16.

[158] Wie muß man es anfangen, bald ein großer und berühmter Arzt zu werden? Eine Preisfrage, so wichtig und nöthig, wie manche andere.


Die Arten in der Welt sein Glück zu machen, sind so verschieden, wie die Menschen, die ihre Rolle mit Beifall spielen wollen. Ein jeder bemühet sich den andern zu verdunkeln, und ergreift Wege, die ihm die zweckmäßigsten und besten scheinen. Genug! er erlangt seinen Zweck, und ist unbekümmert, wie lange das vermeinte Glück[158] dauert. Der Weise sieht sich auch wegen der Zukunft vor. Er kommt langsamer zum Ziel; allein der durch den Weg des Verdienstes errungene Ruf ist dauerhaft, und hängt weder vom Schicksale noch von fremder Gunst ab.


Man hat den Aerzten von jeher die Charlatanerie zur Last gelegt, und die Geschichte der vorigen und gegenwärtigen Zeiten stellet manche einleuchtende Beispiele dar. Der Schein betrügt, pflegt man im Sprüchwort zu sagen, und dieß gilt besonders von der Arzneikunde. Wenige Personen können oder wollen wissen, wer ein guter oder schlechter Arzt ist. Sie begnügen sich, nach äußerlichen Umständen zu urtheilen, und werden hintergangen. Denn eben der schlechte Arzt ist Meister in der Kunst, das Publicum durch guten Schein und viele schöne Worte zu gewinnen, und dadurch in kurzem Ansehen und Beifall zu erlangen.


Alte Wahrheiten behalten stets ihren Werth. Ich fand vor einiger Zeit in einem alten Buche dergleichen kurze Vorschriften, (ob von einem medicinischen Machiavell, kann ich nicht sagen, weil das Titelblatt fehlte) und schrieb mir dieselben zu meiner Erbauung ab. Denn es war, als hätte der Schriftsteller in unserm Jahrzehend gelebt. Hier sind sie, ohne Erklärung:


1. Genieße alle Vergnügungen des akademischen Lebens, so lange es geht; studire von allem etwas,[159] und verlasse dich übrigens auf deinen guten Kopf und deine geschwätzige Zunge.

2. Bei der Rückkehr ins Vaterland mache den Vielwisser, und schöpfe alle Weisheit aus Journalen und Zeitungen.

3. Urtheile von allem, wie ein Meister der Kunst, du magst die Sache verstehen oder nicht.

4. Lobe dich und deine Verdienste deine glücklichen Curen und Operationen, bei jeder Gelegenheit; besonders aber bei Personen, die dich nicht beurtheilen können und wollen, und verachte alle Andere als Unwissende.

5. Richte dich nach den Menschen, die dir wohlwollen, schmeichle, thue was ihnen gefällig ist, und komme ihnen bei jeder Gelegenheit zuvor.

6. Studire nicht weiter; aber schimpfe desto mehr auf Gelehrsamkeit, auf Vielschreiberei und Bücherwuth.

7. Laufe vom frühen Morgen an auf der Strasse herum, und suche dadurch die Unerfahrnen zu bereden, du seist der größte und geschäfftigste Arzt.

8. Mache stets den geschäfftigen Mann, wenn du auch nichts thust.

9. Rühme deinen Freunden die wichtigen Entdeckungen und Beobachtungen, die du gemacht, und sage dieß so oft, bis sie es glauben.

10. Werde ein Naturforscher, weil es die Mode mit sich bringt, und kaufe ein ansehnliches Naturalienkabinet voll herrlichen Schnickschnacks.[160]

11. Lege eine prächtige Bibliothek, eine schöne Instrumenten- und Präparatensammlung an, laß den Eingang mit einer Büste zieren, und das Verdienst des Sammlers überall ausposaunen.

12. Werde Vorsteher eines Journals oder Zeitung, wenigstens Mitarbeiter. Wo nicht: so bestelle wenigstens jemanden, der dich darin lobpreist.

