|
Ich heiße Fred Sommer, bin ein fleißiger Leser des »Guten Kameraden« und wohne in San Francisco, welches hier kurzweg Frisco genannt wird. Mein Oheim, Ben Sommer, welcher als armer Handlungsgehilfe herübergekommen war und es durch fleißige Arbeit und unbestechliche Ehrlichkeit zum reichen Großhändler und Schiffsreeder gebracht hatte, besaß keine Kinder und bat darum meine im lieben Deutschland wohnenden Eltern, mir, dem ältesten von fünf Geschwistern, die Erlaubnis zu erteilen, ihn zu besuchen und dann vielleicht für immer bei ihm zu bleiben. Nach langem Ueberlegen, Kämpfen und Zögern gingen Vater und Mutter schließlich in Rücksicht auf die mir gebotene Zukunft auf diesen Vorschlag ein; Vater brachte mich nach einem thränenreichen Abschiede von den geliebten Meinen auf das Schiff, und dann ging ich als vierzehnjähriger Knabe zu Wasser nach New York und auf der Pacificbahn nach Frisco, wo der Oheim mich mit ausgebreiteten Armen in Empfang nahm.
Nachdem das Heimweh leidlich überwunden war, ging's an die Arbeit, denn »Uncle Ben« war der sehr richtigen Ansicht, daß ich nicht nur etwas, sondern viel, sehr viel lernen müsse, um geschickt zu werden, einst sein Nachfolger zu sein. Ich erhielt nicht nur theoretischen Unterricht, sondern wurde vor allen Dingen auch in die Praxis meines spätern Berufes eingeführt.
Der Oheim ritt weit ins Land hinein, um ganze Ernten und Herden für den Versandt aufzukaufen; er fuhr per Bahn nach den Minen, in die Diggins oder zu den Holzfällern ins Gebirge, um Geschäfte abzuschließen, bei denen es sich stets um bedeutende Summen handelte, und ich mußte ihn auf allen diesen Ausflügen und Reisen begleiten, »denn,« sagte er, »durch das Auge lernt man schneller als durchs Ohr, und nur was man selber sieht, kann man gesehen haben.« Nachdem ich mich in dieser Weise drei Jahre lang auf dem Lande umgesehen hatte, machte er mir zu meiner großen Freude eines Tages die Eröffnung:
»Du weißt, daß ich jährlich einige Walfischfänger und Robbenschläger ausrüste, und sollst auch diese Seite meines Geschäftes praktisch kennen lernen. Eine so lange Zeit, wie ein Waljäger bis zu seiner Heimkehr braucht, mag ich dich jetzt nicht missen; aber ein Robbenschläger ist schon nach drei Monaten wieder da, und so magst du an Bord meines ›Sealskin‹ gehen. Er lichtet in nächster Woche die Anker, und bis dahin haben wir mehr als genug Zeit, deine Ausrüstung zu beschaffen.«
Seehundsjagd! Robbenschlag! Ich war natürlich ganz begeistert und träumte eine Woche lang in jeder Nacht von Seebären und Seelöwen, mit denen ich im Kampfe lag. Kaum konnte ich den Tag der Abfahrt erwarten. Er kam; der Oheim brachte mich an Bord und empfahl mich der besondern Obhut des Kapitäns. Außerdem wurde mir der alte Bootsführer Harper als Lehrer und Beschützer beigegeben. Er hatte die Hälfte seines Lebens auf dem Wal- und Robbenfange zugebracht und war die geeignetste Person, mir durch Wort und That ein Führer zu sein.
Während der letzten acht Tage hatte ich möglichst viel über den Seehund gelesen. Diese Bücher und Aufsätze behandelten die Robben vom naturgeschichtlichen oder auch vom rein geschäftlichen Standpunkte aus. Harper aber lehrte mich, sie noch von einer andern Seite zu betrachten. Er liebte die Robben, obgleich er viele Tausende von ihnen erschlagen hatte. Ganz besonders sprach er von ihren großen, schönen Augen, deren Ausdruck demjenigen des menschlichen Blickes gleicht. Er behauptete, daß jeder Hieb, den er nach einem Seehunde führte, zugleich ihn selbst im Innern getroffen habe.
