[147] Die weitläufige Vergleichung des einsamen mit dem tätigen oder geselligen Leben wollen wir linker Hand liegen lassen. Und was die glatten Worte anlangt, hinter welche sich die Ehrsucht und der Geldgeiz verbergen wollen, »daß wir nicht bloß unsertwegen, sondern für das allgemeine Beste auf dieser Welt sind«, so wollen wir es denen, die eben am Tanze sind, ganz dreist ins Gewissen schieben, und sie mögen die Hand aufs Herz legen und sagen, ob man nicht, gerade im Gegenteil, Stand und Ämter und den Wirrwarr der Welt nur deswegen sucht, um vom allgemeinen Wesen seinen eigenen und besondern Vorteil zu ziehen; die elenden Mittel, wodurch man sich zu unsern Zeiten hineindrängt, zeigen deutlich, daß der Zweck nicht viel taugt. Der Ehrsucht laß uns antworten: daß es gerade sie selbst sei, die uns Gefallen an der Einsamkeit einflößt; denn was flieht sie geflissentlicher als gesellschaftlichen Umgang, was sucht sie emsiger als weiten Spielraum für sich allein? Es läßt sich allenthalben Gutes tun und Böses; wenn indessen der Spruch des Bias wahr ist, daß der schlechteste Teil der größere ist, oder auch der Spruch des Predigers Salomon: Unter tausend ist auch nicht einer, der gut sei:
Rari quippe boni: numero vix sunt totidem quot
Thebarum portae, vel divitis ostia Nili1,
so ist die Ansteckung im Gedränge sehr gefährlich. Man muß die verderbten Menschen entweder nachahmen oder sie hassen. Beides aber ist gefährlich, sowohl daß man sie[148] nachahme, weil ihrer so viele; als so viele zu hassen, weil sie uns unähnlich sind. Und haben die Kaufleute recht, welche Seereisen tun, darauf zu sehen, daß keine liederlichen Menschen, Gotteslästerer oder andere Bösewichter mit ihnen ein Schiff besteigen, weil solche Gesellschaft Unglück bringt. Daher sagte Bias gar treffend zu einigen Menschen von solchem Schlage, die in einem wackern Seesturm mit ihm auf einem Schiffe sich befanden und die Götter um Hilfe anflehten: »Haltet doch 's Maul,« sagte er, »damit sie nicht merken, daß ich euch bei mir habe!« Und ein noch bündigeres Beispiel gibt der portugiesische Vizekönig in Indien, Albuquerque: Als er sich auf dem Meere in großer Gefahr befand, nahm er einen jungen Knaben auf die Schultern, in der einzigen Absicht, ihm werde die Unschuld des Kindes in der gemeinschaftlichen Not zur Rettung und zur Empfehlung in die Gunst des Himmels dienen, um ihn an Land zu bringen.
Es ist nicht zu leugnen, der Weise kann allenthalben zufrieden leben; ja selbst im Gedränge der Paläste einsam sein und sich selbst genießen: hat er aber die Wahl, so wird er, sagt die Schule, selbst ihren Anblick fliehen; er wird, wenn es nötig ist, das erste ertragen; steht's aber bei ihm, so wird er das letztere wählen. Ihn dünkt, er habe sich noch nicht hinlänglich der Fehler entschlagen, solange er mit den Lastern andrer kämpfen soll. Charondas belegte diejenigen mit Strafen, welche überzeugt wurden, daß sie sich in schlechten Gesellschaften befunden hätten. Nichts in der Welt ist so ungesellig und zugleich so gesellig als der Mensch; das eine durch seine Schuld und das andre nach seiner Natur. Und deucht mich, Antisthenes habe denjenigen nicht befriedigt, der ihm seinen Umgang mit schlechten Leuten vorrückte, wenn er darauf erwiderte: »Halten doch die Ärzte mit den Siechen Umgang; denn wenn sie den Siechen zur Gesundheit dienen, so schwächen sie ihre eigene durch die Ansteckung, durch fortwährende Besuche und durch häufigen Umgang mit ihnen.« Also ist, nach meiner[149] Meinung, das Resultat einerlei, nämlich: mehr für sich und nach seiner eigenen Gemächlichkeit zu leben. Man sucht aber nicht immer ernsthaft den Weg dahin. Oft meint man den Geschäften entsagt zu haben, und man hat nur damit gewechselt. Es ist nicht viel weniger Last dabei, eine Haushaltung zu regieren als einen ganzen Staat. Womit die Seele einmal beschäftigt ist, daran hängt sie sich ganz; und wenn auch die häuslichen Angelegenheiten minder wichtig sind, so sind sie doch nicht minder lästig. Noch mehr! Wenn wir auch dem Hofe und den öffentlichen Ämtern entsagt haben, so sind wir deswegen doch noch nicht von den vornehmsten Sorgen unsers Lebens entledigt.
