Das Wiegenlied.
Ein Lied des heiligen Johannes vom Kreuz, dem Buch, Aufsteigung des Berges Karmel vorgesetzt.

[49] Als die Aengsten mich umgaben,

Ganz entzündt in finstrer Nacht,

Ward die Lieb in mir erhaben,

Und ihr fester Bund gemacht.

O Glück! ich ging ohne Sehen

Aus der Selbstheit gänzlich aus,

Als ich frölich sahe stehen,

Weine Ruh- und Friedenshaus.


Ich gieng durch verborgne Stege,

Sicher in der Dunkelheit,

Taumelnd, ohne Furcht im Wege,

Ungestalt und ganz verkleidt;[50]

Ja in Finsterniß verborgen,

Schritt ich aus mir selbsten aus!

Ach! o Glück! da ohne Sorgen,

Ich in Ruhe fand mein Haus.


Keiner konnte mich erkennen,

Noch die Seligkeit der Nacht:

Mein Herz hatte in sich brennen,

Ein verborgnes Licht und Tacht:

Doch verdeckt, und ohne Schauen;

Licht und Führer heimlich bleibt:

Und in dieser Nacht und Grauen,

War ich blind, und ganz betäubt.


Diese mir verborgne Leiter

Brachten mich in Sicherheit,

Führeten mich immer weiter,

Bis zum Tag der Ewigkeit,

Wo Gott selbsten Licht und Sonne,

Und das Liebes-Feuer ist,

Friede, Freude, Ruh und Wonne,

Und mal, alles Leid vergißt.


Nacht, die lieblich führen thäte:

Du bist schöner dunkle Nacht,[51]

Als der Glanz der Morgenröthe:

Denn du hast in Eins gebracht

Braut und Bräutigam vermählet:

Dieser hat nun inniglich

Seine Braut, die er erwählet,

Ueberformet ganz in sich.


Mein Geliebter, ohne Schmerzen,

Still und sanft regierete

Und entschlief in meinem Herzen,

Das in Liebe grünete:

Da die Cedern und die Rosen

Sich bewegten in der Lust

Sanfte thät ich ihm Liebkosen

Unter diesem süßen Duft.


Morgenroth, dein sanftes Wehen,

Hat zerstreut mein ganzes Heer,

Kein Begehren konnt bestehen,

Denn der Freund vertrieb es gar,

Da mir klarer Hand er drücket

Meinen Hals, den er verletzt,

Alle Sinnen sind entzücket,

Und ich aus mir selbst gesetzt.[52]


Nunmehr hab ich ganz vergessen,

Wo das Aug sonst hingericht,

Liebster, du hast mich besessen,

Auf dich leg ich mein Gesicht.

Ich hab alles gar verlassen,

Es verschwindt, und ist nicht mehr:

Ich mag nicht Gedanken fassen,

Sie sind bey dem Lilien-Heer.


Quelle:
Karl Philipp Moritz: Andreas Hartkopf. Prediger Jahre, Berlin: Johann Friedrich Unger, 1790. , S. 49-53.
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