4.

[203] In dem landschaftlichen Wettstreit der deutschen Mundarten hatte das Oberdeutsche immer an Schönheit, Cultur und Nationalbedeutung den Sieg davongetragen. Das Niederdeutsche war gewissermaßen das Aschenbrödel der andern deutschen Mundarten geworden, vielfältig geschmäht und verachtet, und doch Herrliches und Anerkennenswerthes in sich tragend.1 Wenigstens wurde das Niederdeutsche mit seinen schönen leichtflüssigen Elementen ein ebenso nothwendiger Einschlag in die neuhochdeutsche Gesammtsprache, die sich im sechszehnten[204] Jahrhundert befestigte, als das Oberdeutsche, dessen unbedingte Alleinherrschaft mit der schwäbischen Epoche abgelaufen war. Diese beiden Hauptmundarten schmolzen in den geläuterten Guß des Neuhochdeutschen zusammen und bildeten den vereinigten Sprachschatz des deutschen Volkes, eine mit feinem Bewußtsein vorgenommene Blumenlese des Besten, was jeder Dialekt Eigenes hatte. Je stärker die nationalen Bewegungen wurden, je mehr hatten sich schon lange vor Luther die Mundarten einer Vermischung zugeneigt, die man mit dem Namen des Hochdeutschen bezeichnete. Die Canzleisprache des deutschen Reichstages wurde die erste anregende Veranlassung, konnte aber keine si chere Grundlage und Einheit dafür abgeben, weil sie selbst durch die politischen Verhältnisse etwas Unstätes und den verschiedensten Einwirkungen ausgesetzt war. Je öfter der deutsche Kaiserstuhl gewechselt wurde und in den verschiedenen Gauen des Vaterlandes umherging, um so mehr hingen sich bald von dieser, bald von jener Landschaft Farben und Einflüsse auch an die deutsche Hof- und Canzleisprache fest. So prägte[205] sich in dieser allmählig eine hochdeutsche Mundart aus, die allen andern als etwas Verschiedenes und Eigenthümliches gegenüberstand, zugleich aber sehr viel Wesentliches von ihnen vereinigte, und damit die Vorbereitung zu ihrer organischen Einheit wurde. So knüpfte denn auch Luther, der nicht der Verfertiger, sondern nur der Reformator und Gesetzgeber der neuhochdeutschen Gesammtsprache ist, seine Bibelsprache an die deutsche Canzlei an, wie er selbst im 69. Capitel seiner Tischreden von sich sagt: »Ich habe keine gewisse, sonderliche, eigene Sprache im Deutschen, sondern brauche der gemeinen deutschen Sprache, daß mich beide, Ober- und Niederländer, verstehen mögen. Ich rede nach der Sächsischen Canzeley, welcher nachfolgen alle Fürsten und Könige in Deutschland. Alle Reichsstädte, Fürstenhöfe, schreiben nach der Sächsischen Canzeley (oder vielmehr, die sächsische Canzeley schrieb nicht anders, wie alle Reichsstädte und Fürstenhöfe); darum ist's auch die gemeinste deutsche Sprache.«2[206]

Der Einfluß, der bei den andern modernen Völkern nur von einer tonangebenden Centralhauptstadt auszugehen und durch äußere politische Verhältnisse nöthigend zu wirken pflegt, konnte bei den Deutschen nur durch ein Buch, durch ein geistiges und gemüthliches Ferment, hervorgebracht werden. Nur die Bibel konnte es sein, welche die Einigung in der babylonischen Sprachverwirrung der deutschen Mundarten gründete. Radlof hat nicht mit Unrecht der Einwirkung der luther'schen Bibelübersetzung auf die deutsche Sprachbildung und die Bildung des Volkes überhaupt mit der verglichen, die Homer auf die Gesammtbildung der Griechen hatte. Wie das homerische Epos für alle griechischen Stämme eine Bedeutung gewann, so wurde die Bibel ein Canon für das moderne Leben, dessen sich vorzugsweise die deutsche Nation, als die eigentliche Weltträgerin des Christenthums, zu einem Nationaleigenthum bemächtigen mußte. Die deutsche Bibel mußte ein Volksbuch werden, das[207] mit Sprache, Leben und Sitte in den genauesten und umfassendsten Zusammenhang trat, woran sich die Nation in eine neue Epoche hinüberbildete. So kamen die Deutschen in den Besitz einer eigenthümlichen Bibelsprache, die sonst an keiner modernen Nation in diesem volksthümlichen Charakter sich zeigt. Die deutsche Bibelsprache wirkte aber national durch die Sprachvereinigung aller Stämme, und schuf somit die ersten sichern und allgemeingültigen Typen der Prosa für die Gesellschaft wie für die Literatur. Diese Bibelsprache, deren Bildner und Dichter Luther ist, war zugleich die erste Offenbarung der deutschen Sprache in ihrer ganzen gemüthlichen, religiösen und poetischen Stärke, in Donner, Blitz und lieblichem Gesäusel der Rede. Die dämonische Gewalt der Sprache erhob sich in Luther's Diction zugleich mit ihrer naiven Anmuth und dem Morgenhauch kindlicher, andächtiger, gottergebener Töne. Luther's Bibeldiction gab der Gemüthsseite des deutschen Lebens, den patriarchalischen Sympathieen der deutschen Häuslichkeit, Sprache und Ausdruck. Die[208] Volksbildung und das Umgangsleben erhielten einen biblischen und orthodoxen Anstrich, wie kein ähnliches Phänomen in der Geschichte sich aufweisen läßt. Zugleich tritt das Neuhochdeutsche, aus der Scheidungsepoche zweier Zeitalter geboren, mit aller historischen Berechtigung zur Herrschaft auf. Die Sprache der Reformation, welche der Protestantismus erzeugt, mußte die Sprache des modernen Weltalters werden. Jacob Grimm (Grammatik, I. Ausg. I. XI.) sagt sehr treffend: »Man darf das Neuhochdeutsche als den protestantischen Dialekt bezeichnen, dessen freiheitathmende Natur längst schon, ihnen unbewußt, Dichter und Schriftsteller des katholischen Glaubens überwältigte. Unsere Sprache ist, nach dem unaufhaltbaren Laufe aller Dinge, in Lautverhältnissen und Formen gesunken; – was aber ihren Geist und Leib genährt, verjüngt, was endlich Blüthen neuer Poesie getrieben hat, verdanken wir keinem mehr als Luthern.«

