Herbstwind

[31] Durch fahlbelaubte Bäume

mit müdem Ton der Herbstwind singt;

die sehnsuchtsbange Weise klingt

des Nachts in meine Träume.


Ach, alle Blumendüfte,

das Farbenspiel der Rosenzeit,

die ganze Sonnenseligkeit –

Zerstoben in die Lüfte!


Verstummt ist Scherz und Kosen. –

Die mir geblüht in tiefster Brust,

das alte Leid, die alte Lust –

sie starben mit den Rosen!


Nun will kein Stern mehr scheinen.

Der Himmel trüb und wolkenschwer,

das Haupt so müd, das Auge leer . . .

Ich hab verlernt das Weinen!
[31]

Und wenn die Sehnsuchtslieder

der Nachtwind auf den Fluren singt, –

in meinem Herzen hallt und klingt

sein traumhaft Rauschen wider.

Quelle:
Clara Müller-Jahnke: Gedichte, Berlin [1910], S. 31-32.
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