Um mir zunächst einige allgemeine Bemerkungen zu erlauben, so ist die Naturgeschichte der Robbe wohl jedem »guten Kameraden« so bekannt, daß ich über dieselbe schweigen kann. In den Büchern werden viele Gattungen und Arten aufgezählt, welche der Robbenschläger auch anerkennt; der Kürschner aber spricht nur von zwei Arten, nämlich vom gemeinen Seehunde, für dessen Fell er 2-12 Mark bezahlt, und vom Pelz- oder Biberseehund, dessen Fell er für 15-60 Mark kauft. Die Felle sind nach ihrer Güte sehr verschieden. In dieser Beziehung unterscheidet der Kürschner beim gemeinen Seehunde: Blaumänner, Whitecoats, Sattler, blausaitige, gesprenkelte und ordinäre. Die Pelzseehunde haben unter dem groben Oberhaare eine dichte, feine, seidenartige Grundwolle und geben nach Entfernung des ersteren ein sammetartiges Pelzwerk, welches besonders in Rußland, England und Frankreich sehr geschätzt wird. In Beziehung auf die Größe und Güte werden Wigs, Larges, Middlings, Smalls, Large Pups, Middling Pups und Small Pups unterschieden. Die Wigs aus Australien sind zu 60 Mark pro Stück die teuersten. Zur Vergleichung sei erwähnt, daß ein sibirischer Zobel bis 450 Mark, ein Schwarzfuchs bis 1000 Mark und ein Seeotter bis 1500 Mark kostet, während man für Bisam höchstens 3 Mark, für Skunk 7 Mark bezahlt. Ein gutes Löwenfell mit Kopf, Gebiß und Klauen kann 600 bis 700 Mark, dasjenige eines Königstigers 400 Mark, und eines Jaguars 150 Mark kosten.
Das Fell des Seehundes wird nicht nur zu Pelzwerk verarbeitet, sondern es gibt ein sehr gutes Schuhleder und, mit dem Haar gegerbt und zum Teil gefärbt, den Ueberzug zu Koffern, Tornistern u. dgl. Der Thran ist dem Fischthran ähnlich und wird von den Eskimos gern getrunken. Auch das Fleisch ist eßbar, besonders aber die Leber und Zunge, doch würde ein deutscher Gymnasiast sich ganz gewiß, wie Hektor, »ewig von ihm wenden«.
In unsern Küstengewässern wird der Seehund, da er den Fischen nachstellt, von den Fischern eifrig verfolgt, doch[272] nährt er sich auch von Weich- und Krustentieren. Die armen arktischen Eingeborenen könnten ohne ihn gar nicht existieren, da er ihr wesentlichstes Nahrungsmittel bildet. Außerdem liefert er ihnen den Pelz zur Kleidung, das Fell zum Zelt oder Hüttendach, das Fett zu Feuer und Licht, die Sehnen zu Zwirn, die Därme zum Segel und Fenster, und die Knochen zu allerlei kleinen, nützlichen Werkzeugen.
Deshalb werden jahraus jahrein unzählige Robben von ihnen getötet. Dazu kommt der Fang der Robbenschläger, welche im Jahre 1888 zwei Millionen Felle nur an die Kürschner lieferten, nicht zu gedenken der Häute, welche zu Leder verarbeitet worden sind. Da wäre es, besonders weil das Weibchen nur ein Junges wirft, gar kein Wunder, wenn der Seehund ausgerottet würde, zumal die Robbenschläger nur auf den augenblicklichen Gewinn sehen und keineswegs an die Zukunft denken.