Ratio et prudentia curas,
Non locus effusi late maris arbiter aufert.2
Ehrsucht, Geiz, Unentschlossenheit, Furcht und andre Leidenschaften und Begierden verlassen uns deswegen nicht, weil wir die Gegend verändern!
Et
Post equitem sedet atra cura.3
Sie folgten uns oft nach bis in die Klausen und in die Schulen der Philosophie. Weder Wüsten noch Höhlen in Felsen, noch härenes Gewand, noch Fasten schützen uns dagegen:
Haeret lateri letalis arundo.4
Man sagte dem Sokrates, ein gewisser Mensch habe sich auf seinen Reisen um nichts gebessert. »Das glaub' ich wohl,« sagte er, »er hatte sich ja selbst mitgenommen.«
[150]
Quid terras alio calentes
Sole mutamus? Patria quis exsul
Se quoque fugit?5
Wer nicht zuvor seine Seele und sich selbst von der Last erleichtert, die ihn drückt, dem wird sie durchs Rütteln und Schütteln noch schwerer zu tragen werden, so wie ein Schiff leichter segelt, wenn die Ladung gut gestaut ist. Man tut dem Kranken mehr weh als wohl, wenn man ihn den Ort verändern läßt! Das Übel sackt sich wie Mehl, wenn man es stark rüttelt; und ein Pfahl geht tiefer in die Erde, wenn man ihn dreht und wendet. Deswegen ist es nicht genug, sich vom Volke entfernt zu haben, nicht genug, den Ort zu verändern, man muß sich von der Weise des Volks entfernen; man muß sich selbst zu lösen und zu binden verstehen.
Rupi jam vincula dicas:
Nam luctata canis nodum arripit; attamen illi,
Cum fugit, a collo trahitur pars longa catenae.6
Wir nehmen unsre Ketten mit uns. Das ist keine völlige Freiheit. Wir sehen zurück nach den Sachen, die wir dahinten lassen; unser Dichten und Trachten ist darauf gerichtet.
Nisi purgatum est pectus, quae proelia nobis
Atque pericula tunc ingratis insinuandum?
Quantae conscindunt hominem cuppedinis acres
Sollicitum curae? quantique perinde timores?
Quidve superbia, spurcitia ac petulantia, quantas
Efficiunt clades? quid luxus desidiesque?7
[151]
Unser Übel liegt in der Seele; die aber kann sich selbst nicht vermeiden:
In culpa est animus, qui se non effugit unquam.8
Also muß man sie bei uns zu Hause führen und ihr ihre Wohnung heimlich machen. Das ist die wahre Einsamkeit, deren man mitten in Städten und an den Höfen der Könige genießen kann; freilich aber genießt man ihrer für sich allein mit mehr Bequemlichkeit. Da es nun aber unser Vorsatz ist, allein zu leben und der Gesellschaft zu entsagen, so laß es uns auch so anfangen, daß unsre Zufriedenheit nur bei uns stehe. Laß uns auf alle Verbindungen Verzicht tun, welche uns an andre Menschen heften. Wir müssen so viel über uns gewinnen, daß wir mit vollem Wissen und Willen allein leben und daran Behagen finden können. Stilpon war aus der allgemeinen Feuersbrunst seiner Stadt entflohen, worin er Frau, Kinder und Fahr und Habe verloren hatte. Demetrius Poliorcetes, der ihn nach dieser großen Verwüstung seiner Geburtsstadt mit unerschrockenem Gesicht einhergehen sah, fragte ihn, ob er keinen Schaden erlitten. Er antwortete, nein, und habe er, gottlob, nichts von dem Seinigen verloren. Ebenso angenehm hört sich's, was der Philosoph Antisthenes sagte, der Mensch müsse sich mit solchem Vorrat versorgen, welcher auf dem Wasser schwimmen und solchergestalt mit ihm dem Schiffbruche entgehen könnte. Gewiß, der Mensch von Verstand hat nichts verloren, solang er sich selbst besitzt. Als die Barbaren die Stadt Nola verwüsteten, hatte dabei Paulinus, der daselbst Bischof war, alles das Seinige eingebüßt und war obendrein gefangengenommen. Dennoch betete er folgendermaßen: »Behüte mich, lieber Herr Gott, daß ich diesen Verlust nicht fühle, denn du weißt,[152] daß sie noch nichts von dem berührt haben, was mein ist.« – Die Reichtümer, die ihn reich, die Güter, die ihn gut machten, waren noch unangetastet.
