An denselben

[151] Nur eines laß den Scheidenden dich bitten:

Tu ohne Reue, was du immer tust!

Ich will, daß du des nachts in Frieden ruhst, –

sonst haben beide wir umsonst gelitten.


Wars not, daß du das Tafeltuch zerschnitten,

ist Bruch mit mir, darauf dein Leben fußt, –

verwirr dich nicht in Gramgedankenwust!

Was du erstrittst, hab reuelos erstritten!


Genieße deines Wollens Frucht in Kraft,

verhüll gleich mir des Einst verschlungne Tage:

Daß jeder so, gesund in Schaft und Saft,


ein starker, grader Stamm gen Himmel rage.

Vernichten hieß dich deine Leidenschaft –:

So schreit' in Schönheit, ohne Reu und Klage!

Quelle:
Christian Morgenstern: Sämtliche Dichtungen. Abteilung 1, Band 3, Basel 1971–1973, S. 151-152.
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