13.


Der Anschlagszettel.

[134] Philadelphia war zu seiner Zeit einer der bekanntesten Gaukler, weit gereist, allenthalben mit Zulauf beehrt, und suchte in der Art, seine Wundergaben bekannt zu machen, seines Gleichen; obgleich die Classe, zu welcher er gehörte, überhaupt im Selbstlobe nicht blöde ist. Er kam vor ungefähr 20 Jahren auch nach Göttingen. Einer der vorzüglichsten Köpfe Deutschlands, der als Gelehrter in tiefsinnigen Wissenschaften, und als witziger Schriftsteller gleich berühmt ist, und damals um zwanzig Jahre jünger war, hörte in einer lustigen Abendgesellschaft von der Ankunft des gepriesenen Fremdlings. Nach manchem Scherze verfiel er darauf, die Prahlerei des Taschenspielers in einer ironischen Ankündigung zu züchtigen. Das Blatt ward sogleich gedruckt und in derselben Nacht angeklebt, und am andern Morgen sah Göttingen ein wahres Wunder, größer als Philadelphia noch je eines an andern Orten verrichtet hatte: der Wunderthäter schämte sich, und reiste in der Stille ab.[134]

Dieses einzelne Blatt ist gewiß nur in weniger Sammler Händen; obgleich wohl mehrere Leser es einst mögen gesehen oder davon gehört haben. Durch die Mittheilung desselben hoffe ich deßhalb um so mehr Dank zu verdienen, da die deutsche Literatur an witzigen Satiren nicht überreich ist.


(Ein Folioblatt, auf einer Seite bedruckt, nach Art aller Anschlagezettel. – Oben ein grotesker abentheuerlicher Holzschnitt. Die Erdkugel, von welcher eine Leiter herauf in den Himmel gehet. Auf dieser Leiter stehet die Dreieinigkeit; zu oberst der Vater, welcher von seinem Flitzbogen einen Pfeil nach der linken Seite abschießt; einige Stufen niedriger der Sohn; und unter dem selben die Taube. Häßliche Engelköpfe guken aus den obern Wolken hervor. Zu beiden Seiten, mehr unterwärts, ist die Auferstehung durch Fratzengestalten abgebildet. Die Seligen, zur rechten Seite, gleich Fröschen, die aus der Erde kriechen, werden vom Himmel bestrahlt; links, die schon erstandenen Verdammten, werden von Teufeln hart gepeinigt, auch von Blitzen aus den Wolken getroffen, und von dem Pfeile des gespannten Bogens bedrohet. Ein umlaufendes Band hat die Worte: Gorg MoLLere DoCes terras InIIsse reatVs. Die römischen Zahlbuchstaben in diesem Verse geben die Jahrzahl 1708 an. Es[135] war ein glücklicher Fund, diesen geschmacklosen Aberwitz aufzutreiben, um ihn einem Philadelphischen Zettel vorzusetzen. – Unten, am Schlusse der Ankündigung, stehet ein eben so alter Holzschnitt der Stadt Gottinga, worin vorzüglich die Kirchthürme mit ihren Fahnen u.s.w. hoch hervorragen.


Auf Verlangen dritte Auflage.


Avertissement.


Allen Liebhabern der übernatürlichen Physik wird hierdurch bekannt gemacht, daß vor ein paar Tagen der weltberühmte Zauberer Philadelphus Philadelphia, dessen schon Cardanus in seinem Buche de natura supernaturali Erwähnung thut, indem er ihn den von Himmel und Hölle Beneideten nennt, allhier auf der ordinären Post angelangt ist; ob es ihm gleich ein Leichtes gewesen wäre, durch die Luft zu kommen. Er ist nämlich derselbe, der im Jahre 1482 zu Venedig auf öffentlichem Markte einen Knaul Bindfaden in die Wolken schmiß, und daran in die Luft kletterte, bis man ihn nicht mehr gesehen. Er wird mit dem 9ten Jänner dieses Jahres anfangen, seine Ein-Thalerkünste auf dem hiesigen Kaufhause öffentlich-heimlich den Augen des Publicums vorzulegen, und wöchentlich zu bessern fortschreiten, bis er endlich zu seinen 500 Louisd'or Stücken kommt; worunter sich einige befinden, die, ohne Prahlerei[136] zu reden, das Wunderbare selbst übertreffen, ja, so zu sagen, schlechterdings unmöglich sind.


