Lied eines Leipziger Magisters

[161] 1772.


Ein jedes Ding hat seine Zeit,

So auch das Liedersingen;

Drum will ich euch, ihr Musen, heut

Mein letztes Opfer bringen.

Das Glück, mit dem ihr uns beschenkt,

Ist flatterhaft und eitel;

Ich leb' in Niedrigkeit versenkt

Und ohne Geld im Beutel.[161]


Was half es jede Messe mir,

Zwölf Bogen anzufüllen?

Ich schrieb, in Theokrits Manier,

Die lieblichsten Idyllen:

Sang in Horazens hohem Ton

Bald Oden, bald Satiren,

Und wußte, wie Anakreon,

Das Barbyton zu rühren:


Hatt' eine Epopö' gemacht,

Und übertraf Homeren;

Ließ mich nicht minder Tag und Nacht

Bei Gellerts Grabe hören.

Umsonst, es ließ mich jedermann

In stillem Kummer schmachten,

Und Rezensenten singen an,

Mich gröblich zu verachten.


Wohl! undankbares Vaterland!

Das ich zu zärtlich liebte;

Sieh! Hier vergehen sie im Brand,

Die teuren Manuskripte.

Du wolltest sie aus Blindheit nicht,

Wie sie verdienten, lesen;

Nun sieh mit weinendem Gesicht,

Den teuren Schmuck verwesen.


Der edlen Übersetzungskunst

Will ich mich nun ergeben.

Mehr kann sie, als der Musen Gunst,

Sie kann uns Nahrung geben.

O, möcht' ich eure Sprache doch,

Ihr Britten, schon verstehen!

Man sollte diese Messe noch

Von mir ein Pröbchen sehen.


Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 50, Stuttgart [o.J.], S. 161-162.
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