Johann Heinrich Merck

Rhapsodie

Der Herrn Poeten gibt es viel;

Zehn fehlen, einer trifft das Ziel.

Mein liebes Deutschland hast du denn

Drei Dichter auf einmal gesehn?

Es trägt in funfzig Jahren kaum

Ein Sprößchen unser Lorbeerbaum.

Doch greift darnach ein jeder Tor

Als käm's auf allen Hecken vor.

Man sagt, was mag die Ursach sein

Von diesem wunderlichen Schrein?

Der Bär ja doch nicht fliegen will,

Das Pferd nicht will die Wand hinauf,

Der Hund ja gerne stehet still

Beim breiten Fluß in vollem Lauf.

Allein das arme Menschentier

Zankt sich mit der Natur herum,

Und wenn sie ruft: »Nicht weiter hier!«

So kehrt es darum doch nicht um.

Wo sein Genie nicht will, just dort

Will es, allein es kann nicht fort.


Wer herrschet über Reich und Land

Von hier aus bis nach Samarkand –

Bei der Gesetz-Kommission

Als Präses – auf der Russen Thron

Den Frieden zu Focsany macht –

– Und hat auf die Kometen acht,

Und sieht sie um eintausend Jahr

Auf seinem Blatt Papier vorher;

Der hat Genie, und braucht's, fürwahr!

Allein der Dichter braucht noch mehr!


Der Junge von Zigeunerart

Der unterm Baum empfangen ward,[1200]

Und der auf einem Bauholz zart

Kam an das Licht der Welt hervor;

Der Fündling auf dem Mist – am Tor;

Der junge muntre Savoyard

Der künftig Schuh und Schornstein fegt,

Die Butte, die Muskete trägt;

Die jungen Herren allzumal

Die kommen, glaubet meinem Wort

Im Audienz- im Richtersaal

Auf Kanzel, Pult, und jedem Ort

Gewißlich eher alle fort,

Als wen in seinem Zorn Apoll

Zum Dichter schaffen will, und soll.


Nach eurer Ware fragt man nicht.

Wo kommt euch nun die Kundschaft her?

Und was man braucht, das habt ihr nicht,

Gesetzt man frag auch ohngefähr.

Für Kirche, Hof und Stadt und Land

Sind eure Schachteln alle leer

Und von euch Herren ist's bekannt

Ihr sorget für die Zukunft schwer.

Ihr kriecht, stehlt, und betrügt nicht gern,

Euch mögen nicht die großen Herrn,

Von Staatsaffären schwatzt ihr nicht,

Und schmeichelt keinem ins Gesicht.

Drum sag ich euch: Ihr braucht weit mehr

Lernt immer etwas nebenher.


O eure Mühe lohnt man schlecht!

Da kommt mir just ein Gleichnis recht.

Ein junges Huhn zu mästen, ist

Ein Monat eine kurze Frist,

Und denn, wenn du's gemästet hast,

So kommt ein wohlbeleibter Gast,

Ißt ihrer sechs auf einmal auf.

So geht's im Dichterlebenslauf.

Wenn er nun angst- und lebenssatt

Bei zwanzig Tag geskribelt hat,

Und glaubt, für seine Müh und Pein

Er ernte Geld und Lorbeern ein,[1201]

So tritt ein Kritiker herein,

Und schlurft sein Werk behend und munter

Mit einer Tasse Tee hinunter.

Kein Mensch spricht mehr ein Wort davon,

Weg ist's – Und gar vielleicht ging's schon

Den Weg der Hühner mit. – Ein Sohn

Der deutschen Musen weiß nun nicht

Was er vermag, was ihm gebricht.

Wer sagt ihm nun was Gaukelei

Was wahre Dichterader sei?

Drum hört den alten Sünder an

Der euch ihr Jungen lehren kann.


Mein Sohn geh mit dir selbst zu Rat

Und findest du denn in der Tat,

Es drückt dich sonder Unterlaß

Inwendig so, zu schreiben, was;

Sitz erst, und forsch ohn alle Rast,

Wozu du Lieb und Lusten hast.

Zur Ilias? – zur Tragedie? –

Zum Epigramm –? Zur Komödie? –

Zu Shakespeares Staatsaktion? –

Zur Tugendklimprer Lautenton? –

Zum celtischen Posaunenschall? –

– Empfindsamreisender Gelall?

Und unsern Siebensachen all,

Womit man in der teuren Zeit

Das Publikum zu Markte schreit.

