Beruhigung

[112] Wo durch dunkle Buchengänge

Blasser Vollmondschimmer blinkt,

Wo um schroffe Felsenhänge

Sich die Epheuranke schlingt,

Wo aus halbverfallnem Thurme

Ein verlaßnes Bäumchen ragt,

Und, emporgescheucht vom Sturme,

Schauervoll die Eule klagt;


Wo um sterbende Gesträuche

Sich der graue Nebel dehnt,

Wo im trüben Erlenteiche

Dürres Rohr im Winde tönt,

Wo in wildverwachsnen Gründen

Dumpf der Waldstrom wiederhallt,

Und, ein Spiel den Abendwinden,

Welkes Laub auf Gräber wallt;
[112]

Wo, im bleichen Sternenscheine,

Um den frühverlornen Freund,

Einsam im Zypressenhaine,

Hofnungslose Sehnsucht weint:

Da, da wandelt, von den Spielen

Angestaunter Thorheit fern,

Unter ahndenden Gefühlen,

Schwermuth, dein Vertrauter gern!


Da erfüllt ein stilles Sehnen

Nach des Grabes Ruh' sein Herz,

Da ergießt in heissen Thränen

Sich der Seele banger Schmerz,

Und sein Blick durchschaut die trübe

Zukunft ruhig bis ans Grab,

Und es tönt: Gott ist die Liebe!

Jeder Stern auf ihn herab!

Quelle:
Friedrich Matthisson: Gedichte, Band 1, Tübingen 1912, S. 112-113.
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