Sie suchen ihr Jagdgebiet gewöhnlich Ende März auf, also zu einer Zeit, in welcher die nurwenige Tage zählenden jungen Robben noch ihrer Mütter bedürfen, ohne welche sie verschmachten müssen. Die Mütter gehen des Morgens ins Wasser und kehren gewöhnlich erst gegen Abend zu ihren auf dem Eise zurückgebliebenen Jungen zurück, um dieselben während des Abends und der Nacht zu säugen. Solche mit Robben belebte Eisfelder werden »Seehundswiesen« genannt. Haben die Robbenschläger eine solche Wiese entdeckt, so legen sie bei derselben an, schlagen die Alten tot, nehmen ihnen die Felle und den Speck, um aus dem letzteren Thran zu sieden, und lassen die Jungen hilflos zurück, ohne sich ein Gewissen daraus zu machen, daß dieselben nun elend umkommen müssen. Sehr häufig kommt es vor, daß man im Eifer der Jagd einen Seehund nur betäubt und ihm das Fell bei lebendigem Leibe abzieht. Landet man zu der Zeit, wo nur die Jungen da sind, auf einer Seehundswiese, so schlägt man diese mit Knüppeln tot und wartet dann auf die Weibchen, welche, ohne die Gefahr zu achten, von ihrer Mutterliebe auf das Eis getrieben werden. Dann beginnt das Gemetzel natürlich von neuem. Die toten Jungen läßt man gewöhnlich unangerührt, weil sie nur wenig Thran geben und ihr Fell einen geringen Wert besitzt.
Dies erfuhr ich von Harper, meinem Bootsführer, welcher seinem Herzen dabei durch allerhand kräftige Redensarten Luft machte, und es war mir dabei ganz so zu Mute, als ob ich später nicht im stande sein werde, auch nur einen einzigen Seehund zu erschlagen. Erschlagen, welch ein häßliches Wort! Mit der Büchse in der Hand einem Büffel entgegentreten oder mit dem Lasso in der Faust einem wilden Mustang nachjagen, daß ist eines Mannes würdig; aber mit Knüppeln über einen wehrlosen Seehund herfallen, das das – – – nun, ich habe es doch gethan; möge die Aufregung der Jagd mir zur Entschuldigung dienen!
Der »Sealskin« war ein für den Robbenschlag ausschließlich eingerichteter Dampfer mit drei hohen Masten, um bei gutem Winde die Segel benutzen und das Heizmaterial sparen zu können. Er war wohl bemannt und trug sechs Boote in den Davits, welche bei einem guten Ausguck auf Seehunde schnell und leicht in die See geführt werden konnten. Alles, was zur Robbenjagd nötig war, gab es da mehr als zur Genüge, besonders Knüttel zum Zuschlagen, auch Flinten, welche aber mehr für die Jagd andrer, gefährlicherer Tiere bestimmt waren. Wir hatten einen Herd mit Kesseln, zum Kochen des Thranes, und Fässer zur Aufnahme desselben.
Wir mußten zunächst den Hafen von Sitka auf der Insel Baranow aufsuchen. Als wir dort ankamen, lag da bereits eine ganze Flotte von Robbenschlägern vor Anker, welche hier ihre Ausrüstung vervollständigten oder etwaige Havarien ausbesserten. Es war Ende März, also die Zeit, in welcher die Schiffe ihre Jagdgründe aufsuchen. Der Oheim besaß in Sitka eine Kohlenniederlage, aus welcher wir das verbrauchte Feuermaterial ergänzten; dann ging es weiter dem Norden zu. Diejenigen von den andern Schiffen, wel che Anker klar machen konnten, schlossen sich uns an, wohl meist aus Eifersucht, damit wir nicht eher als sie zum Fange kommen sollten.
Die Flotte hatte immer guten, steten Wind, konnte sich also leicht zusammenhalten und gelangte von Silka aus nach fünf Tagen in die Nähe der lang gestreckten Eilandgruppen, welche der Halbinsel Alaschka vorgelagert sind, und äußerst erträgliche Jagdgründe bilden.[273]
Man darf ja nicht denken, daß die Wiesen aus zusammenhängenden Flächen bestehen. Die Eisberge und -felder werden nach und nach vom Lande abgedrängt, weiter und weiter in die See vorgeschoben und endlich durch Sturm und Wogengang auseinander gerissen, worauf sie der Richtung der jeweilig herrschenden Winde und Strömungen folgen. Solche treibende Eisfelder werden von den Seehunden aufgesucht; sie werfen da ihre Jungen, lassen sich mit denselben südwärts tragen und verlassen ihre krystallenen Flöße erst dann, wenn die Jungen stark genug sind, mit ihnen in die nordische Heimat zurückzuschwimmen. Wie bereits erwähnt, verlassen die Mütter des Morgens die Eisschollen, um erst gegen Abend zurückzukehren. Dabei ist der Instinkt, der sie beim Aufsuchen ihrer Jungen leitet, geradezu bewundernswert.[286]
Die vielen neben- und miteinander schwimmenden Eisblöcke mögen einander noch so ähnlich sein, sie mögen noch so sehr verschoben, noch so weit fortgetrieben worden sein, das alte Tier kommt dennoch zur richtigen Stelle und findet unter der Unmasse der gleichartigen, hilflosen Wesen sein eigenes Kind heraus.
