit den Händen über die Thür hintastete, wie um den Verschluß derselben kennen zu lernen. Dem Tasten folgte denn auch sehr bald das bekannte Klingen der eisernen Krampe und das leise Knirschen, mit welchem er den an einem Riemen niederhängenden Keil durch den mit der Krampe vereinigten Ring zwängte und dadurch beide Theile fest miteinander verband. Er hatte mich also, um sich meiner Person zu versichern, nur einsperren wollen, der sicherste Beweis, daß er durch seinen hinterlistigen Verrath erhebliche Vortheile zu erringen hoffte.

Mit einem Gefühl der grenzenlosesten Verlassenheit sah ich ihn dann wieder nach dem Hause zurückschleichen. Nie in meinem Leben hatte ich Andres auch nur mit einer Miene beleidigt, und dennoch mußte ich es erleben, daß er alles in seinen Kräften Stehende aufbot, mich meinen Verfolgern zu überantworten und mir dadurch einen schrecklichen Untergang zu bereiten. »Wer hätte geahnt, daß in diesem Menschen, neben seiner thierischen Roheit, zugleich so viel überlegende Bosheit wohne?« dachte ich, als ich ihn mit selbstbewußter Haltung in der Hausthür verschwinden sah; »wer hätte ihm zugetraut, daß er sich eine so genaue Kenntniß meiner Lage verschaffen würbe, er, der vielleicht kaum Lesen und Schreiben gelernt hat? Woher weiß er, daß ich entfloh und, geächtet und steckbrieflich verfolgt, keinen Flecken kenne, auf welchen ich mein Haupt ohne Besorgniß niederlegen dürfte?« Ich seufzte tief auf, meine Augen brannten, als ob sich Thränen in dieselben hätten drängen wollen, und vergeblich blickte ich zum schwarz bewölkten Himmel empor, um einen freundlichen Stern zu entdecken, der wie ein Schimmer von Hoffnung auf mich niedergefunkelt hätte!

»Juuuch – hu – hu – hu!« schallte es gellend vom Tanzplatz zu mir herüber; lauter stampften die derben Füße im raschen Walzer auf den dröhnenden Fußboden, durchdringender kreischte die Klarinette und mit boshaftem Ausdruck schrammte der Bogen auf den straffen Saiten der Baßgeige herum:


»Hab' Erbsen gegessen, hab' Linsen gesäet,

Hab' manchem schönen Mädchen das Köpfchen verdreht!«


»Juuuch – hu – hu – hu!« Hei, wie das so lustig in die schwarze Herbstnacht hinausschallte! Es schallte so laut und so lustig, daß ich bei jedem neuen Ausbruch wilden Entzückens einen Stich in's Herz zu empfangen meinte.

Zuletzt hielt ich es nicht mehr aus, auch entrann ja die kostbare Zeit, die mir zur Flucht blieb.

Leise schnallte ich den Ranzen auf meinen Rücken, leise und von Niemand bemerkt schlich ich vom Hofe hinunter, und gleich in die Landstraße einbiegend, verfolgte ich meinen Weg um die schwarzen Massen des steil emporstrebenden Drachenfels herum. –[774]

Nach Verlauf einer halben Stunde, als ich Königswinter erst hinter mir hatte, befand ich mich wieder in einer Umgebung, mit welcher ich schon seit vielen Jahren auf's innigste vertraut gewesen; auf einem Boden, über den ich einst, fast noch ein Kind, mit wilder Ausgelassenheit hinlobte, und an welchen sich die süßesten Erinnerungen meines Lebens knüpften. Die Erfahrungen, welche der sorglose Knabe und später der glückliche, lebensmuthige Jüngling sammelte, sie kamen jetzt dem geachteten Flüchtling zu statten. Ich war nicht mehr an die Landstraße gebunden, und obwohl die Einsamkeit und die Dunkelheit der Nackt mich davor schützten, von Jemandem wieder erkannt zu werden, wählte ich doch, wo es nur immer anging, die gewundenen Waldpfade, auf welchen ich mich meinem Ziele nur langsam näherte.

Ich rastete oft, jedoch weniger aus Müdigkeit, – denn die hatte mich seit meinem Zusammentreffen mit Andres bis auf die letzte Spur verlassen, – als um die Zeit hinzubringen.

Trotz der mannigfachen Zögerungen zeigte sich im Osten erst ein schwacher Schimmer des heraufdämmernden Tages, als ich einige Hundert Schritte von Anton's Heimath meinen Ranzen in einem Dickicht ablegte und demnächst nach der Hütte hinschlich, um mich zu überzeugen, ob der arme Bursche sich nicht außerhalb auf einem seiner planlosen Streifzüge befinde.

