Zweiter Gesang

[1380] Also der Satyr Mopsus, sein Herzenleid erzählend! Und nun heult er von neuem, indem er das Blut von seinen zerkratzten Armen streicht. – – Die Hälfte seiner Zuhörer heulen vor Mitleid herzlich mit ihm; die andere lachen überlaut über die gräßliche Gesichter, die der Satyr im Heulen schneidt; – doch alle entbrennen im Zorn gegen die Nymphe, die so grausam ihrem[1380] lieben Mopsus mitgespielet. Auf fahren sie, und schwören, und lärmen, wollen in der ersten Hitze, ihre Grotte verstören, und ihre Urne versenken; und ergrimmt fahren alle zur Höhle hinaus; – ähnlich einem aufgereizten Schwarme Hornessen, denen von ohngefähr ein junges Rind zwischen moosigten Wurzeln das Nest zertritt. – Die dann hervorbrummen in dichter Zahl; für Wut pfeifen sie, giftig schwellen ihre Leiber, und ihre Schwänze stacheln die Luft. – Zum Zerfleischen versammlet fahren sie schwarz daher; Hund und Herde fliehen darob, und die erschrockene Hirtin eilt und rettet ihren schlummernden Säugling. – Also wütig stürmen mit Stäben und Steinen bewaffnet die Knaben, und Mopsus voraus. Und gewiß hätten sie die Torheit begangen, die unverstörbare Grotte bestürmt, die von Jupiters Winke, auf Priareus' Nacken gegründet, mit Vulkans undurchdringbaren Erzte umschmolzen ist – – und hätten sich neue Schande und Strafe dadurch erworben; hätte nicht Myron, der schlausten und gescheidesten Hirten einer, sie mit diesen Worten zurückgehalten:

»Wohin, Vater Mopsus? – – – Ihr Jungens wohin? – Seid ihr rasend, oder habt ihr nicht mehr Nachsinnens als die dummen Tiere, die Jupiter alles Verstandes beraubt? – – – Was wollt ihr Narren anfangen? Meint ihr's mit Göttern aufzunehmen? He? Und wenn die Nymphe ihre Felstüre verriegelt, die schwerlich Neptun aus den Angeln reißt – sagt was wollt ihr Ohnmächtige dann? – – – Zurück! sag ich. – – Schämt euch! Und du? alter Bursch! Steckt in deinen Hörnern und Barte nicht mehr Verstand? – Sei nicht töricht und hör meinen Rat an, der gewiß aus treuem Herzen fleußt. – – Was nutzt Schimpfen und Toben hier? – – Nichts! – Du behältst deine Wunden, und je mehr du lärmst, je mehr wird man über dich lachen: denn ein getroffener Hund, sagt man, bellt immer am ärgsten. – – Das gescheidste ist, wir schweigen ganz stille; der Abend ist bald da. Verweilen wir hier, bis es ein wenig dunkler wird, und lauschen dann der Nymphe auf. – Jetzo sitzt sie noch wie gewöhnlich, bei ihren Schwestern im Tale; unter dicken Kastanien, die einen kleinen See umschatten, kommen sie dort zusammen spielen, und baden, wenn der Tag heiß wird; – oder würken und umsticken goldne Gewänder mit Florens holder Nachkommenschaft; indes die eine goldne Fäden zwirnt, die andere bemüht ist, die Nadel zu führen, singt die dritte, oder flechtet sich ein Band in die Haare; – andere sitzen und horchen auf Märchen und wunderbare Abenteuer[1381] der Götter – oder lassen sich die gute Wahrheit sagen, und befragen sich wie lang die eine oder andere noch Jungfrau zu bleiben gedächte, und was diese oder jene für einen Gemahl bekäme? was Alter, Farbe und Haar? – Lachen und scherzen da untereinander. – Wenn sie nun beim Abendstern voneinander gegangen, Persina in ihre Grotte heimgekehrt, wollen wir uns dort unter Büsche und Wurzeln verstecken, bis sie ihre goldne Arbeit aufgehangen, zum Nachtmahl ihren Tisch bereitet, das halb aus Früchten und Milch, und halb aus Ambrosia bestehet, soviel die Nymphe Göttliches an sich hat. Dann trittstu Mopsus, hervor, sitzest wieder auf den nämlichen Platz, wo du heunt gesessen, und singst, und spottest recht schimpflich über die Nymphe, daß sie dann etwa auch scheltend aus ihrer Höhle tritt; – dann wollen wir im Dunklen über sie herfallen, sie an ihren fliegenden Locken festhalten. Anders sie zu bändigen ist keinem Gotte möglich, geschweige uns. – – Dann wollen wir sie an einen Baum festbinden und sie so lange da aufhalten, bis du dich nach Herzenslust an ihr gerächt hast. – – Sagt, wie gefällt euch dies?« –

Dieser Rat gefiel nun allen und Mopsus absonderlich. – – »Guter Myron!« sprach er –, »will alles tun; aber das sag ich dir zum voraus, und keiner red mir ein Wort dagegen, oder ihn soll Zerberus beißen – – haben wir die listige Nymphe einmal, dann wollen wir sie rechtschaffen anbinden. – – – Hab nur noch ein Tröpfchen Kräfte; aber will's gerne dran strecken, mich an der gottlosen Hexe zu rächen.«

Also Mopsus! – Und die Knaben bringen nun große Humpen herbei, füllen sie aus vollen Schläuchen; dann gießen sie in schön geschnitzte Pokale ein und lassen die herumgehen; sprechen dem alten Satyr Mut zu, und suchen durch mancherlei lustige Gesundheiten sein trauriges Herz zu erfreuen. – – – Zuerst nimmt der wollhaarigte Cebes den Becher und spricht: »Beim Amor, der auf diesen Henkel den Bogen spannend, geschnitzt ist – Mopsus! vergiß allen Kummer – laß deine starrköpfige Nymphe Persina mit all ihrer Schelmerei – es gibt ja der Dirnen noch viel. – – Glück zu! alter Freund! – Ich wollte du müßtest des alten Ozeans silberfüßige Töchter alle beschlafen; versteht sich eine um die andere.« – Und Mopsus spitzte die Ohren und schmunzelte drob. – – »Ja«, spricht ein anderer, »und daß du eine Horde Buben mit ihnen erzeugtest, alle groß und stark, wie die jungen Esel.« – – Und der Satyr nickt und bedankt sich gar freundlich.[1382] – – – »Gefallen dir die Nereiden nicht mehr«, ruft ein dritter, »Vater Mopsus, so wünsch ich dir gerne König Atlas' goldfreundliche Töchterchen, die mit goldnen Kämmen sich kämmen, und über Rosen tripplend, goldne Äpfel schaukeln; – kannst sie nehmen, wenn sie dir gefallen.« Und Mopsus spricht: – – »Ja hätt ich sie nur!« – – Und nun ergreift Myron den Becher und spricht lächlend: – »Beim süßen Augenblick Mopsus, da du in den Strauch fielst! – – Närrchen! wem 's Glück wohlwill, zu dem kommt's im Schlafe. – Traun! du bist dazu ausersehen noch ein berühmter Liebesheld zu werden. – Betrübe dich nicht! die Sonne geht auf und unter; man muß das Böse mit dem Guten genießen. Siehstu! – – Heunt lagstu in Dornen, wer weiß, ob du morgen nicht – –« Und nun trinkt der Knabe. – – Aber der Satyr ruft: »Red aus Myron! denn das Beste kommt nach.« – – »Freilich!« ruft Molon; »heunt lagstu in Dornen, wer weiß ob du nicht morgen auf Distlen liegst! – Trink, du Alter! – Mein Treu! ich gäb, ich weiß nicht was drum, wenn ich dich noch einmal so im Dornbusch liegen sähe – versteht sich, selbander; – du merkst's doch? – – So mit einer – – – tausendjährigen runzelreichen Sibylle! – Was denkstu? He? – und ein schöner Schwarm Wespen summsten dir ein Brautlied auf! – – Ha ha ha!« – Alle Knaben lachen nun herzlich; und Mopsus, unwillig, wollt eben dem Wünscher einen Becher ins Gesicht schmeißen; – als Myron ruft: »Der Abendstern ist da – Mopsus! ihr Knaben! laßt uns eilen!«

