Zweiter Auftritt.

[10] Silvia eilig und voll Freuden und die Vorigen.


SILVIA. Ach Schwester! Ach Konstanzia!

KONSTANZIA. Was giebt es Silvia? Warum so freudig?

SILVIA. Ich bin ausser mir vor Vergnügen.

KONSTANZIA. Warum das?

SILVIA. Mein geliebtes Reh, das ich so viel Tage vergebens beweint und gesucht habe, ist von selbsten wiedergekommen.

KONSTANZIA. Und das macht Dich so fröhlich?

SILVIA. Scheint Dir das eine Kleinigkeit? Es ist, wie Du weist, meine einzige Sorge, meine Gefährtin, meine süße Freundin. Es liebt mich; es versteht mich; es schläft in meinem Schooß; es fordert meine Küsse; es kommt mir überall nicht von der Seite. Ich habe es verloren; ich finde es wieder; und das scheint Dir eine Kleinigkeit?

KONSTANZIA. Glückselige Unschuld! Sie geht wieder an ihre Arbeit.[11]

SILVIA. Aber, Schwester! soll ich Dich denn immer in Thränen sehn?

KONSTANZIA. Und können wohl jemals meine Thränen versiegen? Schon dreyzehnmal ist der Frühling zurückgekehrt, seitdem ich so grausamerweise verlassen, von allen Lebendigen getrennt, von allem beraubt, o Gott! und ohne Hoffnung, jemals in meine Heimat zurückzukehren, mehr todt bin, als lebe: und Du willst mich frölich sehn?

SILVIA. Aber Deine schöne gepriesene Gegenden sind doch voll Mannspersonen, und unter allen lebendigen Thieren ist dieses Geschlecht doch vorzüglich feindselig gegen uns. Hast Du mir nicht tausendmal gesagt ...

KONSTANZIA. Ach ja! ich habe es Dir gesagt, und nie sagt' ichs Dir genug. Gottlos und grausam, treulos und betrügerisch, schlimmer als alle reißende Thiere, wissen sie nichts vom Mitleiden. Sie kennen keine Liebe, und haben weder Treue, noch Menschlichkeit im Herzen.

SILVIA. Nun! vor denen sind wir hier doch wenigstens sicher. Aber Du weinst schon wieder! Nein! wenn Du mich liebst, so betrübe Dich nicht so. Was kann ich thun, Geliebte! Dich zu trösten? Willst Du mein Reh haben? Trockne Deine Thränen, und es soll Dein seyn.[13]

KONSTANZIA. Ach liebste Silvia! nur zu gerecht sind meine Thränen!


Aria.


Wenn eine Unglückliche nicht weint die von allen Lebendigen abgesondert und ihrem Gemahl verlassen ist, o Gott! so sage mir, wer soll denn weinen –

Wer kann sagen, daß ich mir Unrecht weine, da ich nicht einmal den elenden Trost hoffen darf, von andern Mitleid zu erhalten?


Quelle:
Haydn, Joseph: Die unbewohnte Insel. Berlin 1786, S. 10-15.
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