Steh auf bei frühem Lampenlicht,

Und rufe nach Poetenpflicht

Zuerst die Musen alle neun

Um ihre Hülf und Beistand an.

Setz dich und meditiere fein –

Dann schreib – so weit die Feder kann.

Streich aus, schreib drüber, korrigiere,

Setz zu, schneid ab, und inseriere,

Und will es gar an einem Ort

Mit der Erfindung nicht mehr fort,

So kratz dich hier, und kratz dich dort.
[1202]

Ist nun das große Werk vollbracht,

So schreib es sauber – und gib acht,

Daß an gehör'gen Orten nicht

An langen Strichen es gebricht.

Dann das muß heutzutage sein,

Daß sie die Ware nicht verschrein.

Und schlägst du irgend hier und da

Nach Maßgab unsrer Kritika

Dem oder jenem ins Gesicht,

Vergiß das Unterstreichen nicht.

So riecht alsdenn ohn Unterlaß

Der dümmste Leser deinen Spaß,

Er kommentiert dir einen Sinn

Auch wohl, an den du immerhin

Sowenig als Homer gedacht,

Was Dacier aus ihm gemacht.


Ist's nun zum Drucken hübsch bereit,

So schick es nur bei guter Zeit

Nach Leipzig zu Herrn Schwikerten;

Doch laß es keinen Menschen sehn.

Und dann wie so vergnügt siehst du's

Im Leipz'ger Meßcatalogus!

Glaubt Schwikert, daß er's drucken kann,

So bist du ja bezahlt. Wohlan!

Dir preist der Kolporteur vielleicht

Das liebe Söhnchen höchlich an,

Das du mit deinem Selbst gezeugt.


Gibt's in dem Städtchen irgendwo

Von deutschen Witzlings ein Büro,

Wo à la Neker1 Mann und Weib

Fein kritisiert zum Zeitvertreib;

Geh hin, und setz dich weit vom Licht

Und höre, was man von dir spricht.

Und wenn man darob einig ist,

Daß du ein dummer Teufel bist,[1203]

Daß alles elend – jämmerlich –

So schluck es ein, und schüttle dich.

Sei still, wie ein Politikus,

Damit ja niemand auf dich fällt,

Und wenn der Herr ja sprechen muß,

So bell er, wie der andre bellt.

Nimm nicht des Schwächeren Partie!

Den Unbekannten treffen nie

Lob oder Tadel ungerecht.

Denn alle Tage sehen wir,

Den Namen bellt's nur an das Tier

Vom hyperkritischen Geschlecht.

Gib ja den Herrn in allem recht,

Doch plauderst du, so bist du hin,

Und dein Kredit auf einmal all.

Herr Duns! grüßt man dich überall,

Solange du am Pranger stehst,

Bis dich ein andrer abgelöst.


Tritt nun dein Werkchen ballenweise

Inkognito die weite Reise

Als Emballage glücklich an,

So sei nur auch ein braver Mann

Der nicht beim ersten rauhen Wind

Sich hinsetzt, auf Kalender sinnt.

Von einem Hiebe fällt kein Baum.

Die Welt hat für uns alle Raum.

Gib bei dem zweiten Schritt nur acht,

Was die Kritik in Harn'sch gebracht.

Seh, wo es mit dem Gleichnis steckt,

Wie's mit dem Stil, dem Dialekt,

Dem Spaß, Charakter, Malerei,

Im ganzen noch beschaffen sei? –

Wie's mit den Epitheten ist?

Ob alles paßt, und alles schließt?

Sonst geht's, ist das nicht recht bestellt,

Als wie, wann in der großen Welt

Ein Krüppel seinem kurzen Fuß

Durch einen Absatz helfen muß.

Es kommt mir auch alsdenn so vor,

Als wie zwei Hunde die im Moor[1204]

Zugleich an einer Kuppel ziehn,

Der eine her, der andre hin.

So hilft sich auch der Geograph

Bei unbekannten Ländern brav,

Wie zum Beweis bei Afrika,

Und hat er keine Städte da,

So setzt er Elefanten hin.


Geht's nun noch nicht nach deinem Sinn,

So wirf nicht gleich die Feder hin,

Quäl dich nicht um den Ruhm zu Tod,

Sei klug, und schreibe für das Brot.

Wag dich an Hof mit leisem Tritt,

Bei Hof gehn alle Verse mit.

