[132] »Sie denken, liebe Kleine,
Noch manchmal, wie ich meine,
An Stanislaus Baron von Frascata,
Den man auf jedem Balle,
Blind für die andern alle –
Wie Ihren Schatten Sie verfolgen sah.
– – – – – – – – – – – – – – – – – –
O schöne Zeit – wo ich sie täglich sah –
Voll Anmut plauderte ihr kleiner Mund –
Dann trotzten Sie – doch ich vergaß beinah',
Was dieses Briefes eigentlicher Grund!
Ein reicher Herr vom Stande –
Mir wert durch Freundschafts-Bande –
Baron von Gondremark reist ab von hier,
Um nach Paris zu gehen
Und dort sich umzusehen.
Sein einziger Reisezweck ist das Pläsier!
Er bat mich – ihn ein wenig einzuweihen,
Wo man sich dort am besten amüsiert.
Ich lächelte – Sie werden schon verzeihn!
Und hab' ihn an Metella adressiert.
Ich kenne Ihre Güte,
Ihr herrliches Gemüte –
Drum bitt' ich – nehmen Sie sich seiner an!
Wenn Sie die Zügel führen,
Wird er sich amüsieren –
Tun Sie für ihn, was Sie für mich getan!«
Meilhac u. Halévy (Pariser Leben)
Diese entzückende Briefarie des Barons von Frascata an Metella, die Kurtisane, bezeugt uns, was das bloße Spiel der Liebe – fern von ihrem erhabenen Ernst – was die mondäne Liebe, die galante Liebe, die tändelnde Liebe zu sein vermag, in hochkultivierten Händen. Hier wird in der Kurtisane das Weib noch geschätzt und verehrt. Die Dankbarkeit eines Mannes, der sie genoß, findet hier ihre entzückende Sprache: »O schöne Zeit, da ich sie täglich sah.« Er überantwortet ihr einen Freund – »Tun Sie für ihn, was Sie für mich getan« – und weit entfernt, diesen Vorgang als »moralisch mangelhaft« zu empfinden, huldigt er dabei noch der Erinnerung der gemeinsamen Stunden.
Die galante Liebe zum Unterschied von der passionierten Liebe ist ein unentbehrliches Requisit der Kultur, sie kann selbst die Prostitution adeln. Es hat Zeiten[132] gegeben, in denen die Kurtisane einen hohen weiblichen Typus repräsentierte. Die antike Hetäre hatte nichts gemein mit dem traurigen »Freudenmädchen« von heute. Es hat Zeiten gegeben, in denen sich »amoureuse« Frauen, solche, denen die Liebe ein Spiel war, mit hoher Kunst geübt, im Vollbesitz ihrer weiblichen Würde behaupteten. Die antike Hetäre erlebte ihre bessere Wiedergeburt in der Liebhaberin der Renaissance. Sie strahlt durch die Jahrhunderte. Engel und Furie in einer Person, Genie der Liebe, war sie nicht selten auch Genie der Kriegskunst und der Regierung. Ein Bronnen des Entzückens war sie dem Mann – dem Mann ihrer Epoche, der noch zu genießen verstand. Von der Amazone Katharina Sforza wissen wir, daß nur ein Ding ihr so wichtig erschien wie das Handwerk des Krieges – welches sie so übte, daß Italien sie mit erhabenem Schauer seine Primadonna nannte – und das war die Pflege ihres köstliches Leibes und die Pflege der Liebe. Später, im ancien régime, tauchte noch einmal das Phänomen des Liebesspieles als galante Liebe auf, die von der Gesellschaft anerkannt wird. »Das ancien régime wacht über solchen Freundschaften mit den Augen der Strenge. Die Ehe war das reine Jagdgebiet, aber von Verhältnissen dieser Art verlangt man Treue«19. Man ahnte und wußte in solchen Epochen, daß selbst in den Vorgängen der hetärischen Liebe ein Stück von dem Göttlichen sei, das der erhabenen Liebe eignet, daß das bloße Gefühl der Sympathie, der Freundschaft, der Herzlichkeit, das in irgendeinem Momente zwei Menschen sich aneinander schmiegen macht und das das Weib bewegt, seinen Schoß zu öffnen – diesen Vorgang in sich selbst rechtfertigt. Daß sogar die Dirne liebt, läßt Zola durch den Mund Nanas ausdrücken: »Si je n'aime rien, je ne suis rien.