Wie sehr um diese Zeit die deutsche Sprache mit dem Protestantismus identificirt wurde, ersieht[209] man aus der Opposition der in ihren lateinischen Schlupfwinkeln aufgestörten Katholiken, welche das Deutsche als die Ketzersprache, zum Hohn auch »das lutherisch Deutsch« genannt, haßten und sogar mit Pamphlets verfolgten. Denn die katholischen deutschen Bibelübersetzungen hatten nicht mit dem Einfluß ins Volk dringen können, um die deutsche Sprache als ein nothwendiges Element mit dem Glauben und der Andacht zu verschmelzen. Dazu waren sie zu nüchtern, zu gottverlassen, ohne Begeisterung und Macht des Gemüths. Der Protestantismus dagegen, der durch die Bibelübersetzung seine Sache am durchgreifendsten verfocht, überwand jetzt die lateinischen Bestandtheile des kirchlichen Christenthums, indem er die Glaubensfreiheit mit der Nationalsprache als ineinsgeschlungenes Symbol, als siegreiches Banner verknüpfte. Die deutsche Sprache bestieg nun aller Orten die Kanzel und predigte und versah jede Anforderung des Cultus in den heimathlichen, für die Frömmigkeit ganz geschaffenen Lauten. Um nicht gegen die Volkssympathieen zu verstoßen, mußte bald auch die katholische Geistlichkeit ihrerseits anfangen, die Muttersprache[210] zu pflegen und nach den in der Zeit entstandenen Bedürfnissen zu behandeln. So wurde auch der Katholizismus unversehens von dem protestantischen Dialekt mitfortgerissen.

Um zunächst den Unterschied der Bibelsprache Luthers von seinen katholischen Vorgängern zu veranschaulichen, folge hier eine Stelle aus dem Hiob, einmal nach Otmar's Ausgabe vom Jahre 1507 und dann nach Luther's Uebersetzung von 1541, in welchen beiden die Rede Gottes folgendermaßen gegeben ist:


Otmar. 1507.


»Aber der herre antwurt job von dem windtspreuel und sprach. Wer ist der, der da einweltzett die urtayl mit ungelerten worten. Begürte deine lenden als ain mann, ich frage dich und du antwurte mir. Wo warest du, do ich setzet die grundtfeste der erde. Zayge[211] mir, ob du habst die vernunft. Wer satzt ir maßs, ob du es erkantest oder wer strecket über sy die linien, auff die ire grundtfesten seind gesterket. Oder wer leget iren winkelstain. Do mich lobeten die mörgenlichen steren mit einander und jubilierten alle süne gottes. Wer beschloß das möre mit den thüren. do es fürbrache all für geend von dem leybe. Do ich leget die wolken sein gewand und do ich es umwickelet mit der tunklung als mit thüchen der kindheyt. Ich umbgabe es mit meinen enden und satzt den rigel und[212] die thüren und sprach. Du kumpst untz her und du geest nit fürbaß, unnd hie zerbrichest du dein wülend flüß.«


Luther. 1541.


»Und der Herr antwortet Hiob aus einem wetter und sprach. Wer ist der, der so felet in der weisheit und redet so mit unverstand? Gürte deine Lenden wie ein Mann; Ich will dich fragen, lere mich. Wo warestu da ich die Erden gründet? Sage mir's,[211] bist so klug. Weissestu, wer jr das Maß gesetzt hat? Oder wer über sie ein Richtschnur gezogen hat? Oder worauff stehn ire Füsse versencket? Oder wer hat jr einen Eckstein gelegt? Da mich die Morgensterne miteinander lobeten, vnd jauchzeten alle Kinder Gottes. Wer hat das Meer mit seinen Thüren verschlossen, Da es herausbrach wie aus Mutter leibe. Da ichs mit Wolken kleidet, vnd in tunkel einwickelt wie in windeln. Da ich jm den laufft brach mit meinem Tham, vnd setzet jm riegel und thür. Vnd sprach, Bis[212] hieher soltu komen, vnd nicht weiter, Hie sollen sich legen deine stoltzen wellen.«