Verfolge nur den großen Herrn,

Dem Bettler gibt er immer gern.


Ererbt der Prinz sein Königreich,

So erbt er alle Tugend gleich.

Er ist gerecht, genädig, klug,

Und bleibt's bis in den Tod genug.

Die Tugend welkt, das Laster blüht,

Sobald man ihn im Sarge sieht,

Was ihm im Leben wie man pflegt

An Tugend falsch ward aufgeprägt,

Das wird beim Grabe widerlegt.

Der Gott wird, wenn man läuten hört

Zum Teufel in der Höll verkehrt.


Drum laß die toten Fürsten gehn,

Und halt dich an die Lebenden.

Mach dir von allen Tugenden

Die schönsten Kollektaneen,

Und bild daraus das reichste Ganze,

Leg sie in einem Blumenkranze

Zu des Monarchen Füßen hin.

Er wird, solang dein Kränzchen grünt,

Sie gern in seine Nase ziehn,

Und glauben, daß er sie verdient,

Und daß in Gold und Hermelin

Sich alle Eigenschaften ziehn.[1205]

Dein Kranz, wenn der im Grabe ruht,

Ist für den folgenden noch gut.


Doch findst du dich auch hier zu schwach,

So folge meinem Beispiel nach

Und werfe dich zum Kenner auf,

Laß deiner Galle freien Lauf!

Und schimpfe, wie ein alter Mann,

Wenn er nichts mehr genießen kann.

Denn zum Besichtigen, zur Hut,

Ist immer der Verschnittne gut,

Für den bei der Zirkasserin

Genuß und Liebreiz niemal blühn,

Der aber die Kritik versteht,

Und eh der Kauf zu Ende geht

Vor seinen Herrn die Fehler späht.


Greif große Leute mutig an,

Denn Hobbes, der gelehrte Mann

Zeigt, daß von Kindesbeinen an

Kein Mensch den andern leiden kann.

Auch dies wohl zu bemerken ist,

Daß jedes Tier das andre frißt.

Der Walfisch frißt nach altem Brauch

Die Heringswelt in seinen Bauch;

Der Wolf das Lamm, der Fuchs das Huhn.

Beim Dichtervolk da ist es nun

Gerad die umgekehrte Welt,

Der Kleine auf den Großen fällt!

Wer sitzt, wo niemals ein Insekt

Mit krit'scher Nase hingeschmeckt

Ganz oben auf des Pindus Höhn,

Der necket nie, er wird geneckt.

Ihn lassen nicht die Kleinen gehn

Zerfleischen ihn mit Ohnmachtswut

Wie ihnen der noch Kleinre tut.

Wie Swammerdam uns klar beweist

Daß jeder Wurm den andern beißt,

Der um ein Haarbreit größer mißt,

So wie es auch bewiesen ist:

Der Floh, der an dem Menschen frißt,[1206]

Hat kleinre Flöh, die fressen ihn,

So geht's in infinitum hin.

Und jeder kleinere Poet

Beißt immer den, der vor ihm geht.


Sodann gib dich dem Feind zu Trutz

In eines großen2 Mannes Schutz,

Schmauch ihn mit deinem Weihrauch ein,

So wird er dir genädig sein.

Doch nimm dich mit den Schmeichelein

In deinen Briefen wohl in acht

Damit nicht einmal über Nacht

Nach des gelehrten Mannes Tod,

Die hinterlaßne Frau, aus Not

Gar alle Briefe drucken läßt.

Da gibt es denn ein Hexenfest,

Zum Teufel geht die Ewigkeit

Und mit dein bißchen Ehrlichkeit!

Fußnoten

1 Dem deutschen wißbegierigen Leser dienet zur höflichen Nachricht, daß in Paris bei Mad. Neker weil. Mlle. Curchaut das erste Bureau d'Esprit ist.


2 Im Lateinischen: Perill. Celeb. Kl. Hal. Magdeb.


Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971.
Erstdruck unter dem Titel »Rhapsodie von Johann Heinrich Reimhardt, dem Jüngeren«, Frankfurt 1773.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lohenstein, Daniel Casper von

Sophonisbe. Trauerspiel

Sophonisbe. Trauerspiel

Im zweiten Punischen Krieg gerät Syphax, der König von Numidien, in Gefangenschaft. Sophonisbe, seine Frau, ist bereit sein Leben für das Reich zu opfern und bietet den heidnischen Göttern sogar ihre Söhne als Blutopfer an.

178 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon