4.

Der Kleidertausch

[46] In einer der Morgenstunden des nächsten Tages hielt ein leichter Jagdwagen, an den zwei feurige Braune gespannt waren, welche ungeduldig mit den Hufen scharrten und an den Zügeln zerrten, vor dem Schlosse zu Dessau. Auf dem Bocke saß der neue Leibknecht, welcher heut' seinen Herrn zum ersten Male fahren sollte.

Endlich erschien derselbe unter dem Portale und trat zu den Pferden.

»Das sind zwei heillose Sappermentscanaillen, höre Er. Die Probe, welche Er heut' im Fahren ablegen soll, wird Ihm nicht leicht werden!«

»Durchlaucht sollen zufrieden sein!«

»Hoffe es auch!« antwortete der Fürst, zum Schlage tretend, welchen ein Diener öffnete. »In Radegast wird Mittag gemacht und abgefüttert. Weiß Er den Weg?«

»Werde ihn schon finden, Durchlaucht.«

»Na, dann vorwärts!«

Ohne eine Bedienung aufzunehmen, rollte das Gefährte davon, zum Leipziger Thore hinaus und schlug dann die Straße ein, welche über Hensdorf, Radegast und Zörbig nach Halle führte. Am zweitgenannten Orte wurde, wie der Befehl gelautet hatte, ein längerer Halt genommen, und dann ging es wieder in scharfem Trabe weiter.

Der Fürst schien mit der vorzüglichen Führung seines muthigen Gespannes außerordentlich zufrieden zu sein. Er hatte sich in den weiten Ueberrock gehüllt und lag behaglich in einer Ecke des Wagens, mit munterem Auge die Umgegend musternd, obgleich er dieselbe in Folge des öfteren Hin- und Herpassirens genau kannte. Längst schon war man über Zörbig hinausgekommen und näherte sich eben der Stelle, an welcher das Geschirr in die von Brehna kommende Straße einbiegen mußte, als er sich plötzlich mit dem Oberkörper aus dem Wagen beugte, um einen Mann zu beobachten, welcher mit langen und eiligen Schritten vor ihnen herwanderte.

Es war eine hochgewachsene, breite Gestalt, durch deren Haltung und Bewegung sich der Mann als Militair gekennzeichnet hätte, auch wenn seine Kleidung nicht eine soldatische gewesen wäre.

»Alle Teufel, wenn das nicht der Korporal Nauheimer ist, welcher desertirt sein soll, so ist meinen Augen nicht mehr zu trauen. He, fahre Er 'mal zu, daß wir an den Kerl kommen, der da vorne läuft!«

Bei dem Namen Nauheimer hatte der Kutscher rasch aufgeblickt und brachte die Pferde in raschere Bewegung, noch ehe der Befehl dazu vollständig ausgesprochen war. Den Mann im erwartungsvollen Auge behaltend, murmelte er leise vor sich hin:

»Da wird man ja den Riesen kennen lernen, mit dem man mich zusammenstellt. Und desertirt soll er sein? Bin doch neugierig!«

Der Voranschreitende vernahm jetzt das Rollen des Wagens und drehte sich um. Kaum hatte er den Insassen desselben erblickt, so machte er Front und streckte sich in die zum Gruße vorgeschriebene Stellung. Der Kutscher parirte die Pferde; der Fürst legte sein Gesicht in die grimmigste Miene und fragte barsch und kurz:

»Korporal Nauheimer, wie kommt Er hierher?«

»Zurück vom Urlaube, Excellenz.«

»Wie lange hat man Ihm Urlaub gegeben?«

»Drei Tage, Excellenz.«

»Und wie lange ist Er fort?«

»Sechs Tage, Excellenz.«

»Er ist also Deserteur!«

»Zu Befehl, Excellenz,« ertönte die Antwort, während das Gesicht des Soldaten nicht die mindeste Spur von Angst oder Bestürzung zeigte.