Luther's Bibelübersetzung ist ebenso sehr eine Hervorbringung des produzirenden Genies, als der mühsamsten und durchdachtesten Sprachforschung. Wie Luther allmählig seinem Ziele entgegenschritt, zeigt die Stufenfolge seiner Uebersetzungen, die vom Jahre 1517 an in einzelnen Stücken der Bibel sich aneinanderreihten und zuerst 1534 zu dem vollständigen Bibelwerk zusammengestellt wurden. Darauf erfolgte die umfassende Revision seiner Arbeit von 1541, und nach ihr eine Reihe von immer vollendeteren Ausgaben bis zu der von 1545, die, von Luther noch selbst besorgt, als die letzte Feststellung und Organisation seiner Sprache anzusehen ist. Man tritt in Luther's Werkstatt, wenn man die Reihenfolge dieser Uebersetzungsversuche durchmustert, und sieht ihm mit Erstaunen zu, wie er sich selbst nie genugthun und befriedigen kann, wie er alle Quellen der Sprache, die aus älterer Zeit wie[213] aus dem Redegebrauch des wirklichen Lebens nur irgend abgeleitet werden konnten, für seine Diction flüssig zu machen sucht, und sein Sinn für Feinheit, Bezeichnung, Wohllaut, Regelmäßigkeit und Poesie des Ausdrucks sich immer mehr und mehr schärft. Wie sehr er sich um eine in allen Einzelnheiten zutreffende Darstellung, um das Detail der Sprache, bemühte, schildert auch Joh. Matthesius in Luther's Leben, in der dreizehnten Predigt: »Der Doctor übersah zuvor die ausgegangene Bibel und studirte bei Juden und fremden Sprachen Kundigen, auch fragte er bei allen Deutschen nach guten Worten, wie er ihm denn etliche Schöps abstechen ließ, damit ihm ein deutscher Fleischer berichtet, wie man ein jedes am Schaf nennt.« Und Luther selbst sagt von sich: »Ich hab mich im Dollmetschen der reinen und klaren, deutschen Sprache beflissen; und hab oft vierzehn Tage, ja drei, vier Wochen ein einiges Wort gesucht und gefragt, und es doch bisweilen nicht finden können.«

Das Grammatische in der Sprache Luther's stellte sich erst allmählig fest. In seinen frühern Schriften stößt man auf viele Härten, die besonders[214] durch eine unangenehme Ausstoßung des e hervorgebracht werden, sowohl bei den Dativendungen, dem Tag, dem Roß, als im Nominativ der einfachen wie der mehrfachen Zahl, der Frid, der Glaub, die Ross, die Tag. Ferner pflegte er die Adjectiven vor den Hauptwörtern meistentheils ganz unverändert zu lassen, und wie Adverbia zu gebrauchen; den Plural auf e statt auf er zu bilden, die Manne, die Weibe; rauhe und ungrammatische Formen, wie er tot für er tödtete, wunsch für wünschte, und ähnliches Schwankende und Mißlautende zu gebrauchen. Auch wies in seinen ersten biblischen Uebersetzungen die neuhochdeutsche Mundart noch keineswegs eine Einheit oder Sicherheit auf, vielmehr machten sich noch viele oberdeutsche Laute und Formen unbedenklich geltend, wie z.B. in folgender Uebersetzung der Schilderung Leviathans, aus dem Jahre 1523: »Wer kann die kinnbacken seines antlitz auffthun? Schröcklich stond seine zeen umbher, Sein leichnam ist wie schilt, vest und eng ineinander, Ains rürt an das ander, das nit ain lüfftlin darzwischen geet, es hanget ainer am andern und halten sich[215] zusamen, das sy nit von einander gethan mügen werden. Sein nyessen ist wie ain glantzends licht. Die schleuderstain seind im wie stupfel, den hamer achtet er wie stupffeln, er spottet der zitterden lantzen« etc. An die Stelle solcher Formen traten allmählig sächsische bei ihm ein, oft nach Wohllaut, Gefühl und Stimmung des auszudrückenden Gedankens fein nüancirt. Obwohl die vollen, austönenden Laute des Oberdeutschen, wie glanzen, offentlich, kurzlich u.a., in mancher Hinsicht erhaltenswerth scheinen, so haben doch die Umlaute, mit denen sie Luther bald in die sächsischen Formen glänzen, öffentlich, kürzlich, verwandelte, den leichteren Fluß der Rede, die geschmeidige Bewegung für die Prosa, für sich. So wurden auch die oberdeutschen Flexionen: ich nimm, ich lies, ich gieb, ich iss, ich sih u.s.f. von Luther ausgeschlossen, und gingen durch ihn in der sächsischen Abwandlung ich nehme, ich lese, ich gebe, ich esse, ich sehe, in die allgemeine Schriftsprache über,3 da sie in dieser Form ebenfalls für[216] die Prosa leichtfügiger und fließender scheinen. Sachsen hatte um diese Zeit ein blühendes und mannigfaltiges Leben gewonnen, durch die äußere Regsamkeit und Betriebsamkeit, durch Handel, Bergbau und Gewerke war auch die Sprache in diesen Landen ausdrucksfähig und für die Wendungen und Verhältnisse der Wirklichkeit geschickt geworden, und so war es natürlich, daß die beiden sächsischen Mundarten, die Luther gleicherweise benutzte, eine Hauptgrundlage für die Bildung der neuhochdeutschen Prosa abgeben konnten.