Darin eben besteht die Richtigkeit der Wahl der Schätze, die weder Motten noch Rost fressen, und des Orts ihrer Niederlage, wozu niemand gelangen und den niemand verraten kann als wir selbst. Sorge derjenige, der's vermag, daß er Weib, Kinder, Vermögen und vor allen Dingen Gesundheit habe; aber laß ihn seine Seele nicht so fest daran hängen, daß er sein ganzes Glück darauf baue. Man muß ein Hinterstübchen für sich absondern, in welchem man seinen wahren Freiheitssitz und seine Einsiedelei aufschlagen kann. Hier müssen wir vernünftigen Umgang mit uns selbst unterhalten; und zwar so abgesondert, daß darin keine andre Bekanntschaft oder Mitteilung fremder Dinge stattfinde. Hier mache man ernsthafte Überlegungen, und hier lache man, als ob man weder Frau noch Kinder, noch Verwandte, noch Hausgesinde hätte, damit, wenn der Fall eintreten sollte, daß man sie verlöre, es einem nicht schwer sei, sich ohne sie zu behelfen. Unsre Seele ist, ihrer Natur nach, für alle Lagen geschickt. Sie ist fähig, sich selbst Gesellschaft zu sein; fähig anzugreifen; fähig sich zu verteidigen, zu empfangen und zu geben; in dieser Einsamkeit haben wir nicht zu besorgen, daß wir vor langweiligem Müßiggange verrosten werden.
In solis sis tibi turba locis.9
Die Tugend ist sich selbst genug; ohne Vorschrift, ohne Worte, ohne Wirkung nach außen. Unter unsern gewöhnlichen Handlungen ist nicht eine unter tausend, die uns selbst angehe. Jenen dort, den du, außer sich selbst vor Wut, die durchlöcherte Mauer hinan klimmen und so vielen Feuerschlünden bloßgestellt siehst, und diesen andern, den du bedeckt mit Narben, vor Hunger bleich und kraftlos erblickst, fest entschlossen gleichwohl eher zu[153] sterben als jenem das Tor zu öffnen: meinst du, sie wären da für ihr eignes Interesse? Es hat sich wohl! Für das Interesse einer Person vielleicht, die sie nie mit Augen gesehen haben und die sich um ihre Taten gar nicht bekümmert und während der Zeit im Müßiggang und Wohlleben ihr Leben verträumt. Diesen hier, den du mit keuchender Brust, triefenden Augen, ungewaschen und ungekämmt nach Mitternacht aus seiner Bücherkammer hervorschleichen siehst, von dem denkst du wohl, er forsche in den Büchern, wie er immer mehr und mehr ein rechtschaffener Mann, zufriedener und weiser werden könne? Nichts von alledem! Er will, und sollt's ihm auch das Leben kosten, die Nachwelt das Silbenmaß des plautinischen Verses lehren und die wahre Lesart eines lateinischen Wortes herstellen. Wer gibt nicht gern Gesundheit, Ruhe und Leben hin, um Ehr und Ruhm, so unnütz, leicht und falsch die eingetauschte Münze auch sein mag? Unser Tod machte uns noch nicht Furcht genug, laß uns ja noch die Furcht für unsre Frauen, Kinder und Hausgenossen auf unsre Achseln laden! Unsre Geschäfte machten uns noch nicht genug Sorgen, so laß uns, das Maß voll zu machen und uns den Kopf zu zerbrechen, die Sorgen unsrer Nachbarn und Freunde noch dazu nehmen!
Vah quemquamne hominem in animum instituere, aut!
Parare, quod sit carius, quam ipse est sibi?10
Die Einsamkeit, deucht mich, habe mehr Anschein von vernünftigen Gründen für diejenigen Menschen, welche nach dem Beispiel von Thales der Welt ihre tätigen wirksamen Jahre geweiht hatten. Wenn man genug für andre gelebt hat, so kann man das letzte Endchen des Lebens wenigstens auch für sich selbst leben, auf uns und unsre Ruhe laß uns unsere Gedanken und Vorsätze hinlenken. Es ist keine so leichte Sache, sich mit Sicherheit zurückzuziehen. Ein solcher Rückzug gibt uns alle Hände voll zu tun, ohne daß es noch andrer Unternehmungen[154] bedürfe. Weil Gott uns Zeit und Muße gibt, für die Räumung unsrer Wohnung Einrichtung zu treffen; so laß uns beizeiten die Anstalten machen, unsre Sachen einpacken und von der Nachbarschaft Abschied nehmen, uns loswinden von den leidenschaftlichen Banden, die uns an andre fesseln und uns von uns selbst entfremden.