« Sein und lieben ist ihr eins. Undine ist ein[133] Elementargeist, wenn sie nicht ein geküßtes Weib ist. Die galante Liebe ist zum Teil auch eine unbewußte Verschanzung der Menschen gegen die gefährliche Liebe, gegen den mörderischen Eros. Aber nur in hochgesitteten Händen verliert sie nicht das Köstliche, das Befreiende ihrer »Idee«, bleibt sie glitzernd und strahlend, Tiefen ahnen lassend trotz ihrer »Oberflächlichkeit« – wie die Tautropfen es sind, »die den morgendlichen Wiesen solche Tiefe geben«20. Die galante Liebe hat aber noch ein anderes besonderes Phänomen. Sie ermöglicht, wie keine andere Art der Liebe, die Selbstbewahrung des Individuums. Jener Vorgang, den wir den furchtbaren Einbruch in ein anderes Ich nannten, kommt hier nicht vor. Dabei eint sie die Vorzüge aller anderen Liebessurrogate – der sozialen, der entladenden und der anschmiegenden Liebe. Und sie ist weniger gefährlich als die wahre Herrin Liebe, die zur letzten Preisgabe, zur letzten Hingabe des eigenen Ich treibt, besonders für die Frau. Frauen neigen natürlicherweise dazu, sich zu »erschließen«, wie die Tulpen, die man draußen auf der Straße mit zusammengelegten Blütenblättern – also in Form! – ersteht, die aber, kaum daß sie ins warme Zimmer gebracht sind, ihre paar Blättchen weit auseinanderfallen lassen, daß man bis auf den Grund hineinblicken kann in ihren geheimnislosen Kelch. Das Geheimnis wahren, ist aber ein Gesetz der Liebe. Bei aller Hingabe, bei aller Freiheit und Ehrlichkeit des Wesens, soll es eine letzte Schicht geben, die das Individuum für sich behält, und wenn es sie preisgibt, so muß es die Gabe haben, sie zu erneuern; darum hat die Gesellschaft Formeln des Verkehrs erfunden, die allesamt einen einzigen Zweck haben: den der Zurückhaltung, den der Bewahrung des Individuums. Und in dieser Übung der Zurückhaltung liegt, genau besehen, ein tief altruistisches Motiv: denn was zurückgehalten wird, ist das eigene[134] Ich, was Raum gewinnt, sind das andere Ich und die Objekte.
Von allen »Surrogaten« der Liebe kann der Mann die mondäne Liebe am besten vertragen. Ja selbst im echten Liebesverhältnis ist wahrzunehmen, daß, sowie der Ausdruck des Gefühls die »mondäne« Grenze überschreitet, eine Gefahr in die Beziehung kommt. Der leichte gesellschaftliche Ton ist für den Mann eine förmliche Erleichterung, macht ihn am ehesten seine Sehnsucht nach dem fast immer unerreichbaren Liebesidol vergessen. Tragische »Töne« beängstigen ihn. Darum ist auch die »Salonschlange« mit ein Ideal des kultivierten Mannes. Die Gefahren, die von diesem Ideal kommen, sind freilich nicht zu übersehen. Nicht selten wird dadurch eine starke Gefühlsart gebrochen und gebogen, bis sie nach diesem Anspruch zugestutzt ist und die stolzesten Herzen werden so verbildet.
