Die Nonne

[184] 1790.


Der unbewölkten Luna Silberschein

Wallt lieblich durch der Kirchhofbäume Laub,

Und Blüthen, wie zum Todtenopfer, streun,

Cäcilia, die Wind' auf deinen Staub!


Dir lacht kein Mai, dir glänzt vom Sternenraum

In lauer Sommernacht kein Vollmond mehr:

Doch, wohl, Befreite, wohl dir, ach! dein Traum

Im Lande der Entsagung war so schwer!


Der Wahrheit Sonnenschimmer starben hier,

Wie eine Flamm' in Grüften matt sich senkt;

Auf Heiligenlegenden und Brevier

Blieb deiner Kenntniß enger Kreis beschränkt.


Dir hat die Zähmerin des Mißgeschicks,

Die Tonkunst, ihre Zauber nicht enthüllt;

Dein ganzer Hausrath war ein Kruzifix,

Ein Todtenkopf und ein Madonnenbild.


Am Fenster, welches Rebengrün umzog,

Verlor sich oft ins weite Meer dein Blick,

Und bebte, wann ein Schiff vorüberflog,

Bethränter in des Kerkers Graun zurück.
[184]

Bei Filomelens Abendlied umfloß

Der Schwermuth Wolke dunkler dein Gesicht;

Nur mit dem Hall der Sterbeglocken goß

In deines Daseyns Nacht sich Morgenlicht.


Ihr Himmelsboten, die ihr unsichtbar

Der Menschheit hingesunkne Blumen hebt,

Und um des Aberglaubens Weihaltar

Im Säuseln hoher Friedensahnung schwebt:


Ihr hörtet an des offnen Grabes Rand'

Aus ihrer Brust den ersten Wonnelaut;

Ihr saht, wie auf des Todes kalte Hand

Sie Thränen, freudig schaudernd, hingethaut.


Sie schlummert in der Espen Dämmrung dort,

Wo fromm den Wandrer, der betrachtend steht,

Ein Kreuz mit Namen, Jahr und Heimatsort,

Um ein Gebet und eine Zähre fleht.

Quelle:
Friedrich Matthisson: Gedichte, Band 1, Tübingen 1912, S. 184-185.
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