Solchen treibenden Eiswiesen begegneten wir von jetzt an; sie waren die ersten und darum noch nicht so gut besetzt, daß es sich verlohnt hätte, die Fahrt zu unterbrechen.[286]
Unsre Flotte bestand aus elf Schiffen, welche unter voller Leinwand fuhren. Mein »Sealskin« fuhr mit beschlagenem Fock-, Groß- und Besahasegel und hielt sich – ein so vortreffliches Schiff war er – dennoch als vorderstes in der Reihe, wie aus unserm ersten Bilde »Auf dem Wege nach den Jagdgründen« zu ersehen ist. Dasselbe gibt zugleich die eigenartige Färbung der Wogen und Wolken in sehr anschaulicher Weise wieder. Auf allen Decken, nur auf dem unsrigen nicht, war alles zu einer schnellen Landung klar gemacht. Als ich Harper nach dem Grunde dieses unsres Säumens fragte, antwortete er mir unter einem schlauen Lächeln:
»Das ist keine Nachlässigkeit, sondern im Gegenteil ein ganz kluger Kniff von unserm Kapitän. Er will die Kerls, welche da hinter uns segeln, los sein und wird die Gelegenheit dazu bei der ersten guten Seehundswiese benutzen.
Und darauf werden wir gar nicht lange zu warten brauchen, denn horch!«
»Seals in sight!« ertönte es in diesem Augenblicke vorn vom Ausgucke her. Dort stand vor einem gutbefestigten, scharfen Fernrohre ein stündlich abzulösender Matrose, welcher vor nahenden Eisschollen zu warnen und zugleich die ihm vor das Rohr kommenden Seehundswiesen zu melden hatte. Wer ein Rohr besaß, nahm es jetzt ans Auge, ich das meinige auch. Weit draußen, ganz am Horizonte, sah ich eine lange Eisfläche blinken, auf welcher es von dunklen, beweglichen Punkten[286] förmlich wibbelte und kribbelte. Das war eine außerordentlich stark bevölkerte Wiese, die erste derartige, welche wir auf dieser Fahrt erblickten. Sie wurde auch von den andern Schiffen bemerkt, denn wir sahen, daß dieselben sich fertig machten, um beizudrehen und ihre Boote auszusetzen. Auch unser »Sealskin« hielt dicht beim Winde, und der Kapitän ließ an den Davids arbeiten, als ob er die Boote klar machen wolle, gab aber dabei den Befehl, das Feuer der Dampfkessel heller zu schüren. Er ließ die Maschine leise rückwärts arbeiten, so daß wir gar keine Fahrt machten; infolgedessen überholten uns die andern Schiffe. Indem sie an uns vorübersegelten, wurden wir von ihren Mannen, welche unsre Absicht nicht errieten, schadenfroh angerufen; sie glaubten, daß wir an einem Defekte litten und also zwar vorwärts wollten, aber nicht konnten.
Die Eisbank näherte sich; die Boote stießen von den Schiffen ab und hielten ein förmliches Wettrennen nach der wohl über eine englische Meile langen und ebenso breiten Scholle hin (s. das Bild: Wettrennen nach der Seehundswiese). Jeder Steuermann wollte mit seinem Boote als dem ersten dort anlegen.
Die Flotte hatte die Eisscholle zwischen sich genommen; darum landeten die Boote von zwei Seiten, um den Seehunden die Flucht in das Wasser möglichst abzuschneiden. Gegen anderthalbhundert Menschen sprangen, mit Knütteln bewehrt, auf das Eis, zogen ihre Fahrzeuge schnell nach und fielen dann schreiend über die armen Tiere her. Da wir uns in der Mitte des Tages befanden, waren nur junge, kaum zwei Wochen alte Robben vorhanden, welche zu schwach und unerfahren waren, als daß sie die Flucht in das Wasser hätten ergreifen können. Sie wurden alle erbarmungslos erschlagen.