Aber der tiefe Sinn der galanten Liebe, der, der sie zu einem Kulturfaktor macht, ist der, daß sie vor dem mörderischen Eros beschützt, daß sie ein System darstellt, nach welchem die Gewalt, die rasende, schrankenlose Gewalt elementarer Mächte, bezähmt, und in Formen gebracht wird, in denen sie den Menschen dient, anstatt sie zu zermalmen. Sich nicht von erotischen Erlebnissen unterjochen, erdrücken, zermalmen zu lassen, ist der Sinn der »spielenden« Liebe. Sie aus der Zone des ungebändigten Elementargeschehens herauszuheben und sie zu beherrschten, grazilen Instrumenten des Verkehrs zu machen. Auch Götter tändeln und lieben galant. Wir hören von olympischen »Spielen«! Dieses Liebesspiel aber erfordert hochkultivierte Beherrscher, sonst wird es Äfferei oder Mißbrauch oder eine unappetitliche, unanständige Sache. Der Liebesernst stehe als Ziel der vollkommenen Zusammengehörigkeit hinter jedem solchen »Spiel« – denn jede Liebe, durchaus nicht nur die galante, jede Annäherung[135] der Geschlechter beginnt mit diesem Liebesspiel. »Ein Spiel ist die Liebe. Ein Spiel um den Ernst. Wenn nur beide in fröhlicher Spielkraft bleiben! Sonderbare Figuren entstehen, Konstellationen sind plötzlich da – man weiß nicht woher, wie Gestalten auftauchen im Dunkeln, im Dämmern, die sich bei Licht als gewöhnliche Gegenstände entpuppen. Nur Mut, nur näher hingesehen, nur unbeirrbar bleiben! Es wird heller werden! Es sind nur Spielgespenster, soferne ihr wollt. Aber, sowie der Spuk beginnt, werden die meisten ungebärdig. Und furchtsam. Und werfen die Flinte ins Korn. Der Spieltrieb fehlt ihnen, dieser der Kunst so nahe verwandte21.«
Der Spieltrieb fehlt ihnen! Spiel und Ernst wird von diesem Geschlechte der Heutigen in gleicher Weise verstümpert. Gleich unfähig ist man heute – in dieser Epoche vollkommener Talentlosigkeit zur Liebe – gleich unfähig die Zartheit des Spiels nicht zu erdrücken, es nicht zur Posse zu stempeln, zur Zote, als auch den »Ernst« nicht zur Tragödie werden zu lassen, voll unholder, lebenzerstörender Vorgänge. Man ist unfähig, das Spiel galant zu erhalten, und die Galanterie der Seele, wie sie im Rittertum ihre höchste Erscheinungsform fand, ist dahin. Äffische, hohl äußerliche Faxen sind an ihre Stelle getreten, und der »Ernst« der Liebe der Heutigen ist voll Dunst und Schweißgeruch und zertrampelt die heitere Anmut der Vorgänge der Liebe. Dieser trampelnde, schwitzende »Ernst«, oder aber frivole Geilheit sind tatsächlich die häufigsten Formen, in denen die Liebe heute in Erscheinung tritt. Das Köstliche eines gemeinsamen Liebesspiels ist zu allermeist ein unbekannter Begriff.
Daß dieses Spiel nicht eine Forderung der Lüsternheit zu sein braucht, sondern daß es tief mit dem Gedanken einer Höherentwicklung der Menschheit zusammenhängt,[136] hat uns ein Dichter und Denker in einem unsterblichen Werke bewiesen. Er hat damit eine Ahnung in uns, die wir an dem Erdenstaub und -schweiß, mit dem die Liebe auf diesem Planeten beladen ist, leiden, deutlich gemacht und sie zur vollen Bewußtheit erhoben. In dem Roman der Romane »Auf zwei Planeten«, den uns das Genie von Kurt Laßwitz beschert hat, ist dargestellt, was das Spiel der Liebe seiner Natur nach, seiner Idee nach sein kann. Der Dichter führt uns auf den Mars. Wir finden dort ein Geschlecht, das in seiner kulturellen und physiologischen Entwicklung uns um hunderttausend Jahre voraus ist. Alles, worüber wir auf diesem Planeten keuchen und ächzen, woran wir so unsäglich schwer tragen und wovon wir uns nicht befreien können, weil es vom Wesen der Erde ist, und uns, die wir auf dieser Erde geboren sind, daher zugehörig, all diese Schwere, die uns niederzerrt und das Göttliche in uns