13. Laß dich mehrmals aus dem Gesellschaftszimmer rufen, und erzähle bei der Rückkehr, wie geplagt ein berühmter Mann und Arzt sei.

14. Verschaffe dir Titel von Höfen oder gelehrten Gesellschaften. Sie geben Ansehn und Ruf.

15. Suche die Gunst der Großen.

16. Mische dich in alles, unternimm alles, und versprich alles, und halte, wie ein Hofmann, nur so viel, als du kannst und willst.

17. Gehe, wenn es sein kann, auf Reisen. Weisheit von Paris und Edimburg ist besser, als deutsche Weisheit.

18. Verachte alle medicinische Bücher, die nicht von London oder Edimburg kommen, und kaufe die Originale, wenn du sie auch nicht verstehest. Es sieht doch sehr gelehrt aus.

19. Unterhalte gelehrten Briefwechsel, und wende dein Geld dazu an, um auswärtige Gönner und Freunde zu haben.

20. Sei ein Freund der seichten Collegen, der Prediger, Apotheker, Barbierer und Hebammen, allenfalls auch des Kaufmanns, wenn er dir zur Erreichung deiner Absichten dienen kann.[161]

21. Sei fromm und ein steifer Beobachter der Kirchensatzungen, wenn dein Ruf und deine Einnahme dadurch gewinnen können.

22. Verfertige geheime Mittel, und laß, Ailhaud Gelegenheitsbriefe drucken, die niemals an dich geschrieben wurden.

23. Schreibe, wenn ja, dem altväterlichen Gebrauche zufolge, geschrieben werden muß, ewtas Paradoxes im modischen Gewande, und bestätige es durch erdichtete und falsche Beobachtungen, ohne dich an Kenner und Selbstdenker zu kehren.

24. Heirathe die Tochter eines vornehmen Mannes, (denn vornehme Verwandten geben Verdienst und Verstand) oder auch die Tochter eines reichen Mannes, er sei vornehmer oder geringer Abkunft; denn Geld schafft Muth, bisweilen auch Ansehn.

25. Laß dein Bildniß mehr als einmal silhouettiren und in Kupfer stechen, und alle verdiente und unverdiente Titel darunter setzen.

26. Laß dich zu allem gebrauchen, was Ehre, Geld oder Belohnungen einträgt, unbekümmert, ob es Recht oder Unrecht sei.

27. Sinne darauf, das Publicum mit Neuigkeiten, Neuerungen, Veränderungen von mancherlei Art, mit allerhand Gerüchten zu unterhalten, und suche deinen Werth jedermänniglich fühlbar zu machen.

28. Rühme dich, von allen Orten her Anträge zu[162] Aemtern zu haben; besorge allenfalls die scheinbaren Dokumente durch Vettern und Basen.


Doch genug, um zu sehen, daß der Verfasser seine Männer kannte. Er hatte noch mehrere Kennzeichen angegeben; allein sie paßten bald zu viel bald zu wenig auf unsere Zeiten, und bleiben mit Fug Rechtens weg. Der rechtschaffene Arzt verdient unsere ganze Achtung, der sich durch gründliche und wahre Gelehrsamkeit unterscheidet, und dieselbe bescheiden, ohne Ruhmredigkeit, zum Besten seiner Brüder anwendet, der sich als einen verdienstvollen Mann fühlet und über den Thoren lacht, der durch Nichtswürdigkeiten, durch Kriecherei und Schmeichelei, durch elende und entehrende Kunstgriffe seine Mitbürger äffet, und ihren Beifall erzwingen will. Der Ruhm eines Arztes ist oft so problematisch, wie der göttliche Ruf des Predigers. Hier thut der Glaube Alles.

Quelle:
[Nebel, Ernst Ludwig Wilhelm:] Medicinisches Vademecum für lustige Aerzte und lustige Kranken [...] Theil 1–4, Frankfurt, Leipzig 1795 (Bd. 1), 1796 (Bd. 2); Berlin, Leipzig 1797 (Bd. 3); Berlin, Leipzig 1798 (Bd. 4), S. 158-163.
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