Unsre so starken Verbindlichkeiten müssen wir auflösen; dann und wann dies lieben und jenes: aber kein ewiges Band als mit uns selbst knüpfen; das heißt, das übrige sei unser, nur nicht so mit uns verfugt und verleimt, daß es nicht anders von uns abgetrennt werden könne, als daß unsre Haut dran klebe oder ein Stück von uns selbst daran hängenbleibe. Es ist Zeit, uns von der Gesellschaft loszusagen, weil wir ihr nicht weiter frommen können. Denn wer nicht mehr leihen kann, der muß sich nicht erlauben, auf Borg zu nehmen. Unsre Kräfte schwinden: laß uns davon sparen und zusammenhalten, was noch übrig ist. Wer solch eine Menge Pflichten der Freundschaft und der Geselligkeit durcheinandermengen und in seinem Unvermögen verwechseln und auf sich selbst ziehen kann, der mag es tun. In diesem Unfall aber, der ihn seinen Freunden unnütz, lästig und beschwerlich macht, mag er sich in acht nehmen, daß er nicht ihm selbst unnütz werde und beschwerlich und lästig. Mag er sich streicheln und liebkosen, besonders aber den Zügel anhalten, damit er vor seiner Vernunft und seinem Gewissen die gehörige Ehrfurcht erhalte und sich scheue, in ihrer Gegenwart zu straucheln.
Rarum est enim, ut satis se quisque vereatur.11
Sokrates sagt: Jünglinge müssen sich belehren lassen, Männer sich üben, richtig zu handeln; die Alten sich aber von allen Kriegs- oder Staatsgeschäften abziehen, nach ihren eignen Einsichten leben, ohne zu gewissen Pflichten genötigt zu sein!
Unter den verschiedenen Temperamenten sind einige nach[155] diesen Vorschriften für die Einsamkeit tauglicher als andre. Diejenigen, welche von langsamem, schlaffem Geiste sind, von so verweichelten Neigungen und verzärteltem Willen, daß sie sich nicht leicht an Steuer und Ruder stellen lassen, worunter ich mit gehöre, sowohl von Natur als aus Überlegung; die werden sich diesem Rate eher fügen als die wirksamen, tätigen Seelen, welche alles umfassen, sich in alles einlassen, an allem warmen Anteil nehmen; welche ihren Beistand anbieten, herbeieilen und bei jeder Gelegenheit sich hergeben. Man muß sich der zeitlichen Güter, so zufällig und unsicher sie an sich sein mögen, bedienen, solange sie uns Vergnügen machen, aber niemals daraus unsre Hauptstütze machen; das verbieten Natur und Vernunft. Und warum wollten wir, gegen deren Gebot, unsre Zufriedenheit von einer fremden Gewalt abhängig machen? Gegen ihr Gebot schon im voraus die Schläge des Glücks fühlen? Uns der Gemächlichkeiten berauben, die wir in Händen haben, wie solches schon viele aus Andächtelei und einige Philosophen aus Vernünftelei getan haben? – Sich ohne alle Bedienung behelfen? Auf hartem Lager schlafen? Sich selbst die Augen ausstechen? Seine Reichtümer in den Fluß werfen? Sich mit Fleiß Schmerzen machen? – Wenn dies einige tun, um gegen Qualen dieses Lebens die Seligkeiten eines andern einzutauschen, und andre wieder, um, wenn sie sich auf die niedrigste Stufe stellen, gegen einen neuen Sturz um so sicherer zu sein: so sind das Handlungen einer übermäßigen Tugend. Laß andre, die steifer und stärker sind, selbst ihre Abgeschiedenheit von der Welt zum glänzenden Beispiele erheben.
Tuta et parvula laudo,
Cum res deficiunt, satis inter vilia fortis:
Verum, ubi quid melius contingit et unctius, idem
Hos sapere, et solos aio bene vivere, quorum
Conspicitur nitidis fundata pecunia villis.12
[156]
Mir wird es schon sauer genug, ohne so weit zu gehen. Mir genügt es schon, wenn ich mich während der Gunst des Glücks auf seine Ungnade vorbereiten kann und mir, solange mir's wohl ist, das künftige widrige Schicksal, soweit meine Einbildung reicht, vorstellen kann: so ungefähr, wie wir uns an Ringen und Fechten gewöhnen und mitten im tiefen Frieden Kriegsspiele treiben. Ich schätze den Philosophen Arcesilaus deswegen nicht minder, weil ich weiß, daß er aus goldnen und silbernen Gefäßen aß und trank, da es ihm seine Glücksumstände verstatteten, und halte ihn um so höher, weil er sich derselben mit Bescheidenheit und Freigebigkeit bediente, als wenn er seinen Reichtum im Kasten verschlossen hätte.