Und nun brechen alle auf. – Wie ein gescheider Rabe von ohngefähr, mit einem Trupp Staren vergesellschaftet, über einen Weinberg fliegt – sie alle die kleinen Vögel fallen sorglos gierig herab, die süße Ätzung zu suchen –, er allein sitzt erst auf einen hohen Pfahl, und drehet sich, und guckt überall herum, daß ihn keine Gefahr befalle. So schauet sich Mopsus auf einem Felsen um, da alle Knaben schon versteckt sind. – – Eben war die Nymphe Persina in ihre Höhle zurück: Am Eingang ihrer grün beschatteten Wohnung legt sie ihre Arbeit wieder auseinander und beschauet noch einmal, was sie den Tag über Schönes gemacht; froh und erfreut über ihre Geschicklichkeit, steht sie davor und wählet in ihrem Herzen, welcher Göttin sie ein Geschenk damit machen wolle. – – Ein schöner Purpurmantel war's, auf den sie gar artig Amorn gestickt, wie er in der Blumengöttin Schoße liegt, und wie nun Flore einen neben ihr knieenden Zephir, der ihr das Blumenkörbchen hält, tauvolle Hyazinthen abnimmt, sie mutwillig über den nackten Schlummerer sprengt, daß[1383] er erschrocken mit beiden Ärmchen auffährt, und darob seine kleine gauklende Brüder lachen; und so schön hatte sie Amors Furcht und die Freudigkeit seiner kleinen Gesellen ausgedrücket, daß man geschworen hätte, man höre den artigen Amor hell auffahren, als ihm ein kühles Tautröpfchen in den Nabel fiel. – Auch die Nymphe sprang, da sie von ohngefähr ihre Augen drauf wandt, selbst, »hei!« schreiend zuruck, und lachte hernach aus vollem Munde.

Und nun als sie ihren Mantel lange genug betrachtet, hängt sie denselben an einen kostbaren Haken auf, schwenkt dann silberne Schalen und bereitet aus himmlischen Urnen ihr Nachtmahl. Als sie nun so sitzt und genossen, und eben im Begriff ist, von ihrem schimmernden Gürtel die Syster zu knüpfen, um in die goldenen Saiten zum Zeitvertreibe ein Lied zu singen – gaben die Knaben dem hinten wartenden Satyr das Zeichen. Langsam hinkt er nun hervor, setzt sich auf einen Eichenstrunk nieder, und fängt also über die Nymphe schimpflich zu brüllen an: »Die Katz maust gerne. – – Ei! gewiß, du magst mir eine feine Jungfrau sein – Quellennymphe Persina du! – – – Mit dem Hesper schleicht ein Jüngling in deine Grotte; wo liegt er bis der Phosphor kommt? – – Auf Steinen gewiß nicht! Das glaub ich wohl. Wollt's einem gleich sagen, wo? – Wollte mich nur jemand drum befragen. – – Will doch nur sehen, wo das all hinauswill, o du gottlose schändliche Nymphe du! – Du Igel, die sticht und beißt und mich so gewaltig in dein Netz verstrickt? – – Ja, du bist mir ein keusches Mensch! – Eine keusche Nymphe du! – Aber lieg du nur wacker bei deinem Knaben drinnen; wenn die Nuß zeitig ist, fällt sie von selbsten, was braucht's da Schüttlens? – Lieg du nur wacker zu! sag ich dir; will dir hernach auch den Reihen bringen. – – – Meinstu, das soll mich verdrießen? – Ei, was liegt mir dran, lägen auch ihrer zwanzig bei dir! – Aber, hab einmal meine Freude dran, hier zu sitzen. – – – Heisa! wie gut ist's doch hier bei meinem Schlauche!«

