Thyrrenische Nacht

[246] Küsse mich, du! Der Himmel blüht

wie lauter Granaten und Rosen.

Flugfeuer von Lippe zu Lippe sprüht,

und der Berg der ewigen Gluten glüht –

die Tiefen kochen und tosen.

Und über das blaue thyrrenische Meer

wandelt schweigend und düfteschwer

sternenbekränzt in losen

Gewanden die Nacht einher.
[246]

Ihr Schweigen tönt. Ich trage im Schoß

die Ernten kommender Tage.

Die Berge umspann ich leuchtend und groß,

bin stark wie das Meer und fessellos

wie das Ewige, das ich trage.

Mein Haupt umlodert der Lavaschein,

der Weizen reift, und es schwillt der Wein –

der soll von Kälte und Klage

der Welt ein Erlöser sein!


Quelle:
Clara Müller-Jahnke: Gedichte, Berlin [1910], S. 246-247.
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