Ich kenne die Schranken der natürlichen Bedürfnisse, und wenn ich den armen Bettler vor meiner Tür betrachte, der oft froher und gesunder ist als ich, so versetz' ich mich an seine Stelle und versuche, wie meine Seele in seinen Schuhen gehen würde; und indem ich die andern Beispiele durchlaufe, so gut ich auch denke, daß Tod, Armut, Verachtung und Krankheiten mir auf den Versen folgen, so wird mir doch der Vorsatz leicht, nicht vor Unfällen zu erschrecken, die ein Geringerer als ich so geduldig ertragen kann; und ich will und mag nicht glauben, daß ein eingeschränkter Verstand mehr vermöge als ein stärkerer oder daß die Wirkung des Nachdenkens und der Überlegung nicht so weit reichen sollte als die Wirkung der Gewohnheit. Und da ich einsehe, an wie dünnen Faden die Nebengüter hängen, so ist mitten in meinem vollen Genuß meine vornehmste Bitte, die ich zu Gott schicke, er möge mich bei der Zufriedenheit mit mir selbst und mit den Gütern, die in mir selbst liegen, erhalten. Ich kenne junge, starke und frische Leute, welche gleichwohl einen Teig zu Pillen in ihren Koffern bei sich führen, um sich derselben zu bedienen, wenn sie ein Schnupfen[157] befallen sollte; welchen sie dann um so weniger fürchten, weil sie in ihren Gedanken das Mittel dagegen bei der Hand haben. So muß man's machen und noch dazu, wenn man sich einer schlimmern Krankheit unterworfen fühlt, und sich mit solchen Mitteln versorgen, welche das kranke Glied betäuben und einschläfern.
Die Beschäftigung, die man für ein einsames Leben wählt, muß weder ermüdend noch langweilig sein; sonst haben wir vergebens darauf gerechnet, darin zu verweilen. Das hängt aber ab von dem besondern Geschmacke eines jeden. Der meinige verträgt sich gar nicht mit der Landwirtschaft. Wer sie liebt, muß sich mit großer Mäßigung darauf legen.
Conentur sibi res, non se submittere rebus.13
Sonst ist's, wie Sallust es nennt, Knechtswerk. Sie hat Teile, die angenehmer sind; wie z.B. die Gartenpflege, wie solche Xenophon dem Cyrus zuschreibt, und es läßt sich ein Mittelweg denken zwischen dieser niedrigen, angestrengten und immerwährenden Sorge, die man an den Menschen wahrnimmt, welche sich ganz hineinwerfen, und zwischen der tiefen und äußersten Nachlässigkeit, die man an andern bemerkt, welche alles zugrunde und zu Boden gehen lassen:
Democriti pecus edit agellos
Cultaque, dum peregre est animus sine corpore velox.14
Aber laß uns den Rat vernehmen, welchen der jüngere Plinius seinem Freunde Cornelius Rufus in Ansehung dieser Art von Einsamkeit erteilt: »Ich rate dir, in dieser fruchtbaren und fetten Einsiedelei, worin du bist, deinen Leuten die niedrige und verächtliche Aufsicht[158] über die Landwirtschaft zu überlassen und dich aufs Studium der Wissenschaften zu legen, um von diesen etwas zu ernten, welches ganz dir eigen gehöre.« Er versteht darunter den Ruhm im Sinne des Cicero, welcher sagt, er wolle seine Einsamkeit und Ruhe von öffentlichen Geschäften dazu anwenden, um sich durch seine Schriften die Unsterblichkeit zu erwerben.
Usque adeone
Scire tuum nihil est, nisi te sire hoc, sciat alter?15
Soviel scheint billig zu sein, da man doch einmal davon spricht, sich der Welt zu entziehen, sie zu betrachten, als ob sie uns nichts weiter angehe. Diese Herren tun das aber nur halb; sie werben schon um einen Anhang, auf die Zeit, da sie nicht mehr auf der Welt sein werden. Die Früchte ihrer Bemühungen wollen sie gleichwohl noch dann von der Welt ziehen, wenn sie nicht mehr da sind. Das ist eine lächerliche Ungereimtheit.
