Allein im Gebirg

[145] Oh du! daß du an meiner Seite wärst!

Mit dir auf diese stillen, grünen Seen,

auf diese edlen, blauen Berge träumen;

aus all der Schönheit noch zu einer höh'ren

zurückzuwissen, wenn die Seele dürstet;

an deiner Augen Spiegel dann zu hängen,

die klarer als das klarste Bergseebecken

nur mich – wie meine dein Bild – widerschimmern;

im warmen Steinsitz dann zurückzulehnen,

bis einer Sehnsucht unsre Lippen folgen

und, ohne Wunsch, nur wie in himmelsholder

Gelöstheit, unsre Seelen sich berühren;

und wieder dann so Kopf an Kopf den Weiten

der ungeheuren Landschaft hingegeben,

mit Augen, die vor Glück in Schleiern liegen,

mit sanftem Atem zarter, junger Liebe –

oh du, daß du an meiner Seite ruhtest!

Was ist mir all die Schönheit ohne dich.

Quelle:
Christian Morgenstern: Sämtliche Dichtungen. Abteilung 1, Band 3, Basel 1971–1973, S. 145-146.
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