Ich wendete mich ab, da ich das nicht mit ansehen mochte; Harper fluchte und wetterte wie ein Landsknecht über diese schonungslose Schlächterei, und der Kapitän erteilte die Weisung, vollen Dampf zu geben. Unsre Segel füllten sich wieder; die Räder arbeiteten mit Macht, und wir flogen an der schmalen Seite des Eisfeldes vorüber und in die südwestliche See hinaus. Die bei der Jagd engagierten Schiffe konnten uns nicht folgen, da sie die Rückkehr der alten Robben abwarten mußten; dann gab es für sie bis zum nächsten Tage zu thun, und wir waren sie also los. Schon nach einer Stunde konnten wir sie selbst durch das Fernrohr nicht mehr sehen.
Bald darauf hatten wir die Insel Kadiak und Kap Trinity doubliert und hielten auf Unimak zu. Die dortigen Untiefen liegen um diese Zeit vollständig unter Eis, was einen reichen Fang erwarten ließ. Gegen Abend des zweiten Tages erblickten wir die Spitze des 2703 m hohen Vulkanes Schikhaldin, der diese Insel weit in die See hinaus markiert, und kaum hatten wir diese Bemerkung gemacht, so mußten wir sämtliche Segel beschlagen und durften nur noch, und zwar sehr vorsichtig, unter Dampf gehen, da wir uns dem Festeise näherten.
Indem wir auf diese Weise und unter fortwährendem Auswerfen des Loggs langsam vorrückten, bemerkten wir ein langes, schmales und sehr leichtes Boot, welches sich mit der Gewandtheit eines Fisches vor uns nach allen Seiten im Wasser hinbewegte. Dieses Fahrzeug war oben zu, außer einer einzigen Oeffnung, aus welcher der Oberkörper eines barhäuptigen und in Felle gekleideten Mannes ragte, welcher mit erstaunlicher Geschicklichkeit mit der Linken sein Paddelruder führte, während er in der Rechten eine kurze Harpune wurfbereit hielt. Das war ein Eskimo. Er achtete zunächst nicht auf uns, sondern auf sein Geschäft. Ein Seehund tauchte neben ihm auf und sofort flog ihm die Harpune in den Leib (s. das Bild: Eskimo auf Robbenfang); das Tier tauchte sofort wieder unter und riß das Boot an der Harpunenleine eine Strecke mit sich fort, ermüdete aber durch den Blutverlust so schnell, daß der Eskimo es an sich ziehen und mit einem Hiebe seines Ruders vollends töten konnte.
Ein solches Eskimoboot wird Kajak genannt. Das Gerippe desselben besteht meist nur aus Walroßknochen und der Ueberzug aus Seehundsfellen. Der Ruderer steigt in das erwähnte Loch und bindet sich den Rand desselben fest um den Leib; dann kann kein Tropfen Wasser eindringen. Mag der Kajak zehnmal mit dem Manne kentern; ein Schlag mit dem Ruder bringt beide wieder nach oben und von Ertrinken kann keine Rede sein.
Jetzt zeigte der Mann erst, daß er uns wohl gesehen hatte. Er kam, seine Beute hinter sich herziehend, uns entgegengerudert und gab uns mit der Hand das Zeichen, daß er mit uns reden wolle. Der Kapitän ließ stoppen. Er selbst verstand einige Dialekte hiesiger Völkerschaften und mehrere seiner Untergebenen wieder andre Mundarten, so daß wir uns mit ihrer Hilfe mit jedem Eskimo oder Aleuten verständigen konnten. Da stellte es sich denn heraus, daß er zu den westlichen Eskimos vom Nunatakflusse gehörte und mit seiner Familie so weit hierhergekommen war, um an ein europäisches oder amerikanisches Schiff seine mehrjährige Jagdbeute zu verkaufen. Er war im November mit Hundeschlitten auf Unimak angekommen und hatte bis jetzt den Umkreis dieser Insel so gut kennen gelernt, daß der Kapitän ihn als Lootsen und Führer engagierte. Die Schätze, welche er gegen allerlei Tauschartikel dann an Bord brachte, bestanden in Seeotter-, Silber- und Kranzfuchsfellen, welche er uns spottbillig überließ. Er brachte uns in einen tiefen Busen im Eise, wo wir anlegten. In der Nähe lag seine runde Schneehütte, welche er mit seiner Frau, seinem Bruder, dessen Weib und den beiderseitigen Kindern bewohnte. Sie waren in Summa elf Personen mit dreißig Schlittenhunden und fühlten sich glücklich, uns getroffen zu haben.
