An Sander

[84] Sander, du scheidest? Jezt da immer bänger,

Immer schwüler und schwüler mir der Tag wird,

Immer steiler, dornichter, klippenvoller

Sich durch des Lebens


Nächtliche Wüsten meine Pfade winden,

Jeder Schimmer der Hofnung sich verdunkelt,

Mir kein Quell mehr Labungen strömt, kein kühler

Schatten mehr wehet;


Keines der Thale mehr, wo einst mit Liedern

Wir den rosigen Wonnemond begrüßten,

In die stille Dämmerung seiner Bäume

Gütig mich aufnimmt;


Keine der Rosenlauben mich umduftet,

Wo dem Liede der Nachtigall wir horchten,

Wenn im Schimmer wallender Westgewölke

Hesper erwachte!
[84]

Sanftes Entzücken, Ruh' und Seelenstille

Wehte, von des umbüschten Seees Ufern,

Dann des Abends thauender Purpurfittig

Zu uns herüber!


Hauche des Frühlings bebten durch die Erlen,

Beugten lispelnd der jungen Blumenwiese

Zarte Halme, wiegten sich auf des Seees

Silbernen Wellen!


Ach! so erbebten unsre Seelen, Bester!

So durchwandelt' uns leiser Ahndung Schauer,

Wann dein Flammengenius, o Begeistrung!

Nun uns umschwebte.


Wenn wir, geschlungen Arm in Arm, der Blüthen,

Und des wehenden Grases und der Saaten,

Die den grünen Hügel hinunter wallten,

Herzlich uns freuten!


Wenn uns der Thauduft und des Baches Rauschen,

Und des steigenden Mondes stilles Antliz,

Und der Sterne Reigen in Sommernächten

Himmlisch entzückte!


Wenn wir im Weidenthale dich, o Elbe!

Mit geflügelter Eil vorübergleiten

Sahn, und ahndend seufzten: Ach! so wird alles,

Alles dahingehn!


Wehe! dahingerauscht mit Wetterschnelle

Sind die Stunden der Freundschaft und der Liebe!

Keine Klage, Sander, ach! keine Thräne

Bringt sie uns wieder!
[85]

Scheidet der Winter nicht des Haines Blätter

Von dem Zweige der sie gebar auf ewig?

Kehrt zur Mutterquelle des Stromes Woge

Jemals wohl wieder?


Edler! wie war mir's wohl an deinem Busen!

Wie beseligend strömte deine Rede

Ruhe, Tröstung, Ahndungen, Himmelsfreuden

Mir in die Seele!


Kummergewölke schwanden deinem Lächeln,

Ruhe kehrte dem bangen Herzen wieder,

Wann dem trostlos Wankenden du die treue

Bruderhand reichtest!


Lachend und heiter war mir da die Zukunft,

Goldne Bilder entschwebten auf den Flügeln

Süsser Hofnung wonneverkündend ihren

Zaubergefilden!


Wehe! dahingerauscht mit Wetterschnelle

Sind die Stunden der Freundschaft und der Liebe!

Keine Klage, Sander, ach keine Thräne

Bringt sie uns wieder.[86]

Quelle:
Friedrich Matthisson: Gedichte, Band 1, Tübingen 1912, S. 84-87.
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