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[257] Der Lenztag blaute über Rom

und blaute auf uns viere,

wir saßen vor St. Peters Dom

bei echtem Münchner Biere.
[257]

Wir sahn die Menge stauend stehn

auf breiten Marmortreppen

und sahn die Kardinäle gehn

in lila Veilchenschleppen.


Und drinnen ein bleiches Angesicht

in silberflutendem Rahmen . . .

und all die Tausende neigten sich,

die funkelnden Herren und Damen. –


Wir saßen vor St. Peters Dom

vergnügt bei Bayrischem Biere –

der Lenztag sonnte über Rom

und sonnte auf uns viere:


Der eine war am Ostseestrand

in Sumpf und Moor geboren

und hatte sich ins Märchenland

geflüchtet und verloren.


Der Zweite bot ihm frei die Hand

und hob sein Lid zum Sehen –


Da sahn sie beid das Märchenland

auf Erden auferstehen.


Der Dritte sang mit trübem Sinn

am Don zu Zions Harfen;

die Vierte war Latinerin,

die lachte ob den Larven!
[258]

Wir sahn die Macht, die rings durchmißt

des Erdballs blaue Weiten –

und sahn die Macht, die größer ist

als alle Päpste und Zeiten.


Wir saßen vor St. Peters Dom

verständnisvoll beim Biere:

der Maitag lachte über Rom

und lachte auf uns viere.


Quelle:
Clara Müller-Jahnke: Gedichte, Berlin [1910], S. 257-259.
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