An ein Thal

[139] 1771.


Ich liebe dich, du kleines,

Und stilles Veilchenthal

Und dennoch schuf mir keines,

Wie du, so viele Qual.


Dich liebet auch Dorine,

Die junge Schäferin,

Mit der bescheidnen Miene,

Und mit dem spröden Sinn.


Jüngst saß ich hier und spielte

Im letzten Sonnenlicht,

Mein freier Busen fühlte

Der Liebe Macht noch nicht.


Als schnell, im leichten Röckchen,

Vor mir ein Mädchen stand,

Das junge Maienglöckchen

Sich in die Haare wand.


Wie bebt' ich nicht zurücke,

Als sie mein Auge sah!

Und, o, mit welchem Blicke

Stand sie, so reizend, da!


Gern hätt' ich sprechen wollen;

Umsonst bemüht' ich mich;

Kein Wort entwand dem vollen,

Beklommnen Herzen sich.[140]


Dann ging sie weg; ich klagte,

Und wußte nicht warum;

Schlief wenig, und wenn's tagte,

War's trüb um mich herum.


Nun irr' ich stets alleine

Den ganzen Tag umher;

Und finde nirgend keine

Der alten Freuden mehr.


Oft wein' ich an der Stelle,

Und wünsche mir mein Grab;

Dann blickt zu mir der helle

Geliebte Mond herab.


Jetzt sieht er meine Zähren:

O, säh' er auch einmal,

Bei seinem Wiederkehren,

Das Ende meiner Qual!


Säh' er, wie mich Seline

Durch Liebe glücklich macht,

Und aus bescheidner Miene

Mir süß entgegen lacht!


Wie liebt' ich dann, o kleines,

Und stilles Thälchen dich;

Es gliche dir sonst keines

An Seligkeit für mich.


Hier baut' ich eine Hütte

Zum Angedenken hin,

Und scherzt' in ihrer Mitte

Mit meiner Schäferin.


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 50, Stuttgart [o.J.], S. 139-141.
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