»Er ist also mein Gefangener und wird in Halle Seine Strafe bekommen. Will Ihm, der als Unteroffizier ein gutes Beispiel geben sollte, lehren, so ganz nach Belieben vom Regimente wegzubleiben. Setze Er sich neben den Kutscher, und dann vorwärts!«

»Mit Permiß, Excellenz, habe, bevor ich aufsteige, erst meinen Rapport abzustatten!«[46]

»Seinen Rapport? Alle Teufel, ist Er etwa in dienstlichen Angelegenheiten desertirt? Wenn Er vielleicht meint, mir Etwas vorfasuliren zu können, so lasse ich Ihm das Fell noch extra gerben!«

»Excellenz, allerdings waren es dienstliche Angelegenheiten, welche mich verhinderten, zur rechten Zeit beim Regimente einzutreffen.«

»Will Er wohl Sein Maul halten, Er Erzflunkerer! Steige Er auf, sonst werde ich ihm eigenhändig auf den Bock helfen!«

»Zu Befehl, Excellenz,« und dabei machte er Miene, dem Gebote Folge zu leisten. »Aber dann werden wir sie auch nicht fangen!«

»Fangen? Wen denn?«

»Na, die Sachsen!«

»Die Sachsen? Halt! Stehen geblieben, und Rede und Antwort gegeben! Was für Sachsen sollen wir fangen?«

»Die Werber, die Excellenz so gern haben wollen, und die uns doch immer entgangen sind.«

»Die Werber?« Bei dieser Frage blitzten die Augen des Fürsten auf. »Hat Er vielleicht einen ihrer Schlupfwinkel entdeckt?«

»Zu Befehl, ja!«

»Wo denn?«

»In Bitterfeld.«

»Da? Diese Himmelhunde wagen sich sogar nach Bitterfeld! Na, ich werde ihnen die Suppe so versalzen, daß sie die Mäuler von Leipzig bis Merseburg verziehen sollen! Wo ist denn das Loch, in dem Er sie getroffen hat?«

»Bei dem Bäcker Wolstraaten.«

»Hat der Schwerenöther eine Trinkwirthschaft?«

»Ja, und sein Mündel ist meine Geliebte.«

Der Fürst blickte ihn überrascht an.

»So? Da geht es aber doch einem Mann an den Kragen, dem Er goutiren sollte!«

»Der Dienst geht vor die Liebe, Excellenz!«

»Er ist ein braver Kerl, Nauheimer, und Seinen Schaden soll er bei der Geschichte nicht haben. Wie viele sind es denn?«

»Es sind zehn Mann, die im Verborgenen die Gegend absuchen und ihren Fang zum Bäcker bringen. Dort werden die Angeworbenen in den Keller gesteckt, wo sie bis zu einer passenden Gelegenheit versteckt oder auch wohl gefangen bleiben; denn es wird bei der Sache nicht blos Ueberredung, sondern auch Gewalt angewendet.«

»Gut, den Keller wollen wir einmal leer machen. Wie lange Zeit hat das wohl noch?«

»Blos bis heute Abend.«

»Alle Hagel, das ist verteufelt wenig. Ehe man nach Halle oder wenigstens in das nächste Quartier kommt, vergeht ja schon eine ganze Ewigkeit, und ein von dort abgesandtes Detachement kann dann unmöglich noch zur rechten Zeit in Bitterfeld eintreffen. Und etwas Anderes giebt's ja nicht. Hm, hm! Wie sollen die Leute denn fortgeschafft werden?«

»Jedenfalls geht ein kleines Kommando Bedeckungsmannschaften einzeln und verkleidet über die Grenze. Bei Wolstraaten treffen sie sich, und dann werden die Rekruten bei Nacht und Nebel und auf Schleichwegen hinübertransportirt.«

»Hm! Wie viele sitzen denn auf dem Leime?«

»Sechszehn Mann; ich hab's von meinem Mädchen. Die soll zwar von der Sache nichts wissen, aber Weiberaugen sehen durch die dickste Mauer. Ich habe meinen Urlaub nur überschritten, Excellenz, um durch die Sophie der Geschichte richtig auf die Spur zu kommen!«

»Na, da will ich einmal Sein Beichtvater sein, Korporal Nauheimer und Ihm Absolution ertheilen. Jetzt aber wollen wir die Zeit nicht mit vergeblichem Grübeln verschwenden. Also aufgestiegen und dann fort, was die Pferde laufen können! Es wird unterwegs schon noch der richtige Gedanke kommen. – Nein,« fügte er hinzu, als der Korporal sich anschickte, neben dem Kutscher Platz zu nehmen, »setze Er sich herein zu mir. Er soll mir einen ausführlichen Bericht erstatten!«