Die Imagination, welche die Herzen derer, die aus frommer Andacht die Einsamkeit suchen, mit der Gewißheit der göttlichen Verheißungen des zukünftigen Lebens erfüllt, ist viel heiliger gestimmt. Ihr Verlangen ist auf Gott als auf das unendlich gütige und allmächtige Wesen gerichtet. Die Seele findet hier reichliche und freie Nahrung für ihre Wünsche. Die Leiden und Schmerzen gedeihen zu ihrem Vorteil, indem sie dafür ewige Gesundheit und unvergängliche Freuden erlangen, und die fleischlichen Begierden sind bald durch Enthaltung gedämpft und eingeschläfert; denn nichts unterhält sie stärker als die Befriedigung. Dieser einzige Zweck eines zukünftigen seligen und ewigen Lebens verdient mit Recht, daß wir den Ergötzlichkeiten und Gemächlichkeiten dieses unseres gegenwärtigen Lebens entsagen. Und wer seine Seele wirklich und anhaltend von diesem lebendigen Glauben und dieser festen Hoffnung erwärmen kann, der baut sich[159] in der Einsamkeit ein so herrliches Freudenleben, daß kein andres damit zu vergleichen ist. Vom Rate des Plinius gefallen mir hingegen weder der Zweck noch die Mittel. Wir fallen dabei aus der Traufe in den Schlagregen.
Diese Beschäftigung mit den Büchern ist ebenso beschwerlich als eine jede andre und der Gesundheit ebenso zuwider, auf welche doch hauptsächlich Rücksicht zu nehmen ist. Und muß man sich auch von dem Vergnügen nicht einschläfern lassen, das man daran findet. Gerade das Vergnügen ist es, das dem Landwirt, dem Geizhals, dem Wollüstling, dem Ehrsüchtigen so schädlich wird. Die Weisen lehren uns genug, uns vor der Verräterei unsrer Begierden hüten, und die wahren, unverfälschten Freuden von den gemischten und mit allerlei Mühseligkeit aufgefärbten Vergnügen unterscheiden. Denn die meisten Vergnügungen, sagen sie, kitzeln uns und umarmen uns nur, um uns zu ersticken, wie die Räuber taten, welche die Ägypter Phileten nannten; und wenn uns die Kopfschmerzen vor dem Rausche überfielen, so würden wir uns hüten, zuviel zu trinken; da geht aber die Wollust vorauf und verbirgt uns ihr Gefolge. Die Bücher sind angenehm allerdings; wenn aber der Umgang mit denselben uns zuletzt um unsre Munterkeit und Gesundheit bringt, welche das Beste sind, was wir haben, so laß uns sie weglegen! Ich gehöre zu denen, welche meinen, ihr Nutzen könne diesen Verlust nicht aufwägen. So wie Menschen, welche sich lange Zeit her von kränklichen Umständen geschwächt fühlen, sich endlich der Kunst des Arztes überlassen und sich Gesundheitsregeln vorschreiben lassen, um solche genau zu befolgen, so muß auch derjenige, der sich, weil er der Dinge satt und müde ist, dem gemeinen Leben entziehen will, die Einsamkeit den Vorschriften der Vernunft unterwerfen und solche im voraus nach reiflicher Überlegung einrichten. Er muß von aller Art Arbeit Abschied genommen haben, unter welcher Gestalt sie sich auch darbiete; und ganz vorzüglich alle Leidenschaften fliehen, welche die Ruhe des[160] Leibes und der Seele stören, und dem Wege folgen, der seiner Sinnesart am besten behagt:
Unusquisque sua noverit ire via.16
In der Wirtschaft, beim Studieren, auf der Jagd und bei allen andern Übungen muß er sich innerhalb der äußersten Grenzen des Vergnügens halten und sich hüten, so weit hinauszugehen, wo sich der Verdruß darunter mischt.
Man muß sich so viel leichte Arbeit und Beschäftigung ausspüren, als nötig ist, um sich in Atem zu erhalten und sich vor der Unlust zu schützen, welche das andre Übermaß vom trägen, schläfrigen Müßiggang nach sich zieht. Es gibt trockne und heiklige Wissenschaften, die meistens nur Büchermacherwerk für Druckerpressen sind, die muß man denen überlassen, die im Dienste der Welt stehen. Ich, meinesteils, liebe nur die angenehmen, leichten Bücher, welche mich aufmuntern, oder solche, die mich trösten und mir Rat erteilen, wie ich es mit meinem Leben und mit meinem Tode halten soll.