immer wieder lähmt, all dies dunkle, dumpfe Irdische, die Numenheit – das sind die Marsbewohner – ist davon frei, frei einfach durch den anderen Stoff ihres Planeten. Intellektuelle und ästhetische Werte sind bei ihnen zu höchster Klarheit gediehen und aufs reinlichste gesondert, nicht in verwirrendem Zwiespalt wie bei uns. An körperlicher Bildung sind sie uns ähnlich, nur eben vervollkommt und von der Mühsal der Schwerkraft befreit. Marsbewohner und Erdbewohner stoßen in dem Laßwitzschen Roman zusammen und siehe, es entsteht Liebe. Als aber der Erdbewohner die Hand ausstreckt, die Nume zu binden, da verweist sie ihn – auf das Spiel. Er, der Irdische, kann nicht verstehen, was die Liebesspiele der Martier bedeuten. Allüberall sieht er ihre sittliche Vollkommenheit, durch die sie die Konflikte, um derentwillen es auf Erden Blut und Jammer ohne Ende gibt, reinen Geistes lösen – wie also ist ihr Spiel mit der Liebe gemeint, da es frivol doch nicht gemeint sein kann. Es ist nichts anderes als die vollkommene Bewahrung des[137] eigenen Ich und der vollkommen erhaltene Respekt vor dem fremden Ich, die bei den Numen, auch in der Liebe erhalten bleiben. Der Zwang der Leidenschaft, in deren dunklem Zeichen wir Erdbewohner stehen und die bei uns die vielfache Vergewaltigung des anderen Ichs in der »Liebe« gedeihen läßt – er hat über die Nume keine Macht. Frei bleibt ein jedes Ich und vereinigt sich in göttlichem Spiel, hinter dem der Ernst der Schöpfung steht, mit dem anderen. Der Sündenfall, der Verlust der Unschuld – das ist der eigenen Freiheit – wird nicht begangen. Und die Martierin entgegnet dem Erdensohne auf seine Werbung: »Aus dem reinen Spiel des Gefühls verfiele ich in den Zwang der Leidenschaft, die Freiheit verlöre ich und müßte niedersteigen mit dir zur Erde.« Und: »Größer und schöner mag euere Erde sein, aber ich müßte dort sterben in ihrer Schwere. Und schwer wie die Luft sind euere Herzen. Ich aber bin eine Nume.«
Güte, tiefe Güte, wirkliche Sympathie, reine selbstlose Neigung, die dem anderen Ich voll zugewendet ist, soll hinter dem »Spiel« stehen, wie hinter dem letzten Ernst. Nur besser – weil geübter im Bedacht auf die fremde Persönlichkeit, mit der sie sich zum freundlichen Genuß verbinden – können die Menschen werden durch solches »Spiel«. Dieses Spiel erfordert mehr Altruismus als die Hingabe der großen fraglosen Liebe. Denn was ist diese? Sie ist die mühelose, weil fast organische Zusammengehörigkeit. Die große Liebe – der erhabene Liebesernst – das ist die restlose Harmonie zweier Menschen. Und sie ist da, wenn die »Zellen« der beiden so füreinander geschaffen sind, daß sie einander bejahen und bestärken, fast wie ohne Zutun des Willens. Das gibt die Bedingung der vollen Harmonie, welche zur »großen Liebe«, zum letzten weihevollen Liebesernst führt. Was bleibt aber[138] da dem Willen, insbesondere dem altruistischen Willen, noch zu tun? Er braucht, um das andere Ich zu bejahen, zu bestärken, zu schätzen, zu verstehen, nur sich selbst zu bejahen, zu bestärken, zu schätzen, zu verstehen!
In jener anderen Liebe aber, die da einsetzt als Kampf und Spiel – hat der altruistische Willen eine größere Leistung zu vollbringen. Wenn unter solchen Umständen einer dem anderen sich hinbieten will, so hat er als ersten nur durch Altruismus zu überwindenden Widerstand – die Natur, die Art des anderen als ein Fremdes, ihm nicht durchaus Gemäßes vor sich. Nur die Versenkung in diese andere »Art«, nur die bewußte Hintansetzung der Forderungen der eigenen Natur ermöglicht da ein gemeinsames Glück. So wird das »Spiel«, von Edlen gehandhabt, zum Erzieher zur Güte, Nachsicht, Demut.
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