Nun hält Mopsus ein wenig inne und fragt ganz leise: »Hab ich gut gebrüllt?« Und die Knaben zischen aus dem Gesträuche hervor: – »Besser noch! Mehr noch! Sie hört's.« – Da räuspert sich der Satyr, und fängt wieder von neuem an: »Wahrhaftig! jetzt hör ich gar pispern, küssen, daß's schmatzt. – Ja, ja, so ist's mit den verschämten Quellenmädchen; am Tage tun sie so keusch, so keusch wie wankendes Schilf, das auch vor dem geringsten Windhauche sich zurückbiegt; aber nachts –[1384] nachts fallen sie, wie reißende Wölfe in eine Herde, auf die Jünglinge los und schleppen sie mit in ihre Höhlen.

Pfui tausend! wie mag man sich so aufführen! – – Pfui tausend! wie mag man nur einen Mund küssen, wie dieser garstigen Nymphe Persina ihren! Die ist das häßlichste Ding das unter der Sonne lebt. – – Pfui, um alles, alles nicht! – – – Ja da käme mir einer recht, der mir so was zumuten wollte; mich peitschen lassen aufs Blut wollt ich lieber, mein Seel! als diese Quellennymphe Persina nur einmal küssen. Lieber wollt ich des Zerberus Rachen ablecken, als ihren abscheulichen Mund. – – Heißt wohl: Küßchen glitschen so süß von Mund zu Mund, wie Honigtautröpfchen in einer Rose von Blatt zu Blatt; – aber bei so einer! – Ei! ich wollte die Knotteln an meinem Ziegenfuß nicht einmal drum kämmen, ließ' sie mir auch von ihren Küßmäulern tausendweis, wie Feigen in einem Sack zukommen. Ja! ich kann andere Mädchen haben, – andere, als ein so gelbhautiges Ding! Mädchen, wie die Kürbsen; mit lichten Augen, wie die Gemsen! Mit denen will ich mich ergötzen; die sollen Freude haben; – – ja, ja, die dörfen sich an des alten Mopsus Schulter hängen, ihre weißen Arme um meinen Hals schlingen, mir im Bart krabblen, meine Nase zwicken und mich herzen und küssen soviel ihnen lüstet. – – Hörstu's drinnen? Merkstu's? Meine Hörner sollen sie mir dann mit Blumen behangen, ha ha ha! – mir die Wangen streicheln, ha ha ha! – mich kitzlen, eine da, die andere da, und ich will sie wieder dafür mit Rosen peitschen, ha ha ha! und im Krabbeln meine Backen aufblasen, ha ha ha! Die Beine auseinanderstrecken, und meinen Bauch herausdrücken, ha ha ha! die Augen verdrehen und mit Fleiß lachen, als ob mir's wunder gefiele; ha ha ha! – Und du sollt dann in deiner Höhle allein sitzen; ha ha ha! all dem Wohlleben zusehen und vor Herzenleid dich tothärmen, ha ha ha! und ich will noch drüber lachen, ha ha ha! mich von Herzen darüber freuen, ha ha ha! – ha ha ha!«

So schmähte der alte Mopsus und lacht' immer länger und mehr. Aushalten kann es die Nymphe nicht länger; – sachte schleicht sie herbei und gießet dem Satyr ein großes Becken mit kaltem Wasser über den Rücken. Erbärmlich heult er darob; und die Knaben rauschen hervor. Zurück will die Nymphe in ihre Höhle; aber an ihren langen schwebenden Locken erhaschen sie die Knaben und befestigen sie damit um die knotigten Äste einer Eiche.[1385]

Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 1380-1386.
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