Tacitum silvas inter reptare salubres,
Curantem, quidquid dignum sapiente bonoque est.17
Weisere Leute, die eine starke rüstige Seele haben, mögen sich eine ganz geistige Ruhe zuschneiden: bei meiner gemeinen Seele muß ich, um mich aufrechtzuerhalten, die körperlichen Bequemlichkeiten zu Hilfe nehmen, und da das Alter mir fast alle geraubt hat, die mehr nach meinem Gefallen waren, so richte und schärfe ich meinen Appetit auf solche, welche mehr mit meinen Jahren bestehen. Mit Zähnen und Fäusten muß man den Genuß der Vergnügungen des Lebens festhalten, welche uns unsre Jahre, eins nach dem andern, mit starken Klauen wegreißen:
[161]
Carpamus dulcia; nostrum est.
Quod vivis; cinis et manes et fabula fies.18
Was nun aber den Zweck des Ruhms anlangt, den Cicero und Plinius uns vorhalten, so ist solcher weit entfernt von meiner Rechnung. Die allerunverträglichste Gemütsart mit der Einsamkeit ist der Ehrgeiz. Ruhm und Ruhe sind Gäste, die nicht unter einem Dache herbergen können. Nachdem, was ich sehe, bleiben Seele und Absicht solcher Menschen, die nur Arme und Beine befreit haben, ärger in den Banden verstrickt als jemals.
Tun', vetule, auriculis alienis colligis escas?19
Sie sind nur deswegen zurückgegangen, um einen stärkern Anlauf zu nehmen und durch einen kräftigern Sprung eine größere Lücke in dem Haufen zu tun. Hat man Lust zu sehen, wie sie um ein Gran zu leicht sind? Laß uns die Meinung zweier Philosophen auf die andre Schale legen. Sie waren von zwei sehr verschiedenen Sekten und schrieben, der eine an den Idomenäus, der andre an den Lucilius, ihre Freunde, um solche von der Verwaltung der Staatsgeschäfte abzumahnen, vor Standeshöhe zu warnen und ihnen zur Einsamkeit zu raten. Ihr habt, sagen sie, bisher auf Wellen treibend und schwimmend gelebt, kommt und beschließt euer Leben im Hafen. Euer voriges Leben lebtet ihr in der Sonnenhitze, lebt das folgende im lieblichen Schatten. Es ist unmöglich, den Geschäften zu entsagen, wenn ihr nicht ihren Früchten entsagt; zu diesem Ende entschlagt euch aller Sorgen für einen berühmten Namen. Es ist zu befürchten, daß der Glanz eurer vollbrachten Taten euch nur zu stark umglänze und euch bis in eure Landhütte folge. Mit den übrigen Wollüsten legt auch diejenige ab, welche aus dem[162] Beifall andrer entspringt. Und was eure Gelehrsamkeit und Wissenschaft betrifft, so laßt die euch nicht so tief zu Herzen gehen; sie werden ihre Wirkung nicht verlieren, wenn ihr dadurch bessere Men schen werdet. Erinnert euch jenes Menschen, den man fragte, warum er sich's in einer Kunst so sauer werden lasse, für die es so wenige Kenner gebe. »Ich habe an einigen wenigen genug«, antwortete er, »ich habe genug an einem; ich habe genug an gar keinem.« Er sagte sehr wahr. Ihr und ein Genoß seid euch einander oder euch selbst ein hinlänglicher Schauplatz; das Volk sei euch einer, und einer sei euch ein ganzes Volk. Es ist doch eine ärmliche Ruhmsucht, aus seiner Geschäftslosigkeit und Abgeschiedenheit sich eine Ehre machen wollen. Man sollte es machen wie die Tiere, die vor dem Eingang ihrer Höhle die Spur auskratzen. Darauf kommt es nicht mehr, daß die Welt von euch spreche, sondern darauf, was ihr mit euch selbst zu sprechen habt. Kehrt in euch selbst zurück! Vorher aber bereitet euch darauf, euch da aufzunehmen: es wäre Torheit, euch selbst zu trauen, wenn ihr euch nicht zu beherrschen versteht.
Solange ihr euch nicht selbst dahin gebracht habt, daß ihr es nicht mehr wagt, ohne Zeugen zu straucheln, und bis ihr Ehrfurcht und Scheu vor euch selbst habt, solange könnt ihr so gut in der Einsamkeit unnütze Dinge tun als in voller Gesellschaft.