Die hervorstechendste Eigenthümlichkeit, die den eigentlichen Geist der luther'schen Sprachschöpfung ausmacht, ist aber die christliche Anschauung und Gesinnung, die seine Sprache so sehr als Lebensathem durchdringt, daß sie sogar wortbildnerisch und grammatisch den größten Einfluß ausübt. Durch gewisse Wörter und Zusammensetzungen glaubte Luther die deutsche Sprache gewissermaßen christianisiren zu müssen, und wir verdanken diesem Bestreben manche schöne Wortfügungen, die uns geblieben sind. Namentlich sind in unserer Sprache die häufigen Zusammensetzungen mit dem[217] Worte selig durch Luther theils in Gebrauch gekommen, theils geschaffen worden. Den Engelsgruß bei Lucas (I. 28.) übersetzt Luther: gegrüßet seystu, holdselige! ein sehr glücklich von ihm gebildetes Wort, auf dessen Zusammensetzung ihn ohne Zweifel nur ein christliches Gemüthsbedürfniß brachte, obwohl gerade dieses Wort von seinen Gegnern sehr heftig angefochten wurde. Das κεχαριτωμένη der Urschrift war in der Vulgata mit plena gratiarum, und von Luther's Vorgängern voller Gnaden übersetzt worden. Die deutsche Sprache hatte überhaupt für Grazie bis dahin kein anderes recht gangbares Wort gehabt als Gnade, und Geyler von Kaysersberg spricht einmal in seinen Predigten über das Narrenschiff von den drei Gnaden, statt den drei Grazien. Luther, der sich über diese Uebersetzung des Engelsgrußes bei Lucas in seinem Sendschreiben vom Dolmetschen §. 14. ausführlicher äußert, machte sich mit der schönsten und bezeichnendsten Wiedergebung dieser Stelle besonders viel zu schaffen. Er nahm zunächst das Wort hold, das sich schon in den ältesten Sprachdenkmälern, bei Willeram und Otfrid, findet und[218] zunächst Treue und Angehörigkeit, dann Freundseligkeit und liebreiches Wesen, bezeichnet, sowie unhold (was schon im silbernen Codex den Teufel, unhulto, benannt), das Gegentheil davon, erst ungetreu, und dann feindlich, übelthätig, ausdrückt. Hold schien Luthern jedoch noch nicht genügend, um Das, was der Engel mit seinem Gruße an dem Wesen der Maria bezeichnen will, wiederzugeben. Es dünkt ihm noch ein zu äußerliches Beiwort, nur irdische Liebe und irdische Schönheit andeutend, und er fügte selig daran, welches Wort seiner Abstammung nach (sel, sal, salus) auf das Heil hinzeigt, und in diesem Falle besonders die Heilsbotschaft, welche der Engel der Mutter Gottes bringt, insichschließt. So erhielt unsere Sprache in diesem holdselig eines ihrer schönsten und lieblichsten Wörter, das von der heiligen Jungfrau Maria aus bald auch in den Sprachschatz der irdischen Liebe und Zärtlichkeit überging. Luther selbst aber hatte sich mit diesem Ausdruck eigentlich noch nicht genuggethan; er meinte, der Engel wolle an dieser Stelle vorzüglich sagen: Gott[219] grüße Dich, du liebe Maria, und wenn er deutsch gesprochen hätte, würde er sie mit diesen Worten begrüßt haben, denn, fügt Luther hinzu, »wer Deutsch kann, der weiß wohl, welch ein herzlich fein Wort das ist, die liebe Maria, der liebe Gott, der liebe Kaiser, der liebe Fürst, der liebe Mann, das liebe Kind. Und ich weiß nicht, ob man das Wort liebe auch so herzlich und genugsam in lateinischer oder andern Sprachen reden möge, daß es also dringe und klinge in das Herz, durch alle Sinne, wie es thut in unserer Sprache.«4

Die christliche Anschauung bildete auch das Wort gottselig, worin Luther das auch auf die heidnischen Götter bezügliche göttlich umsetzte. Andere Wörter, wie unglückselig, glückselig, armselig und ähnliche entstanden ebenfalls in diesem christlichen Sinn, dem keine andere Sprache wie die deutsche mit solcher ideellen Bezeichnungsfähigkeit nachkommen kann. Mit der Armuth[220] und dem Unglück eine Seligkeit zu verbinden, spricht das Grundwesen des Christenthums aus, für das nur die deutsche Sprache sogleich einen eigenen Wörterhaushalt auszufinden vermochte. Bei Luther selbst blickt die Absicht hervor, diesen Charakter seiner Sprache immer entschiedener auszuprägen. In seinen frühesten Bibelübersetzungen stand in der Bergpredigt: benedeyt seid ihr u.s.w., wofür später glückselig und selig mit jener bezeichnenderen Färbung der Bibelsprache an die Stelle kam.

Das Wort hehr ist ebenfalls der biblischen Diction eigenthümlich und durch dieselbe in der deutschen Poesie verbreitet worden. Es ist ein altes deutsches Wort, das besonders der sächsischen Mundart angehörig scheint und von Luther zuerst in den Psalmenübersetzungen, wo die Vulgata terribile hat, gebraucht wurde, wie er selbst sagt: »Das Wort terribile heiße ich auf Deutsch hehr, das man zu Latein metuendum, reverendum nennt, als man ein Bild, Kirche, Fest, Heiligthum oder dergleichen schön und hehr hält.« Offenbar wollte er damit ein aus Schauerlichem und Heiligem gemischtes[221] Gefühl der Ehrfurcht bezeichnen, etwas geheimnißvoll Erhabenes, wofür dieses Wort, das in seiner Abstammung ohne Zweifel mit herrlich, Herr, Ehre, zusammenläuft, sehr charakteristisch ist. Heiland, ein Participium von dem fränkischen Verbum heilan, heilen (heilant), ist durch Luther in der Sprache der christlichen Anschauung eingebürgert worden, womit er namentlich das griechische σωτηρ des neuen Testaments übersetzte, einen umfassenden und der evangelischen Bedeutung durchaus gemäßen Sinn damit ausdrückend. Diese und ähnliche Wörter und Wendungen zeigen, wie Luther bei seiner Arbeit ohne Zweifel die alten Sprachschätze vor Augen hatte und eifrig durchforschte. Schon Otfrid sagt von Jesus: Nu vuizun in ala vuari thaz er ist heilari, nun wissen wir in aller Wahrheit, daß er ein Heiler ist. Luther bediente sich jedoch dieses Wortes auch im alten Testament, z.B. Richter, 3. 9. der Herr erweckt ihnen einen Heiland, oder Nehem. 9. 27. du gabest ihnen Heilande, die ihnen halfen.