Zweimal wanderte ich um das Haus herum; kein anderes Lebenszeichen vernahm ich, als das behagliche Meckern der beiden Ziegen in dem kleinen Stall, »Was bliebe mir zu thun übrig, wenn ich ihn verfehlte?« fragte ich mich zagenden Herzens, als ich zum zweiten Male vor die Hausthür hintrat, um mein Ohr an dieselbe zu legen.

»Spitzbube – Jakob – Johanna – Johanna koch' Kasse!« rief eine krächzende Stimme von dem über der Thür angebrachten Brett zu mir nieder.

Ich erschrak, doch war mein Schrecken anderer Art, wie am vorhergehenden Abend, als Andres diesen Ruf dazu benutzte, mich zum Verrath an mir selber zu zwingen.

»Spitzbube – Spitzbube – Spitzbube – Jakob!« wiederholte der Rabe zorniger und lauter, als er bemerkte, daß ich, eine Entdeckung befürchtend, mich behutsam zurückzog.

»Johanna koch' Kaffe! – Frau koch' Kaffe!« krächzte das wachsame Thier grimmiger.

»Anton! Anton!« kreischte gleich darauf die Stimme eines Weibes im Innern der Hütte, »Anton, will das faule Geschöpf bis Mittag schlafen? Anton. Du Strafe Gottes, steh' auf, oder ich helfe Dir mit dem Besenstiel auf die Beinstumpfen! Hörst Du denn nicht? Jakob ruft; die Ziegen müssen aus dem Stalle gebrochen sein!«

»Er ist zu Hause,« seufzte ich mit erleichtertem Herzen auf, indem ich bis hinter den Ziegenstall zurückschlich.

»Anton! Hund! Kommt der Wechselbalg denn noch nicht herunter?!« keifte das Weib, als immer noch keine Antwort erfolgte.

»Schon lange unten,« antwortete Anton endlich, und zugleich vernahm ich, daß er an der zugeleiteten Thür klapperte, »schon lange unten, hahaha! Ich ein[775] Wechselbalg! Wechselbalg gut genug zum Arbeiten, wenn andere Menschen schlafen; arbeite gern für meine Mutter, aber nicht für den schlechten Andres!«

»Schweige, bis ich Dich frage, und füttere die Ziegen,« schrie die unnatürliche Mutter hinter ihrem verkrüppelten Kinde her.

»Spitzbube – Spitzbube – Frau – Anton – Kaffe!« rief der Rabe zornig dazwischen, die Thür öffnete sich ganz, und auf seinen Stab gestützt hinkte der arme Anton in's Freie.

Es war bereits so hell geworden, daß man die in der nähern Umgebung befindlichen Gegenstände einigermaßen zu unterscheiden vermochte. Ich gewahrte daher, indem ich um die Stallecke herumlugte, daß der Rabe, sobald Anton aus der Thür getreten war, von seinem Brett herunterflog und, sich vor seinem Herrn niederlassend, sogleich sehr gravitätisch auf die Stallecke zuschritt, hinter welcher ich mich verborgen hatte.

»Spitzbube – Spitzbube – Frau – Jakob – koch' Kaffe,« sprach er sehr ernst vor sich hin, indem er bald nach rechts, bald nach links zurückschallte, ob ihm sein Herr auch nachfolge.

»Ja, ich komme,« versetzte dieser fast ebenso heiser, »Jakob hat geträumt und den armen Wechselbalg eine Stunde zu früh geweckt.«

»Kikeriki!« krähte der Rabe, seinen Hals ausreckend und behutsam um die Ecke herumschielend. »Spitzbube,« fügte er bann in seinem tiefsten Baß hinzu, als er mich nicht sah, denn ich hatte mich, die Nähe des alten Weibes und Anton's geräuschvolle Überraschung fürchtend, wohl um zwanzig Schritte weiter von dem Stall entfernt und hinter einen Johannisbeerbusch niedergekauert.

»Jakob hat geträumt,« wiederholte Anton verdrießlich und wackle Miene, in's Haus zurückzukehren, doch fesselte des Naben Benehmen in demselben Augenblick seine Aufmerksamkeit wieder.

Derselbe begann nämlich von neuem in seiner komischen Weise zu schelten, und womöglich noch behutsamer, als er bisher gethan, bewegte er sich im Zickzack auf den mich verbergenden Strauch zu.