Obversentur species honestae animo.20
Stellt euch beständig in eurer Einbildung den Cato vor, und den Phocion und den Aristides, in deren Gegenwart selbst die Narren ihre Fehler verbargen, und bestellt sie zu Aufsehern aller eurer innern Gedanken. Sollten sie auf Nebenwege geraten, so wird die Ehrfurcht vor solchen Männern sie wieder auf die rechte Bahn leiten. Sie werden euch auf derselben erhalten und euch[163] mit euch selbst zufrieden machen, damit ihr von niemand etwas borgt als von euch selbst, und so werden sich eure Seelen in gewissen gemäßigten Grenzen des Denkens erhalten und befestigen, worin sie sich wohl befinden werden; und wenn sie die wahren Güter richtig kennengelernt haben, deren man nur in dem Maße genießt, wie man sich darauf versteht, so werden sie sich damit begnügen, ohne der Verlängerung des Lebens oder der Vergrößerung des Ruhms zu begehren. So klingt der Rat der wahren und ungeschmückten Philosophie; nicht einer prahlerischen und geschwätzigen wie die Philosophie der andern beiden Ratgeber.
1 Juvenal XIII, 24: Nur selten sieht man der Guten so viel als Pforten von Theben, als Arme vom Nil.
2 Horaz, Epist. I, 11, 25: Was Sorgen zerstreut, ist Weisheit und Ruhe, nicht schöne Aussicht nach Hügeln und Meeren.
3 Horaz, Od. III, 1, 40: Die Sorge schwingt zum Reiter sich im Sattel.
4 Vergil, Aen. IV, 73: Der tödliche Pfeil haftet tief im Fleische.
5 Horaz, Od. II, 16, 18: Warum entfliehst du deiner Wohnstadt? Und ziehst in kältre oder wärmre Länder? Ach, du entfliehst dir selber nie!
6 Persius, Sat. V, 158: Du sprichst: Strick ist entzwei und ich bin frei? Ach ja, so sprach der Hofhund auch und schleppte im Fliehen Kett' und Knüppel mit.
7 Lukrez. V, 44: Doch ist der Geist nicht geläutert, was müssen wir dann für Gefahren, was für Kämpfe bestehn, auch wenn wir selbst es nicht wollen! Was für fressende Sorgen zerfleischen die menschlichen Herzen, wenn die Begierde sie reizt, und ebenso quälende Ängste! Wie kommt Hochmut zu Fall, wie Geiz und freches Gebaren, welcher Ruin entsteht durch üppiges Protzen und Nichtstun.
8 Horaz, Epist. I, 14, 13: Nur unser Geist ist schuld daran, der nie sich selbst entflieht.
9 Tibull IV, 13, 18: Sei in der Einsamkeit dir selbst ein ganzer Klub.
10 Terenz, Adelph. I, 1, 13: Ha! Des Toren, der für sein Herz nach Dingen sucht, die es mehr lieben soll als sein selbsteignes Ich!
11 Quintilian X, 7: Selten ist der Mann, der nicht vergißt, daß er sich Ehrerbietung schuldig ist.
12 Horaz, Epist. I, 15, 42: Sichre, kleine Renten lieb' ich freilich, und fehlten sie mir auch, so lebt' ich doch bei Mangel zufrieden und vergnügt: Fiel aber mir ein größres Los an reichern Saaten, fettern Weiden, so sagt' ich auch: Nur der ist weise, versteht des Lebens Lehren besser, der sein Vermögen nützt und es auf Land- und Hausbau wendet.
13 Horaz, Epist. I, 1, 19: Sei du der Dinge Herr und nie der Dinge Sklave.
14 Horaz, Epist. I, 12, 12: Dem Demokrit fraß seine Herde das Kornfeld und den Weinberg kahl, indessen daß sein Geist in höhern Regionen wandelte.
15 Persius, Sat. I, 23: Die Wissenschaft ist also nichts für dich, wenn andre nicht dich weise preisen?
16 Properz II, 25, 38: Laß jedem seine eigne Laune; laß jedem seinen eignen Weg.
17 Horaz, Epist. I, 4, 4: Wann im balsamischen Haine ich still und ruhig wandle und auf die Dinge sinne, die würdig sind des Weisen und des Guten.
18 Persius, Sat. V, 151: Laßt Blumen uns pflücken am Wege des Lebens! Nur Frohsinn heißt Leben. Bald werden wir Schatten, Asche und eine bloße Mär.
19 Persius, Sat. I, 22: So, schwacher Graubart, sammelst du Köder für fremde Ohren?
20 Cicero, Tusc. disp. II, 22: Was schön und bieder ist, das schwebe stets vor unsrer Seele.
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