Diesem letzteren Gebote wurde, während die Pferde trotz des schlechten Weges im raschesten Laufe dahinflogen, Folge geleistet, und bald war der Fürst nicht nur mit den letzten Erlebnissen, sondern auch mit allen Verhältnissen und Wünschen des Unteroffiziers bekannt. Da das Gespräch in lautem Tone geführt wurde, so vernahm auch der Wagenlenker jedes Wort, trotzdem er seit einiger Zeit ein Fuhrwerk, welchem sie sich näherten, scharf in die Augen genommen hatte, und als jetzt Leopold nachdenklich brummte: »So, also der junge Habermann aus Dessau will Ihm das Mädel wegfischen? Das wird Er sich doch nicht gefallen lassen!« wandte er sich zu dem Sprecher zurück und bemerkte, nach vorwärts deutend:

»Durchlaucht, da vorn fährt er, der Habermann!«

»Was? Hat den der Teufel auch schon hier? Wohin mag der nur wollen?«

»Nach Bitterfeld, zum Bäcker Wolstraaten, Durchlaucht.«

»Wie kommt Er auf diese Idee? Der wird wohl nicht acht Stunden umfahren; der grade Weg geht doch über Ragulm und Jeßnitz, und überdies hätte er da unten links einbiegen müssen!«

»Vielleicht hat er hier herum ein Geschäft abzumachen und richtet es so ein, daß er des Nachts bei dem Bäcker bleibt. Ich weiß ganz gewiß, daß er zu ihm will.«

»Woher denn?«

»Er sprach gestern bei Mutter Röse mit seinem Sohne davon, daß er heut' die Heirathsgeschichte in Ordnung bringen will.«

»So so, hm, hm! Alle Wetter, da kommt mir ein Gedanke. Laß' Er die Pferde ausgreifen, daß wir den Kerl schnell einholen!«

Das Gespann sauste im gestreckten Galoppe dahin, fuhr an dem Getreidehändler vorüber und hielt dann mitten auf der Straße, sich quer über dieselbe legend, sodaß Habermann nicht vorbei konnte. Dieser ließ auch halten, zog ehrfurchtsvoll die Mütze und grüßte, indem er sich respectgemäß erhob.

»Höre Er, Habermann, was hat Er denn hier in der Welt herum zu fahren? Wo will Er hin?«

»Nach Landsberg, Durchlaucht.«

»Was hat Er da zu thun?«

»Eine Partie Roggen kaufen. Soll ein gutes Geschäft sein zum Beispiel; habs unterwegs erst gehört.«[47]

»Unterwegs? So hat Er also gar nicht nach Landsberg gewollt und wird wohl auch über die Nacht nicht dortbleiben?«

»Nein, Durchlaucht.«

»Wo soll's denn hingehen?«

»Nach Bitterfeld.«

»Da hat Er noch verteufelt weit. Was hat Er denn dort zu suchen? Giebts auch Roggen zu kaufen?«

»Familienangelegenheiten, Durchlaucht.«

»So, da hat Er also keine Verluste, wenn Er heute gar nicht hinkommt. Höre Er 'mal, Habermann, will Er mir wohl 'nen Gefallen thun?«

»Wenn ich zum Beispiel kann, mit tausend Freuden!«

»Das ist schön von Ihm. Viel Hudelei wird's Ihm nicht machen; wollen blos 'mal unsre Wagen umtauschen.«

»Die Wagen? Umtauschen? Wie käme ich denn zum Beispiel – –«

»Halte Er das Maul mit Seinem Beispiel und parire Er Ordre! Also ausgestiegen!«

Während der Getreidehändler vom Wagen sprang, verließ auch der Fürst den seinen.

»So! Komme Er 'mal näher! Ich glaub', wir haben eine Länge mit einander, und über allzu großes Fett kann Er sich ebenso wenig beklagen wie ich.«

»Durchlaucht –« tönte die verlegene Antwort, da der Sprecher nicht wußte, wo das Alles hinaus sollte.