Da ich, um Anton nicht zu erschrecken und zu einem Ausruf zu veranlassen, mich nicht plötzlich zeigen wollte, so wartete ich bis er etwa auf zehn Schritte herangekommen war, worauf ich ihn freundlich anredete. »Anton,« sagte ich leise bittend, »komm und hilf Deinem Freunde, aber wenn Dir mein Leben lieb ist, dann sprich leise.«

Beim eisten Ton meiner Stimme, stand der arme Bursche wie vom Blitz getroffen da, während der Rabe mit Wichtiger Miene vor ihm auf- und abging und alle Schmähworte, die nur je in seinem Gedächtniß haften geblieben waren, vorwärts und rückwärts aufsagte. Endlich aber schien es in seinem Geiste aufzudämmern, und nachdem er einen mißtrauischen Blick auf die Hütte zurückgeworfen, hinkte er mit unbegreiflicher Schnelligkeit zu mir heran.

»Mein lieber junger Herr,« sagte er flüsternd und zwei mächtige Thränen entquollen seinen trüben Augen, »mein lieber junger Herr, der den Jakob gerettet und mit mir an einem Tisch gesessen hat! Sie suchen meinen lieben jungen Herrn Studenten, und wenn sie ihn finden, machen sie ihn todt.«[776]

»Beruhige Dich Anton,« sagte ich aufstehend und ihm die Hand herzlich drückend, »tobt machen sie mich gerade nicht, aber was noch schlimmer ist, sie sperren mich auf Lebenszeit ein. Doch sage Anton, Du bist jetzt mein einziger Freund, willst Du mich retten?«

»Seinen einzigen Freund nennt mich der liebe junge Herr, und er fragt mich, ob der lahme Anton ihn retten will?« antwortete der treue Mensch schluchzend.

»Gut, gut Anton, ich verstehe Dich, begleite mich eine kurze Strecke von der Hütte fort; Deine Mutter könnte mich sehen, und dann wäre ich verloren« – »Ja ja lieber junger Herr,« unterbrach mich Anton, auf das nächste Dickicht zueilend, es dem Raben anheimstellend zurückzubleiben oder uns zu folgen.

Dieser flog uns voraus, kaum aber hatte er sich in dem Gehölz niedergelassen, so begann er wieder zu schimpfen und zwischendurch wie ein ergrimmter Hund zu knurren.

»Da ist Jemand, vielleicht mein Bruder,« sagte Anton bestürzt, indem er sich, wie um sich vor dem Umsinken zu bewahren, auf seinen Stab stützte, »lieber junger Herr laufen Sie« –

»Es ist nichts,« tröstete ich den entsetzten Burschen, ihm meine Hand ermuthigend auf die Schulter legend, denn ich errieth, was dem Raben neue Ursache zum Zorn gegeben; »komme nur dorthin, ich habe daselbst mein Ränzel abgelegt« –

»Ränzel?« fragte Anton befremdet, worauf er sich schnell wieder in Bewegung setzte.

»Ja, Anton, mein Ränzel, ich reise nämlich, um nicht gefangen zu werden, als Handwerksbursche; aber laß jetzt das Fragen, ich werde schon Gelegenheit finden, Dir Alles mitzutheilen. Wir haben keine Zeit, zu verlieren, Du siehst, es wird Tag, und in jedem Augenblick kann Dein Bruder heimkehren.«

»Mein Bruder ist weit fort gegangen.«

»In dieser Nacht habe ich ihn auf der Kirmeß gesehen und er hat mich erkannt.«

»O, der schlechte, schlechte Andres –«

»Beruhige Dich, Anton, geschehene Dinge lassen sich nicht ändern, wir müssen auf Mittel sinnen, durch welche ich aus dieser verzweifelten Lage komme; beantworte mir daher vorläufig nur einige Fragen.«

»Lieber junger Herr, ich weiß ja Alles; ich habe Alles gehört und gesehen; Niemand kehrt sich an den armen Krüppel, weil er nichts versteht. Aber ich habe sie verstanden, die Menschen mit den schwarzen Röcken, was sie zu dem Andres sagten, und was sie zu dem lieben Fräulein sagten.«

»Johanna,« krächzte der Rabe dicht vor uns, indem er mit feinem mächtigen Schnabel wüthend auf meinen Ranzen einhieb.

»Du wirst mir Alles erzählen, Anton,« versetzte ich, und eiskalt überlief es mich bei den Unglück verheißenden Worten des Krüppels, »vor allen Dingen sage mir, kennt außer Dir noch Jemand Dein Schloß?«

»Jakob – Jakob – Jakob!« schrie der Rabe, auf das Ränzel hinaufspringend und mit selbstbewußter Haltung seinen Kopf zurücklehnend und die Federn sträubend.

