Lied aus der Ferne

[219] Wann, in des Abends letztem Scheine,

Dir eine lächelnde Gestalt,

Am Rasensitz im Eichenhaine,

Mit Wink und Gruß vorüberwallt:

Das ist des Freundes treuer Geist,

Der Freud' und Frieden dir verheißt.
[219]

Wann in des Mondes Dämmerlichte

Sich deiner Liebe Traum verschönt,

Durch Cytisus und Weymutsfichte

Melodisches Gesäusel tönt,

Und Ahndung dir den Busen hebt:

Das ist mein Geist der dich umschwebt.


Fühlst du, beim seligen Verlieren

In des Vergangnen Zauberland,

Ein lindes, geistiges Berühren,

Wie Zefyrs Kuß, an Lipp' und Hand,

Und wankt der Kerze flatternd Licht:

Das ist mein Geist, o zweifle nicht!


Hörst du, beim Silberglanz der Sterne,

Leis' im verschwiegnen Kämmerlein,

Gleich Aeolsharfen aus der Ferne,

Das Bundeswort: Auf ewig dein!

Dann schlummre sanft; es ist mein Geist,

Der Freud' und Frieden dir verheißt.

Quelle:
Friedrich Matthisson: Gedichte, Band 1, Tübingen 1912, S. 219-220.
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