Es zeigte sich, daß der Kapitän sehr wohl gethan hatte, sich die Insel Unimak zum Ziele zu nehmen, denn der Eskimo sagte uns, daß es in deren Umgebung von Seehunden ganz schwarz aussehe. Sie mieden jetzt nur die Stelle, an welcher wir vor Anker gegangen waren, weil unsre neuen Freunde da gejagt hatten.
Da wir wenigstens eine Woche hier bleiben wollten, so wurde an Bord alles beschlagen und festgemacht, so daß, vom Eise aus gesehen, unser Schiff den Anblick bot, den unser Bild »An der Eisküste der Insel Unimak« veranschaulicht.[287]
Glücklicherweise hatten wir während der ganzen Zeit unsres Aufenthaltes helles, ruhiges Wetter ohne Sturm und Schneegestöber; auch von den gefürchteten Eisnebeln wurden wir ganz und gar verschont.
Nachdem noch während der ersten Nacht die Kessel zum Thransieden eingehängt und auch alle andern Vorbereitungen getroffen worden waren, ging es gleich am ersten Morgen unter Führung der Eskimobrüder auf den Robbenschlag. Alle sechs Boote wurden bemannt, jedes mit vier Ruderern und einem Steuerer. Ich saß natürlich in demjenigen, welches mein alter Harper kommandierte. Bewaffnet waren wir alle mit tüchtigen Knütteln.
Einige, unter denen auch ich mich befand, waren außerdem mit guten Doppelgewehren versehen, da die gefährliche Begegnung mit einem Eisbären keines wegs ausgeschlossen war.
Wir ruderten aus dem Busen hinaus und dann längs der Eisküste hin, an welcher sich bald Seehunde zeigten, erst einzeln, dann in immer größeren und gedrängteren Scharen. Da wir alle weiße Hemden übergeworfen hatten und durch sogenanntes lockeres, weißes Breieis fuhren, bemerkten sie uns nicht, zumal es noch nicht ganz heller Tag war. Aus diesem letzteren Grunde befanden sich sämtliche Alte noch bei den Jungen. Nach kaum einer Viertelstunde gelangten wir an eine Wiese, wie sie selbst der Traum uns nicht besser hätte ausmalen können. Sie hatte sich vom Festeise getrennt, aber nur so weit, daß ein schmaler, offener Wasserkanal dazwischen lag. Drei Boote ruderten in den letzteren hinein; die drei andern gingen am Außenrande hin, um die Robben von zwei Seiten zugleich zu nehmen. Unsre Illustration »Eine Seehundswiese« gibt davon ein genaues Bild.
Auf ein gegebenes, aber nicht lautes Zeichen legten alle zugleich an; wir stiegen aus, zogen die Boote schnell auf das Eis und gingen dann sofort an das Werk. Wir? Die andern, ja, doch ich noch nicht. Es überlief mich ein mit Grauen gemischtes Mitleid, als ich sah, daß ein jeder sich auf den nächsten Seehund warf, um ihn mit einem Hieb auf die Nase zu töten. Die Tiere hatten so große, schöne Augen und ein gar so hilfloses Aussehen. Uebrigens erschien es mir viel edler, sie zu erschießen. Aber das Gewehr ohne Not und Gefahr zu gebrauchen, war streng verboten, da alle Robben, so weit der Schall des Schusses reichte, sofort das Wasser aufgesucht hätten. Das Morden nahm also seinen stillen, heimtückischen Fortgang. Harper verstand das, was ich fühlte, nur zu wohl; darum sprach er keine Aufforderung aus. Er wußte aus eigener Erfahrung, daß das Jagdfieber mich sehr bald ergreifen werde. Und – – es packte mich allerdings schon nach kurzer Zeit. Als ich das Wild in solchen Scharen fallen sah, geriet ich in einen Zustand, als ob ich eine mehr als tüchtige Portion Grog getrunken hätte. Es trieb mich förmlich zu einer feisten Robbe hin, welche eben das Wasser gewinnen wollte. Ich holte aus – ein Hieb auf die Nase, sie war tot; der Geist der Eisgründe hielt mich fest, und ich gehorchte ihm, bis der Ertrag dieser ersten Jagd ein solcher war, daß Einhalt geboten werden mußte. Da wich die Aufregung von mir und ich bekam Ohr für die vielen, vielen armen Jungen, welche sich angstvoll und mühsam auf dem Eise umherschleppten oder bei ihren erschlagenen Müttern lagen und dabei genau wie kleine Kinder wimmerten. Ich schlich mich in mein Boot und setzte mich da einsam nieder, um nicht sehen zu lassen, daß es Salzwasser außer in der See auch im menschlichen Auge gibt. Mein Trost war, daß wir nicht nur sämtliche Jungen verschont, sondern auch sehr viele Alte absichtlich entkommen lassen hatten.