»New, lieber junger Herr Student, Jakob lügt,«[777] sagte Anton mit Heftigkeit, als ob er den Raben wirklich als drittes Mitglied bei unserer Berathung betrachtet habe, »Jakob kennt mein Schloß nicht, er ist noch nie in demselben gewesen; er kann nicht schweigen und hätte es schon längst andern Menschen verrathen. Aber auch andere Menschen kennen es nicht. Nur ich und der junge Herr wissen es aufzufinden.«

»Das ist ein glücklicher Umstand –«

»Ja, ja,« rief Anton hier plötzlich aus, und sein breites, von der Natur so grausam entstelltes Antlitz leuchtete vor Entzücken, »ja, das ist der Ort, den lieben jungen Herrn zu verbergen, den lieben jungen Herrn, der mit mir an demselben Tisch gesessen und den armen Jakob gerettet hat! Kommen Sie, kommen Sie, ich werde den jungen Herrn hinführen!«

»Halt Anton, halt; den Weg weiß ich allein zu finden und werde ich auch sogleich dahin aufbrechen; aber merke Dir, wenn Du mir Deine Hülfe zuwenden willst, ohne mich meinen Feinden zu verrathen, so mußt Du viel, viel vorsichtiger sein, mußt meinen Anweisungen auf's Genaueste Folge leisten.«

»Lieber – junger – Herr –« stotterte Anton verstört, denn er befürchtete, bereits ein Verbrechen gegen mich begangen zu haben.

»Spitzbube – Spitzbube – koch Kaffee,« fügte der Rabe hinzu, sich geräuschvoll schüttelnd.

»Erschrecke nur nicht gleich, Anton,« sagte ich ermuthigend, »ich wollte damit nur andeuten, wie nothwendig es ist, daß Du auf Deiner Hut bist. Geh jetzt nach Hause, damit Deine Mutter sich nicht über Deine lange Abwesenheit wundert, und wenn Du glaubst, ohne Verdacht zu erregen, Dich von Hause entfernen zu dürfen, dann eile zu mir. Aber Anton, noch eins; ich fühle zwar augenblicklich keinen Hunger, allein er wird sich allmälig einstellen. Hier hast Du etwas Geld, geh vorher hin und kaufe Lebensmittel, aber merke Dir, nicht auf ein und derselben Stelle; Deine großen Einkäufe möchten befremden; hier für einen Groschen, dort für ein paar Pfennige, je nach dem es Dir angemessen erscheint, und nun Anton, lebe wohl, auf Wiedersehens beeile Dich nach Hause zu kommen, ich höre Deine Mutter nach Dir rufen.«

»Ich habe sie bereits lange gehört,« bemerkte Anton sinnend und noch immer auf's Ernsteste damit beschäftigt, meine Rathschläge seinem Gedächtniß fest einzuprägen; »ich fürchte mich nicht; sie ist gewohnt, vergeblich nach dem Wechselbalg zu rufen. Mag sie mich stoßen, mag Andres mich schlagen und meinem Jakob den Hals umdrehen, so sage ich dennoch nicht, wo mein lieber junger Herr Student sich verborgen hält.«

Mit diesen Worten kehrte er sich kurz um und eilfertig hinkte er der heimathlichen Hütte zu.

Der Rabe dagegen ließ sich mehr Zeit. Zuerst sprach er durch heiseres Hundegeknurre seinen Verdruß darüber aus, daß ich ein so häßliches Ding, wie das Ränzel, auf meinen Rücken schwinge, und nachdem er mich mit einigen, gerade nicht sehr schmeichelhaften Ehrentiteln belegt, ferner, zum Zeichen, daß er trotzdem wohlwollende Gefühle für mich hege, noch einmal recht herzlich und unverkennbar in[778] Anton's Weise gelacht hatte, schritt er mit sehr reservirter Haltung und hin und wieder ein in seinem Wege liegendes Reis verächtlich zur Seite schleudernd, seinem Herrn nach.

»Was wird er mir mitzutheilen haben?« dachte ich, indem ich Anton so lange nachblickte, wie er mir sichtbar war, »was wird er mir zu sagen haben? Er sprach von Menschen in schwarzen Röcken. Auch Fräulein Brüsselbach warnte mich vor den Schwarzen. Unseliges Verhängniß, welches mich verfolgt; warum konnte die Irrsinnige sich nicht deutlicher aussprechen und ihre unbestimmte Warnung zugleich mit einer Erklärung begleiten? Ach, und wohin ist es mit mir gekommen und welchen Wechsel des Schicksals habe ich in dem kurzen Zeitraum von achtzehn Monaten erfahren!« murmelte ich vor mich hin, meinen rastlos umherirrenden Gedanken Worte verleihend, indem ich durch den noch in Dämmerung gehüllten Wald sinnend und grübelnd meinem Versteck zuwanderte.

Fußnoten

1 Oheim, welche Bezeichnung, alten Männern beigelegt, keineswegs immer eine Verwandtschaft voraussetzt.


2 Butterbrod.


Quelle:
Balduin Möllhausen: Die Mandanenwaise. In: Deutsche Roman-Zeitung, 2. Jg., Band 2, Berlin 1865, S. 779.
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