Andere Eigenthümlichkeiten der luther'schen Sprache sind zum Nachtheil der heutigen Diction wieder[222] verloren gegangen. Dahin gehört unter Anderem die bei ihm übliche Auslassung gewisser Vorsatzsylben, wodurch sich ihm Doppelwörter bildeten, die in verschiedenen Fällen zur Abwechselung des Ausdruckes, selbst mit Hinsicht auf den Wohllaut, bald in ihrer einfachen, bald in ihrer zusammengesetzten Form, sich gebrauchen ließen; z.B. blößen und entblößen, sich fernen und entfernen, sich fleißigen und befleißigen, kehren und verkehren, kleinern und verkleinern, leichtern und erleichtern, niedrigen und erniedrigen, wintern und überwintern, Fahr und Gefahr, schäftig und geschäftig, Schmack und Geschmack, schwätzig und geschwätzig, Trügerei und Betrügerei, wendig und abwendig u.v.a.5 Mehrere solcher Wörter, die besonders durch Luther in Gebrauch gekommen, sind auch heut noch unserer Diction mehr oder weniger zuständig, wie[223] fälschen für verfälschen, fehlen für verfehlen, fördern für befördern, gleichen für vergleichen (ich gleiche dich, meine Freundin, meinem reisigen Zeuge, im Hohen Liebe), mählich für allmählig, linde für gelinde, neiden für beneiden, u. dgl. Andere sind ganz eingewohntes Eigenthum unserer Sprache, Brauch und Gebrauch, ziemen und geziemen, mehren und vermehren etc. doch verdienten auch die meisten, die zurückgetreten und veraltet sind, für die Bequemlichkeit Mannigfaltigkeit und Ausfüllung unserer Schreibart wieder eingeführt zu werden.

Einige Wörter Luther's, die ganz in seinem Sprachgeist empfangen waren, sind völlig vom Schauplatz verschwunden, auch allmählig in den neuern Ausgaben der Bibel fortgelassen worden, z.B. webern, s.v.a. sich regen, Psalmen. 65. 9. du machest fröhlich was da webert. Der Ausdruck gehört übrigens der oberdeutschen Mundart an, denn noch heutzutage kann man in Süddeutschland hören: es webert, für: es spukt. Anderes Alterthümliche seiner Sprache tilgte Luther noch selbst in der Ausgabe letzter Hand, z.B. ichtes für etwas[224] (woraus mit der Negation nicht, nichts gebildet worden). Manches, was sonst auffällig und eigenthümlich an seiner Bibelsprache erscheint, ist oft nur durch eine wörtliche Uebersetzung der Vulgata entstanden, z.B. der biblische Ausdruck erkennen vom fleischlichen Umgange, der eine unmittelbare Uebertragung des lateinischen cognoscere ist, was schon Adelung bemerkt hat. Dagegen kannte Luther, ungeachtet seiner gewandten Aneignung lateinischer Formen, seltsamer Weise das Wort Körper noch nicht, obwohl schon im Lobgesang des heiligen Anno: »der beide ist corpus unte geist« der Gegensatz von Körper und Geist sich ausgedrückt findet. In Luther's Bibel erscheint immer nur das Verhältniß von Leib und Seele mit einer gewissen verächtlichen Färbung des ersteren, der auch öfters, gerade in diesem Gegensatz, nur als Leichnam bezeichnet wird. Die räumliche Bedeutung des Körpers wurde erst durch Descartes als metaphysischer Begriff aufgenommen und aus der Mathematik in den modernen Sprachgebrauch übertragen. Dagegen reinigte Luther das Wort Geist von den sinnlichen Bestandtheilen[225] der mystischen Terminologie, in der es das ausströmende Fluidum bezeichnet, das sich mit dem Fluidum der Gottheit zu einer wirklichen und realen Gemeinschaft zusammenschließt, weshalb es in der Bedeutung von Hauch, Odem vorkommt, ja selbst vom Winde nicht unterschieden wird, eine Vermengung, die sich noch bei Geyler von Kaysersberg findet, der Joh. III. 8. »der Geist der geistet wo er wil, und du hörest seine Stimme« übersetzt, wo Luther hat: »der Wind blaset wo er will, und du hörest sein Sausen wohl.«6 In der Bezeichnung der menschlichen Verhältnisse, der Stände, der Geschlechter, verräth Luthers Sprache manche glückliche Naivetät der Anschauung, manche zurückzuwünschende Anmuth und Harmlosigkeit des Ausdrucks. In den Anreden zeigt sich noch fast gar keine Unterscheidung der Stände, nur in Herren und Knechte, oder auch in Pöbel und Junckern, wobei jedoch jener nur das Volk ohne alle Nebenbegriffe bezeichnet, legen sich einfach die[226] aristokratischen und demokratischen Elemente auseinander. In der Benennung des weiblichen Geschlechts ist Luther's Wortgebrauch besonders sinnreich. Das schöne Magdthum hat sich leider wieder aus dem heutigen Gebrauch entfernt, und wir haben nur noch das undelicatere Wort Jungfrauschaft an seiner Stelle. Magd und Jungfrau werden von Luther gleichbedeutend und abwechselnd gebraucht, der Begriff des Dienenden ist mit der ersteren noch nicht im niedrigeren Sinne verbunden und streift nur hinundwieder in leiser Schattirung daran. Folgende Physiognomie einer deutschen Magd entwirft Luther selbst einmal: »Es heißt im Deutschen Magd ein solch Weibsbild, das noch jung ist und mit Ehre den Kranz trägt und im Haar geht; ein jung Weibsbild, die nicht nur ihre Jungfrauschaft noch hat, sondern auch Tugend und einen fruchtbaren Leib. Darum heißt solches junge Volk Meide- oder -Maide-Volk, nicht Jungfrauen-Volk.« Aus dieser letztern Andeutung geht wenigstens hervor, daß er in solchen Zusammensetzungen das Wort Jungfrau nicht für üblich und schicklich gehalten, obwohl er demselben[227] sonst nicht gerade einen vornehmeren Anstrich beilegt. Mädchen kam erst später aus dem Niederdeutschen in Aufnahme, und wurde von Luther noch nicht gebraucht, der dafür Mägdlein hat. Dirne kann bei Luther auch eine Verheirathete bezeichnen, solange sie sich in einem gewissen jugendlichen Alter befindet, und drückt noch durchaus keine Geringschätzung mit dieser Benennung aus. Man sieht, die Frauen haben zu Luther's Zeiten eine schöne Mannigfaltigkeit der Bezeichnungen besessen, die ihnen heut fast gänzlich verloren gegangen. Mehrere damals übliche sind jetzt sogar anrüchig und unanständig geworden, und das äußerst zartsinnige und poetisch gebildete Wort Weibsbild, womit Luther das ganze Geschlecht benennt, ließe sich nicht so leicht wieder zu Ehren bringen. Statt des Bildes, unter dem Luther das Frauengeschlecht anschaulich und lieblich zusammenfaßte, hat man jetzt die allgemein gebräuchliche Zusammensetzung mit Zimmer, wodurch die Frauen zu einem bloßen Gemach, zu einem Frauenzimmer entarten, ein Wort, das allmählig durch eine unbegreifliche Ideenassociation für Weibsbild in Aufnahme[228] gekommen. Zu Luther's Zeit kannte man dies Wort, das um jeden Preis wieder außer Umlauf gesetzt werden müßte, nicht anders als in dem Sinne eines wirklichen Frauengemachs, z.B. Buch Esther, 2. 13., wo Luther übersetzt: »Alsdann ging eine Dirne zum Könige; und welche sie wollte, mußte man ihr geben, die mit ihr vom Frauenzimmer zu des Königs Hause ginge«, und so an mehreren Stellen. Dagegen ist das Wort Dirne wenigstens der deutschen Balladenpoesie nicht ganz fremd geworden, obwohl es doch im Ganzen sein edles Gepräge eingebüßt.