Die Matrosen schnitten nun die getöteten Robben auf, um ihnen die Häute und den Speck zu nehmen. Die ersteren wurden an Ort und Stelle in Bündel gewickelt und, wie in unserm Bilde veranschaulicht, an mitgebrachten Stricken nach den Booten geschleift. Wir hatten ihrer so viele, daß wir zweimal mit den beladenen Booten nach dem Schiffe mußten; dreimal aber fuhren wir mit dem Speck,[300] welcher im Laufe des Tages geschnitten und ausgeschmort wurde. Die zurückbleibenden Grieben gaben ein sehr gutes Heizmaterial.
Am nächsten Tage erlegten wir eine noch größere Menge Mützen- oder Haubenrobben, deren Pelz sehr gut bezahlt wird; wir geben von dieser Seehundsart eine wohlgelungene Abbildung. Ich muß so ehrlich sein, zu gestehen, daß ich auch da und späterhin immer mitschlug; es war eben schwer oder gar unmöglich, der Aufregung zu widerstehen. Nach fünf oder sechs Tagen nahmen wir einen andern und später abermals einen entlegeneren Ankerplatz. Zuletzt lagen wir vor der Insel Unalaschka und hatten eben volle Ladung gemacht, als die von uns verlassene Flotte dort ankam. Dieselbe war weiter oben in den Kenai-Sund eingedrungen, hatte da aber so schlechten Fang gemacht, daß wir außerordentlich beneidet wurden. Da diese Leute so rücksichtslos die Jungen töteten, gönnte ich ihnen ihren Mißerfolg von ganzem Herzen.
Wir hatten, vom Thrane gar nicht zu sprechen, über 9000 Felle erbeutet, unter denen sich auch Häute von Seebären befanden, und konnten sehr zufrieden sein, obgleich andre Schiffe noch glücklicher gewesen sind. So erlegten im Jahre 1881 27 Dampfer an der Nordküste von Neufundland zusammen 334513 Robben, was pro Schiff durchschnittlich über 12000 Stück ergibt, und der deutsche Dampfer »Franklin« brachte 1871 sogar 14000 Felle mit nach Hause.
Die Eskimos waren uns sehr nützlich gewesen; wir ließen sie nach ihren Verhältnissen reich belohnt zurück. Noch am Tage vor unsrer Abfahrt von Unalaschka erlebte ich mit Harper ein Abenteuer, welches mir unvergeßlich bleiben wird.
Vor Unalaschka liegt, nur durch einen schmalen Sund von ihr getrennt, die kleine Insel Spirkin, auf welcher ich durch das Rohr zwei Eisfüchse sah. Es verlangte mich, sie zu erlegen, und der Kapitän erteilte mir die Erlaubnis, mit Harper hinüberzugehen. Zu gehen über den Sund? Jawohl! Er war zwar nicht vollständig zugefroren, aber die losen Eisschollen, welche ihn bedeckten, lagen so nahe aneinander, daß man zwar mit dem Bote nicht hindurch, desto besser aber zu Fuße hinüber konnte. Wir nahmen Springstangen mit, ich auch mein Gewehr. Harper ließ das seinige zurück, um mir nicht Konkurrenz zu machen. Ich war begierig auf die Füchse und beeilte mich daher, die kleine Insel zu erreichen. Eben setzte ich den Fuß auf das Ufer, so hörte ich hinter mir Harper rufen. Ich drehte mich um. Er war langsam gegangen und befand sich noch auf der Mitte des Sundes. Dort lagen die Schollen nicht mehr ruhig wie vorher; das Wasser unter ihnen war plötzlich in Bewegung gesetzt worden und trieb die Schollen hier aus- und dort aufeinander. Mein alter Bootsführer hatte Mühe, sich auf der seinigen zu erhalten.
