|
[177] Mich senget dürrer Durst! Füll', Knabe,
Den goldnen Becher hier.
Ha! Lieblich teilst du, Evan, deine Gabe;
Wie bist du Freudenvater mir!
Füll' wieder! Wonnequell! Geschenke
Der Götter! Süßer Wein!
Ein jeder Tropfen, seliges Getränke
Von dir, schließt einen Himmel ein.
Wo irr' ich? – Evan! – In Corycens Grotte
Umtanzen die Bacchiden mich.
Begeistert, heilig, tauml' ich voll vom Gotte;
Die schöne Sonne hüpft um mich –
Hüpft' fröhlich auf, es fliehen meine Sinnen
Und meine Seele schwimmt in Glanz,
Mein sträubend Haar durchbebt Glut der Bacchantinnen –
Ich seh', ich seh' dich Vater ganz,
Wie kindlich du im lichten Maientraume
Einst unter goldnem Nymphenchor
Gebunden lagst von Reben an dem Baume
Und schnell die Traube wuchs hervor:
Und Nysa ließ in goldne Schalen träufeln
Der freudenschwangern Beere Saft,
Voll Lust auf dich nun staunt und länger nicht will Zweifeln:
Du seist ein Gott der Kraft.
Geheiligt durch den Wein, der Aug' und Lippen
Bald angeflammt, sieht sie nun den Silen,
Zehntausend Thyrsusträger, hoch auf Wolkenklippen
Die Götter um dich stehn.
Prophetisch dann, mit hingestorbnen Blicken
Und seelenvollem Haar,
Heult sie herab voll dithyrambischen Entzücken:
O heilig! heilig! Bromius gebar,
O Evan! Stolzer Evan, Jacche!
Aus Zeus Umarmung, eingehüllt
Vom roten Blitz, an Dyrcens Quell dich, Bacche,
Des mächt'gen Vaters Ebenbild,
Der goldnen Schlangen Tochter Semele! Die Götter,
Sie prunken vom Olymp den Tag,
Neunmal umleuchtet Zeus in einem Donnerwetter
Den Erdball, der in trunknem Schlummer lag.
[178]
Dem Jubel neigt die Erde ihre Ohren,
Daß Sonne, Mond und Himmel singt
Vom stolzen Knaben, der kaum neu geboren
Schon unter Rebenlauben springt.
Froh hören's die Gestirne, die da glänzen
Im Himmelsmeer; da dreht
In mystisch heilig labyrinth'schen Tänzen
Sich jeder taumelnde Planet.
Da taumeln Wälder, finstre Grotten hüpfen!
Heil' dir! Heut küsset dich die Lust,
O Welt, zum ersten Mal! Verjünget mußt du hüpfen:
Der Freudenschöpfer ruht an deiner Brust.
Und heilige Gebirge zauchzen, springen
Vom Hymnus: Heil dir, Tag
Des Taumels! und hundertzüngig singen:
Heil dir! die Täler nach!
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
|
Buchempfehlung
Die ersten beiden literarischen Veröffentlichungen Stifters sind noch voll romantischen Nachklanges. Im »Condor« will die Wienerin Cornelia zwei englischen Wissenschaftlern beweisen wozu Frauen fähig sind, indem sie sie auf einer Fahrt mit dem Ballon »Condor« begleitet - bedauerlicherweise wird sie dabei ohnmächtig. Über das »Haidedorf« schreibt Stifter in einem Brief an seinen Bruder: »Es war meine Mutter und mein Vater, die mir bei der Dichtung dieses Werkes vorschwebten, und alle Liebe, welche nur so treuherzig auf dem Lande, und unter armen Menschen zu finden ist..., alle diese Liebe liegt in der kleinen Erzählung.«
48 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
442 Seiten, 16.80 Euro