Die Biene

[270] Biene, dich könnt' ich beneiden,

Könnte Neid im Frühling wachsen,

Wenn ich dich versunken sehe,

Immer leiser leiser summend,

In dem rosenrothen Kelche

Einer jungen Apfelblüthe.

Als die Knospe wollte springen

Und verschämt es noch nicht wagte,

In die helle Welt zu schauen,

Jetzo kamst du hergeflogen

Und ersahest dir die Knospe;

Und noch eh' ein Strahl der Sonne

Und ein Flatterhauch des Zephyrs[270]

Ihren Kelch berühren konnte,

Hingest du daran und sogest.

Sauge, sauge! – Schwer und müde

Fliegst du heim nach deiner Zelle:

Hast dein Tagewerk vollendet,

Hast gesorgt auch für den Winter!


Quelle:
Wilhelm Müller: Gedichte. Berlin 1906, S. 270-271.
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