»Da wird mir also Sein Rock nicht ganz schlecht sitzen, und in dem Meinen braucht Er sich auch nicht zu schämen.«

»Durchlaucht, wenn ich fragen dürfte, warum zum Beispiel –«

»Will Er wohl auf der Stelle Sein albernes Beispiel weglassen! Werde Ihm schon sagen, was Er zu thun hat! – Muß heut' noch einen kleinen Abstecher machen, aber ohne daß mich Jemand kennt. Weil nun mein Wappen an dem Wagen ist, so soll Er mir den Seinen geben; Seine Mähren kann Er aber behalten. Und mit dem Habite machen wir es ebenso. Da in den Sträuchern können wir umwechseln, ohne daß wir einander anzugaffen brauchen!«

Habermann stand vor Erstaunen da wie vom Blitze getroffen und zog dabei ein so verdutztes Gesicht, daß der Fürst laut auflachen mußte, während er sich an den Kutscher wandte:

»Und Er giebt hier Dem da Seine Livree! Der Nauheimer wird derweile bei den Pferden bleiben. Verstanden?«

»Sehr wohl, Durchlaucht!« antwortete der neue Leibknecht mit einer Miene, in der sich das ganze Vergnügen aussprach, welches er an dem ungewöhnlichen Abenteuer empfand.

Er zog, während der Korporal zurückblieb, den Knecht Habermanns mit sich fort, und bald war nur noch die scheltende Stimme Leopolds zu hören, welcher sich in der unbequemen Arbeit nur schwer zurechtfinden konnte.

Die beiden Rosselenker waren am ersten mit der Umänderung ihres äußeren Adams fertig; schon hatten sie die Pferde umgeschirrt und saßen wartend auf ihrem Platze, als endlich die beiden Andern erschienen. Es war wirklich auffallend, welche Aehnlichkeit Habermann jetzt in der Montour mit dem Fürsten hatte, und der Letztere sah in der Kleidung des Ersteren ganz wie ein alter, ehrsamer Spießbürger aus.

»So, das wäre gemacht! Denke Er nicht etwa, daß ich nur aus reinem Appetite in Seine alten Hosen gefahren bin. Es geht diesmal nicht anders, weil mir keine Zeit übrig bleibt. Und daß Er Seinen Schnabel hält über die ganze Geschichte, das sage ich Ihm, sonst hat Er's mit mir zu thun!«

Er zog seine Brieftasche hervor, riß ein Blatt aus derselben und kritzelte einige Augenblicke darauf herum.

»Nun passe Er auf, was ich Ihm jetzt befehlen werde. Er fährt jetzt, so sehr Seine Ziegenböcke laufen können, nach Halle; dem Wachtcommandanten am Thore giebt Er diesen Zettel, und das Uebrige wird sich finden. Hat Er's capirt, he?«

»Ja.«

»Na, so steige Er auf! Morgen sehen wir uns wieder. Korporal Nauheimer, Er kann sich wieder zu mir in den Wagen setzen! Vorwärts jetzt!«

Der Leibkutscher lenkte um, und in fliegender Eile ging es erst zurück und dann auf der Straße nach Brehna weiter. Als sie das Städtchen erreichten, war es bereits dunkel, und die engen Gassen wurden nur von einigen Laternen erleuchtet, welche hier und da vor der Thür eines Gast- oder Wirthshauses brannten. Eben fuhren sie an einem solchen vorüber, als der Korporal sich zurückbog, um einen Mann schärfer anzusehen, welcher unter dem Thore gestanden hatte; aber die Entfernung war schon zu bedeutend, um die Gesichtszüge desselben zu erkennen.

»Was war's denn, Nauheimer?«

»Es war mir grad' so, Excellenz, als ob der Wolstraaten dortgestanden hätte.«

»Da hat Er sich sicher geirrt. Der wird sich hüten, heut' Abend aus dem Hause zu gehen, wo solcher Besuch zu erwarten ist.«

»Er weiß doch nicht –«

»Papperlapapp, ich meine die Sachsen. Wollen sie aber schon kriegen, die Schurken! Ich bin der Getreidehändler Habermann – na, das geht ja jetzt so toll bei mir her, daß ich zuletzt selbst nicht mehr weiß, wer oder was ich bin, hahaha! Gestern war ich ein Zwie–wie–hahahaha – ein Zwie–wie–wiebelhändler, heut' spiele ich den Getreidewurm – hahahaha – und wer weiß, was Alles noch bis morgen aus mir werden kann. Also ich bin der Getreidehändler Habermann und komme, um die Heirathsgeschichte in Ordnung zu bringen; der Leibkutscher ist mein Knecht – hört Er's?« frug er, sich zu dem Erwähnten vorbeugend – »und Er, na Er hat keine Rolle, sondern Er soll uns nur führen und dann Seine Augen offen halten.«[48]

Der Jagdwagen mit dem fürstlichen Wappen und den beiden Kleppern bewegte sich zögernd nach Halle zu. Hans, dem Knechte, ging das soeben gehabte Erlebniß wie mit Windmühlenflügeln im Kopfe herum, sodaß es ihm ganz gleichgültig war, ob die Pferde überhaupt liefen oder sich in den Straßengraben legten, und Habermann konnte ebenso wenig aus dem Ereignisse klug werden. Er grübelte und grübelte, was dies Alles wohl zu bedeuten habe, aber es wollte ihm lange nicht das rechte Licht kommen, bis ihm endlich ein einziges Wort den Verstand zurückbrachte.