»Master Fred, ein Schwertfisch, ein Schwertfisch!« rief er mir zu. Ich sah dieses Tier nicht und kehrte zurück. Er aber rief mir zu, fern zu bleiben, da der Fisch unter dem Eise jedenfalls eine Robbe jage und es gefährlich sei, sich oberhalb desselben zu befinden. Ich ging dennoch mehrere Schritte weiter, bis auch die Stelle, an welcher ich mich befand, ins Wanken geriet. Da sah ich auf einer offenen Wasserrinne die halbmondförmig rückwärts gebogene Flosse des Fisches blitzschnell dahinschießen. Es wurde ihm, da der Seehund sehr gut schwimmt und taucht, nicht leicht, seine Beute zu erwischen; er trieb sie bald auf, bald ab, bald hierhin, bald dorthin. Harper stemmte sich mit Hilfe seiner Springstange fest; seine Scholle fuhr auf der einen Seite unter Wasser. In diesem Augenblicke schnellte sich ein dunkler Körper zu ihm herauf, so daß derselbe gerade vor seine Füße zu liegen kam. Einen Moment später schoß der Schwertfisch abermals vorbei. Der dunkle Körper war – – der gejagte Seehund, und ich wollte meinen Augen nicht trauen, als ich sah, daß sich das geängstete Tier mit den vorderen Ruderpfoten an Harpers Knie aufrichtete, ihn bittend ansah und dabei einen Ton hören ließ, welcher genau demjenigen eines um Hilfe winselnden Hundes glich. Da kehrte der wohl 5 m lange Schwertfisch zurück; er hatte den Kopf über Wasser, um die Scholle unterzudrücken. Ich fand gerade noch Zeit, das Gewehr anzulegen und ihm eine Kugel zu geben; sie warf ihn zur Seite, so daß er an der bedrohten Eisplatte vorüberflog und sich dann nicht wieder sehen ließ. Ich wußte damals noch nicht, daß der Schwertfisch auch im Eismeere vorkommt.
Die Schwankung der Scholle war jetzt so bedeutend, daß Harper sich niederkauern mußte; er hielt dabei den Seehund fest, was dieser sich ganz ruhig gefallen ließ. Man hatte drüben den Vorgang auch bemerkt und kam herbei, ihm zu helfen. Ich vergaß die Füchse[301] und dachte jetzt nur an die Robbe. Wie, wenn wir sie lebend auf das Schiff bringen könnten! Ich hielt das für sehr schwer, aber es war sehr leicht, denn das Tier war vor Angst und Anstrengung so abgemattet, daß es nicht an Widerstand dachte. Wir füllten einen leeren, eisernen Trinkwasserkubus mit Seewasser und gaben die Robbe hinein. Sie war ein einjähriges Männchen und wurde während der Rückfahrt der Liebling aller Schiffsmaaten, besonders aber der meinige. Ich nannte das zutrauliche Tier Robby, auf welchen Namen es heute noch hört, und wenn einer der »guten Kameraden« Lust hat, meinen Robby und die Kunststücke, welche ich ihm gelehrt habe, zu sehen, so sei er herzlich zu mir eingeladen; es steht ihm der freundlichste Empfang bereit, und sehr gern will ich ihm auch von andern interessanten Erlebnissen erzählen.[302]
Buchempfehlung
Der junge Wiener Maler Albrecht schreibt im Sommer 1834 neunzehn Briefe an seinen Freund Titus, die er mit den Namen von Feldblumen überschreibt und darin überschwänglich von seiner Liebe zu Angela schwärmt. Bis er diese in den Armen eines anderen findet.
90 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
442 Seiten, 16.80 Euro