Was Luther's Bibelsprache zu ihrer hohen Bedeutung und dem unabweislichen Einfluß auf das Volk gelangen ließ, ist am allermeisten der poetische Schöpfergeist, das dichtende Gemüth, welches in ihr waltet, und der deutschen Rede mit neuer Zeugungskraft sich bemächtigte. In Luther's Diction zerfielen zuerst die Schranken von Poesie und Prosa oder sie traten als eine in Geist und Formen verschmolzene Einheit auf, von der sich nicht mehr nachweisen läßt, wo die dichterischen und wo die prosaischen Elemente anfangen und aufhören. Nur[229] eine dichterische Uebertragung konnte die Bibel zu einem deutschen Volksbuch machen, da immer nur das Poetische sich am innigsten mit der Nationalität durchdringt. So wurde diese an religiöser Begeisterung entsponnene Einheit von Poesie und Prosa zugleich die Grundlage der neuhochdeutschen Gesammtsprache, die aus der Bibelsprache hervorging; und die ganze moderne Darstellung der nachfolgenden Literatur, auf einen Nationalcanon von so universaler Bedeutung sich zurückführend, läßt keine wesentliche Zerlegung in einen poetischen und prosaischen Sprachgebrauch mehr zu. Luther hatte sich ein sehr entschiedenes Schönheitsideal der Sprachdarstellung vorgezeichnet, dem er nicht nur in der Wortbildung, sondern auch im Numerus und Tonfall seiner Sätze zu genügen strebte. Bei allem hinreißenden Gefühl in seiner poetischen und rhythmischen Behandlung scheint er doch eines sehr feinen und sichern Taktes sich bewußt gewesen, womit er immer ein die Prosa einfriedigendes, gehaltenes Zeitmaaß von dem wirklich metrischen zu unterscheiden verstand. Nur zuweilen hat er darin[230] geschwankt und sich versähnlichen Bewegungen der Sätze, ja selbst Reimen, die nicht für unabsichtlich gelten können, überlassen. Zwar muß man anstehn, die Hexameter, die man in Menge aus Luther's Bibel gesammelt hat, wo die meisten der Art sind, wie der berüchtigte in der Genesis (XXVI. 8.) »daß Isaac schertzet mit seinem Weibe Rebecca« für wirkliche Verse zu halten, oder wann sie es sind, der bestimmten Absicht Luther's beizumessen. Die Hexameter in der Bibelübersetzung hat Luther gewiß unbewußt hervorgebracht, mit Fleiß schon deshalb nicht, weil man zu seiner Zeit noch nicht daran dachte, dieses Versmaaß in deutscher Sprache zu produziren, und erst später Fischart bekanntlich den ersten Hexameter an die Deutschen richtete. Der hexametrische Gang ist jedoch der deutschen Sprache, wie der Tonwandlung der Prosa überhaupt, so angemessen, daß er sich überall ohne Mühe unwillkürlich entdecken läßt, und von jeher hat man, bei alten und modernen Autoren, die Spielerei getrieben, sie auf Hexametern ertappen zu wollen. Daß Luther zuweilen Reime in seine Darstellung aufnahm, läßt sich dagegen nicht läugnen.[231] In dem Bestreben seiner Sprache, auch jeden malerischen und drastischen Effect auf das Gemüth hervorzubringen, ließ er sich dazu verführen, in dieser Weise auch auf das Ohr zu wirken. Es scheint uns eine Geschmacklosigkeit seiner Darstellung, aber man kann annehmen, daß er es zugleich im Sinne der patriarchalischen und altväterlichen Naivetät seiner Gemälde, namentlich im alten Testament, gethan. Das hervorstechendste Beispiel dieser Art befindet sich in der Geschichte der Susanna, wo auf die Aussage des einen Zeugen: »unter einer Linden«, Daniel antwortet: »O recht, der Engel des Herrn wird dich finden«, dem andern Zeugen aber, der aussagt: »unter einer Eichen«, erwiedert: »O recht, der Engel des Herrn wird Dich zeichen«. Die Absichtlichkeit, hier einen Reimklang hervorzurufen, erhellt wenigstens daraus, daß Luther in seiner Uebersetzung zwei andere Bäume gewählt hat, als im Originaltext an dieser Stelle stehn, bloß um darauf reimen zu können.7 In einigen neueren Ausgaben der[232] Bibel sind aus philologischer Genauigkeit die von Luther fingirten Bäume gefällt und dafür die des Textes wieder eingepflanzt worden, wodurch man denn auch den Reim mit ausrodete. Dies möchte hier hingehen, wenn man nur nicht fortführe, in diesen modernen Ausgaben aus philologischen Rücksichten, durch Einschiebsel und Correcturen aller Art, immer mehr an der eigenthümlichen rhythmischen Bewegung und Schönheit der luther'schen Sprache zu zerstören. Daß sie, in ihrer Ueberlieferung von Jahrhundert zu Jahrhundert, von den sich fortgestaltenden grammatischen Formen moderne Rückwirkungen und Nüancirungen empfing, war nicht zu vermeiden und konnte unbeschadet ihrer noch dauernden Bedeutung als Grundstock der modernen Prosa geschehn. Aber ein universales Volksbuch, das wie eine alle Himmelszeichen durchwandelnde Sonne die Geschichte einer Nation auf ihren verschiedensten Bildungsstufen begleitet, muß mit volksthümlichem und poetischem Takt in seinen äußern Formen von Zeit zu Zeit abgeschliffen, aber nie nach der Mode umgekleidet werden. Der rhythmische Charakter der luther'schen Prosa bedarf[233] aber einer besonders leisen und geschickten Berührung, weil er eine der Haupteigenthümlichkeiten ist, durch welche seine Bibelübersetzung von der klang- und melodielosen Steifheit der ihm vorangehenden sich unterschied. Das tonreiche Gefälle der luther'schen Bibelsprache, das sich an Ohr und Gemüth festheftet, trug ohne Zweifel sehr wesentlich dazu bei, ihr die volksthümliche Wirksamkeit zu verschaffen, deren seine Vorgänger entbehren mußten, weil ihre geleimte und geklebte Sprache von vorn herein jeden Anknüpfungspunct mit dem Herzen des Volkes verfehlte. Dagegen muß man sich wundern, daß die moderne Prüderie und Pietisterei mit Luther's argloser Bezeichnung des Natürlichen und Sinnlichen, die in der Bibel so unumwunden heraustritt, nicht schon in einen förmlichen Bruch gerathen. Die gesunde Züchtigkeit des luther'schen Gemüths war um so unbefangener in aller Benennung des Unzüchtigen, dem er keine grelle Farbe der Ausmalung zu ersparen gesonnen ist, obwohl man nicht sagen kann, daß er sich jemals einem wirklich ekelhaften Bild überläßt. Wie soll aber heutzutage, wo auch das Unanstößigste anstößig[234] wird, seine schonungslose Naturkraft ertragen werden? Niemand möchte es indeß wagen, hier die Gränze oder Norm für eine der Gesinnung, der Stimmung und den Nerven des Jahrhunderts sich anschließende Modernisirung der Bibelsprache anzugeben, weil man sich in diesem Verhältniß lieber den Bruch nicht gesteht, wie er anderwärts zu Tage liegt. Diese Derbheiten der luther'schen Sprache benutzten schon die Katholiken seiner Zeit zum Stichblatt der Opposition. In einer Ausgabe von Emser's Uebersetzung des Neuen Testaments, die nichts als ein etwas umgeschriebener Abdruck der luther'schen war, heißt es in einer Nachschrift, man habe »vm der Jungfrawen vnd vnschuldigen Herzen willen, die frechen vnd ärgerlichen wörter (der sich Luther in seinem Testament viel gebraucht, vnd der Emser zu zeyten, vielleicht aus überheuffung der arbeyt oder belestigung seiner schwachheit vorsehen vnd also stehen lassen hat) in züchtigere wörter verandert vnd zu zeiten vmschrieben.« Diese vermeintliche Reinigung hat sich jedoch nur auf wenige Wörter erstreckt, als: Hurerei, Hure u.s.w.,[235] die man in Unkeuschheit, Bulin udgl. verändert findet.8