»›Korporal Nauheimer, Er kann sich wieder zu mir in den Wagen setzen!‹ hat der Alte gesagt, und so hieß ja zum Beispiel der infame Bengel, der meinen Jungen in den Wassertrog gelegt hat! Da steckt Etwas dahinter. Ob die nicht vielleicht nach Bitterfeld fahren! Der Kerl soll gut beim Fürsten stehen, und da weiß man nicht, was es geben kann. Ich muß mir nur einmal den Zettel ansehen, den ich am Thore abgeben soll!«

Er zog ihn aus der Tasche und versuchte, seinen Inhalt kennen zu lernen; aber das war ein Unternehmen, welches seine hier ohnehin schwachen Kräfte überstieg, und so steckte er ihn denn unbefriedigt wieder zu sich.

»Hm, das ist ja eine ganz verwickelte Geschichte! Da soll ich zum Beispiel nach Halle fahren, versäume dabei aber meinen Handel in Landsberg, und in Bitterfeld wird mir unterdessen vielleicht gar der Braten vor der Nase weggefischt. Den Handel möchte immerhin der Kuckuk holen, aber die Heirath zum Beispiel, die Heirath, die darf ich mir nicht entgehen lassen. Die Erbschaft aus Harlem oder so daherum, das ist die Hauptsache; aus dem Fürsten brauche ich mir nichts zu machen, und den Zettel kann ich ja mit Gelegenheit nach Halle besorgen! – Hans, kehre um! Wir fahren nach Bitterfeld!«

Der Angerufene schrak aus seinem tiefen Sinnen auf, nahm die zwei Gedanken, welche ihm noch geblieben waren, zusammen und zog die müden Thiere herum.

»Nach Bitterfeld? Ohne erst noch 'mal einzukehren? Ja, beim Schimmel ginge es wohl, aber es geht nicht, weil's der Fuchs nicht aushält; dem liegt's schon seit Langem in den Gliedern!«

»Fahre nur zu! Zum Ausruhen ist's zum Beispiel in Brehna oder weiter unten noch Zeit!«

Es wurde dunkel. Kurz vor Brehna begegnete ihnen ein einzelner Fußgänger.

»He, guter Freund, wo soll denn der Weg hingehen?« fragte Habermann.

»Nach Halle will ich; aber die Thore werden wohl schon geschlossen sein, wenn ich hinkomme.«

»Habt Ihr denn nothwendig dort?«

»Freilich, sonst würde ich doch lieber in dieser späten Tageszeit zu Hause bleiben!«

»Na, da will ich Euch durch die Thore helfen. Gebt zum Beispiel einmal diesen Zettel an den Wachtcommandanten ab; es steht eine Nachricht für ihn darauf, und bei dieser Gelegenheit kommt Ihr ungehindert in die Stadt.«

Der Fremde trat an den Wagen, um das Papier in Empfang zu nehmen. In dieser unmittelbaren Nähe war es ihm möglich, die Uniform zu erkennen, und respectvoll zog er die Mütze.

»Schönen Dank, Herr Offizier, das soll gut besorgt werden!«

»Das will ich hoffen! Es wird auch Euer Schade nicht sein, denn Ihr werdet zum Beispiel ein schönes Trinkgeld bekommen!«

Mit diesem Versprechen beabsichtigte Habermann, den Diensteifer des Mannes anzuspornen; dieser grüßte noch einmal und schritt dann eilig davon.

»Das paßt gut!« flüsterte er vor sich hin. »Wenn die Sachsen kommen, mache ich mich allemal aus dem Staube, damit es mir nicht an dem Kragen geht, wenn sie einmal erwischt werden. Das Geld habe ich voraus, und sie kennen die Schliche im Hause so gut, daß sie ihre Leute auch ohne mich finden. Und übrigens ist ja die Rosine da; auf die kann ich mich verlassen. Die Hauptsache ist ein – ein – ein Alibi, wie's die Juristen nennen, der Beweis, daß ich nicht zu Hause, sondern wo anders gewesen bin, und in Halle hole ich mir diesen Beweis am sichersten, denn was Einer vom Militair sagt und bezeugt, das gilt in solchen Dingen mehr, als was ein gewöhnlicher Mann behauptet, der keine bunten Fetzen trägt.«

Er verbarg das Papier gut in seinem Rocke, ohne den Inhalt desselben zu ahnen, welcher also lautete:


»Riettmeißter von Gallwitz sofohrt mit Seyner Escadron nach Bitterfeld. Ist eylig! Mich beym Bäcker Wollstraden trehffen. Ueberbrynger ist der Gedreydehändler Hawerman aus Dessau. Ihm feßthalden und mietbryngen.

Leopold.«


Während der vertrauensvolle Bote seinen Weg fortsetzte, näherte sich der Wagen Habermanns dem Städtchen und passirte dasselbe, ohne anzuhalten. Die Pferde wollten, von der zurückgelegten weiten Tour ungewöhnlich angestrengt, nicht mehr recht weiter, die Finsterniß wurde immer dichter und es fröstelte die beiden Männer, welche so unerwartet zu Ehren und Würden gekommen waren.

»Wir könnten doch unsre armen Thiere eine halbe Stunde verschnaufen lassen!« raisonnirte Hans.

»Das geht nicht! Das muß doch zum Beispiel ein jedes Kind einsehen, daß wir in unsern Kleidern uns hier nicht sehen lassen dürfen. Bei mir hätte es zwar keine Noth, aber Du zum Beispiel, Du –«

»Was denn ich?« fiel ihm der Knecht ärgerlich in die Rede. »Denkt Ihr denn etwa, daß ich den Kammerjäger oder den Leibhusar oder was ich jetzt vorstellen soll, nicht spielen kann? Das ist mir Wurst wie Schale, warum[55] also nicht einkehren? Es ginge schon, aber es geht nicht, weil Euch der Offizier zu schwer fällt!«

»Was? Der Offizier? Mir schwer fallen? Wenn Du das noch einmal sagst, so jage ich Dich auf der Stelle fort, und dann kannst Du zum Beispiel leibjägern oder kammerhusaren wo und wie es Dir beliebt; aber jetzt bist Du mein Husarenjäger und da hast Du vor allen Dingen Respect zu haben. Verstehst Du mich?!«

»Na, warum denn nicht? Da mögen die Pferde meinetwegen hungern, daß die Schwarte knackt, aber warum ich als Stallmeister auch mit hungern soll, das möchte ich wissen, Herr Generalrittmeister!«

»Hunger hast Du?« erwiederte Habermann, durch diesen unmöglichen Titel geschmeichelt. »Ja, das ist ein miserables Gefühl, und so wollen wir zum Beispiel bei der nächsten Gelegenheit 'mal einkehren und sehen, ob etwas zu beißen zu bekommen ist. Aber da werde ich Dir auch beweisen, daß ich aufzutreten verstehe, wie ein Feldmarschall.«

Er fuhr sich mit den beiden Händen in das Gesicht, versuchte seinem Schnurrbarte eine martialische Biegung nach oben zu geben und zog die Stirn in so bedrohliche Falten, daß die Augenbrauen fast auf die Nase zu liegen kamen.

»So, das ist die richtige und wahrhafte Generalstabsmiene. Fahre zu, Hans; wir werden schon noch an ein Wirthshaus kommen, wo Du Dich zum Beispiel über mich wundern sollst!«

»Na, ich habe heut' schon mein blaues Wunder vor Augen gehabt. Wenn ich's nur auch begreifen könnte, was der Fürst eigentlich vorhat. Es ginge wohl, denn ich bin all' mein' Lebtage nicht dumm gewesen, aber es geht nicht, weil mir das Nachdenken noch niemals nicht Etwas geholfen hat! Ahü, Schimmel, ahü, Fuchs, sonst sollt ihr sehen, daß ich Stallhusar geworden bin!«

Quelle:
Unter den Werbern. Humoristische Episode aus dem Leben des alten Dessauer von Karl May. In: Deutsches Familienblatt. 2. Bd. Dresden (1876). Heft 4, S. 55-56.
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