Es hat derselbe die Gnade gehabt, vor allen hohen und niedrigen Potentaten aller vier Welttheile, und noch vorige Woche auch sogar im fünften vor Ihro Majestät der Köninginn Oberea auf Otaheite, mit dem größten Beifall seine Künste zu machen. Er wird sich hier alle Tage und alle Stunden des Tages sehen lassen, ausgenommen Montags und Donnerstags nicht, da er dem Ehrwürdigen Kongreß seiner Landsleute zu Philadelphia die Grillen verjagt, und nicht von 11 bis 12 des Vormittags, da er zu Konstantinopel engagirt ist, und nicht von 12 bis 1. da er speist.


Von den Alltagsstückchen zu einem Thaler wollen wir einige angeben, nicht sowohl die besten, als vielmehr die, welche sich mit den wenigsten Worten fassen lassen.


1) Nimmt er, ohne aus der Stube zu gehen, den Wetterhahn von der Jakobikirche ab, und setzt ihn auf die Johanniskirche, und wiederum die Fahne des Johanniskirchthurms auf die Jakobikirche. Wenn sie ein paar Minuten gesteckt, bringt er sie wieder an Ort und Stelle.


N B. Alles ohne Magnet, durch die bloße Geschwindigkeit.
[137]

2) Nimmt er zwo von den anwesenden Damen, stellt sie mit den Köpfen auf den Tisch, und läßt sie die Beine in die Höhe kehren; stößt sie alsdann an, daß sie sich mit unglaublicher Geschwindigkeit wie Kreusel drehen, ohne Nachtheil ihres Kopfzeuges oder der Anständigkeit in der Richtung ihrer Röcke, zur größten Satisfaction aller Anwesenden.


3) Nimmt er 6 Loth des besten Arseniks pulverisirt, und kocht ihn in zwei Kannen Milch, und tractirt die Damen damit. Sobald ihnen übel wird, läßt er sie 2 bis 3 Löffel voll geschmolzenes Blei nachtrinken, und die Gesellschaft gehet lachend aus einander.


4) Läßt er sich eine Holzaxt bringen, und schlägt damit einem Chapeaux vor den Kopf, daß er wie todt zur Erde fällt. Auf der Erde versetzt er ihm den zweiten Streich, da dann der Chapeaux aufstehet, und gemeiniglich fragt, was das für eine Musik sei. Uebrigens ist er so gesund wie vorher.


5) Er ziehet dreien bis vier Damen die Zähne sanft aus, läßt sie von der Gesellschaft in einem Beutel sorgfältig durch einander schütteln, ladet sie alsdann in ein kleines Feldstück, und feuert sie besagten Damen auf die Köpfe, da dann jede ihre Zähne rein weiß wieder hat.
[138]

6) Ein metaphysisches Stück, sonst gemeiniglich πᾶν metaphysica gennant, worin er zeigt, daß wirklich etwas zugleich sein und nicht sein kann. Erfordert große Zubereitung und Kosten; auch giebt er es bloß der Universität zu Ehren für einen Thaler.


7) Nimmt er alle Uhren, Ringe und Juwelen der Anwesenden, auch baares Geld, wenn es verlangt wird, und stellt jedem einen Schein aus; wirft hierauf alles in einen Koffer, und reist damit nach Kassel. Nach 8 Tagen zerreißt jede Person ihren Schein, und so wie der Riß durch ist: so sind Uhren, Ringe und Juwelen wieder da. – Mit diesem Stücke hat er sich viel Geld verdient.


N B. Diese Woche noch auf der obern Stube des Kaufhauses; künftig aber hoch in freier Luft über dem Marktsbrunnen. Wer aber nichts bezahlt, siehet nichts.

Quelle:
[Nebel, Ernst Ludwig Wilhelm:] Medicinisches Vademecum für lustige Aerzte und lustige Kranken [...] Theil 1–4, Frankfurt, Leipzig 1795 (Bd. 1), 1796 (Bd. 2); Berlin, Leipzig 1797 (Bd. 3); Berlin, Leipzig 1798 (Bd. 4), S. 134-139.
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