In den eigenen Schriften Luther's, besonders in denen, wo ihn die Polemik seines Zeitalters fortriß, mischte sich bei weitem mehr Verletzendes ein, sowohl in der Decenz des Ausdruck's, als auch sonst in sprachlicher Hinsicht. Sie haben nicht das Gediegene, Durchbildete und Abgerundete seiner Bibelsprache, und verrathen oft, im wilden Drang des Augenblicks, die Heftigkeit seines Charakter's auch im Stil, der dann rohen, aus dem Klotz geschlagenen Figuren gleicht. Selbst seinen Predigten fehlt nicht selten aller begeisterte Aufschwung, oder sie entarten in die bigotten Kanzelspielereien, die zu seiner Zeit Mode waren. So heißt es in seiner Predigt über die letzten Posaunen an einer Stelle: »So geht's zu zu Felde in der Heerschlacht. Wenn man die Schlacht anfehet, so bleset man die Posaunen oder Drometen, schlegt die Trommel vnd gehet daher die Taratantara. Man macht ein Feldgeschrey, Her, her, her,[236] her. Der oberste Leutenant oder Heübtmann vermahnet das Kriegsvolk, die Feinde ritterlich anzugreiffen, Hui, Hui, Hui, Hui. Und das Kriegsvolk schreyt zu, Frisch an sie, Frisch an sie, Frisch an sie, Schlag Tod, Schlag Tod, Schlag Tod. – – Als Sodom vnd Gomorrah vnterging, da waren in einem Augenblick alle Einwoner der Stedte, Mann vnd Weib, Kind vnd Kegel tod vnd versenkt in Abgrund der Höllen. Da war nicht Zeit Gelt zu zelen, noch mit der Metze herumb zu springen, sondern in einem Augenblick war alles, was lebet, tod vnd versunken. Das war Gottes Posaune vnd Dromet; da gings: Pummerle pump, Pliz, Plaz, Schmi, Schmir. – Das ist nu vnsers Herrn Gottes Pauken, oder, wie es St. Paulus hie nennet, die Stimme des Erzengels vnd Posaune Gottes. Denn wenn Gott donnert, so lautet's schier wie ein Pauken, Pommerle pump, vnd die Donnerschläge scherzen nicht. – Das wird seyn das Feldgeschrey vnd die Taratantara Gottes, das der ganze Himmel vnd alle Luft wird gehn Kir, Kir, Pummerle pump.«

