An ein Thal

[141] (Umarbeitung.)


Ich liebe dich, du kleines

Und stilles Veilchenthal;

Und dennoch schuf mir keines,

Wie du, so viele Qual.


Dich liebet auch Seline,

Die junge Schäferin,

Mit der bescheidnen Miene

Und, ach! dem harten Sinn.


Jüngst saß ich hier und spielte,

Beim letzten Sonnenlicht;

Zufrieden, denn ich fühlte

Noch dich, o Liebe, nicht.


Die Freiheit war's alleine,

Die mein Gesang erhob;

Nie hörten diese Haine

Von mir der Liebe Lob.


Nie sollst du mich bezwingen,

So sang ich allzu kühn;

O Liebe, deinen Schlingen

Will ich gewiß entfliehn!


Du änderst alle Herzen,

Zerstörest ihre Lust;

Und schaffest Gram und Schmerzen

Der jugendlichen Brust.


So sang ich dir, o Liebe,

Mit stolzem Herzen Hohn;

Und trotzte deinem Triebe,

Dem ich bisher entflohn.


Als plötzlich meinen Blicken

Sich eine Hirtin wies,

Und Sehnsucht und Entzücken

Die Ruhe mir entriß.[142]


Dorine saß und pflückte

Sich Blümchen, las sie aus,

Vereinte sie und schmückte

Sich mit dem bunten Strauß.


Gern hätt' ich sprechen wollen;

Umsonst bemüht' ich mich:

Kein Wort drang aus dem vollen

Beklemmten Herzen sich.


Noch lange stand ich, blickte

Mit trunknen Augen hin,

Und immer mehr entzückte

Mich diese Zauberin.


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 50, Stuttgart [o.J.], S. 141-143.
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