Zwischen Weinen und Lachen

[51] Zwischen Weinen und Lachen

schwingt die Schaukel des Lebens.

Zwischen Weinen und Lachen

fliegt in ihr der Mensch.


Eine Mondgöttin

und eine Sonnengöttin

stoßen im Spiel sie

hinüber, herüber.

In der Mitte gelagert:

Die breite Zone

eintöniger Dämmerung.


Hält das Helioskind

schelmisch die Schaukel an,

übermütige Scherze,

weiche Glückseligkeit

dem Wiege-Gast

ins Herz jubelnd,

dann färbt sich rosig,

schwingt er zurück,

das graue Zwielicht,

und jauchzend schwört er

dem goldigen Dasein

dankbare Treue.
[52]

Hat ihn die eisige Hand

der Selenetochter berührt,

hat ihn ihr starres Aug,

Tod und Vergänglichkeit redend,

schauerlich angeglast,

dann senkt er das Haupt,

und der Frost seiner Seele

ruft nach erlösenden Tränen.

Aschfahl und freudlos

nüchtert ihm nun

das Dämmer entgegen.

Wie dünkt ihm die Welt nun

öde und schal.


Aber je höher die eine Göttin

die Schaukel zu sich emporzieht –

je höher

schießt sie auch drüben empor.

Höchstes Lachen

und höchstes Weinen,

eines Schaukelschwungs

Gipfel sind sie.


Wenn die Himmlischen endlich

des Spieles müde,

dann wiegt sie sich[53]

langsam aus.

Und zuletzt

steht sie still

und mit ihr das Herz

des, der in ihr saß.


Zwischen Weinen und Lachen

schwingt die Schaukel des Lebens.

Zwischen Weinen und Lachen

fliegt in ihr der Mensch.

Quelle:
Christian Morgenstern: Sämtliche Dichtungen. Abteilung 1, Band 1, Basel 1971–1973, S. 51-54.
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