Feiner und angemessener trifft Luther zuweilen[237] diesen scherzenden und spielenden Ton in seinen Briefen. So schreibt er an Salatin von den vor seinem Fenster versammelten Dolen und Krähen, auf den Reichstag von Augsburg anspielend: »Da ist ein solch zu-und abreut, ein solch Geschrey Tag und Nacht, als wären sie alle trunken, voll und toll; da gekt jung und alt durcheinander, daß mich wundert, wie Stimme und Odem so lang währen können und möchte gerne wissen, ob auch solches Adels und reisigen Zeuchs auch etliche noch bei euch wären. – Ich habe ihren Kayser noch nicht gesehen, aber sonst schweben und schwänzen der Adel und grossen Hansen immer vor unsern Augen, nicht fast köstlich gekleidet, sondern einfältig in einerley Farbe alle gleich schwarz und alle gleich grauaugig, singen alle gleich einen Gesang, doch mit lieblichem Unterschied der alten und der jungen, grossen und kleinen. Sie achten auch nicht der grossen Pallast und Saal, denn ihr Saal ist gewölbet mit dem schönen weiten Himmel. Ihr Boden ist eitel Feld, getäfelt mit hübschen grünen Zweigen. So sind die Wände so[238] weit als der Welt Ende. Sie fragen auch nichts nach Rossen und Harnischen, sie haben gefiederte Räder, damit sie auch den Buchsen entfliehen und ihren Zorn entsitzen können.«

Fußnoten

1 Bürger behauptete sogar (in seinem Lehrbuch des deutschen Stils, herausg. v. K.v. Reinhard, S. 53), die niederdeutsche Mundart sei das Ueberbleibsel einer sehr frühen Cultur, welche über die Gränze unserer bekannten Geschichte hinausgehe.


2 Vgl. G.F. Grotefend, Dr. Martin Luther's Verdienste um die Ausbildung der hochdeutschen Schriftsprache, im ersten Stück der Abhandlungen des frankfurttischen Gelehrtenvereins. (Frankf. a.M. 1818.)


3 Vgl. Radlof, teutschkundliche Forschungen und Erheiterungen II. 223.


4 Vgl. Diederich von Stabe, Erläuter- und Erklärung der vornehmsten deutschen Wörter Luthers (Bremen 1724). S. 317. und Grotefend a.a.O. S. 122 flgd.


5 Vgl. ein ganzes Verzeichniß solcher Wörter bei Teller: Vollständige Darstellung der deutschen Sprache in Luther's Bibelübersetzung, I. S. 10–31.


6 Vgl. Grotefend, Luther's Verdienste um die Ausbildung der hochdeutschen Schriftsprache. S. 129.


7 Vgl. Grotefend, a.a.O. S. 133.


8 Vgl. Grotefend a.a.O. S. 62.


Quelle:
Theodor Mundt: Die Kunst der Deutschen Prosa. Berlin 1837, S. 239.
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