Neunter Auftritt

[513] Anton. Madame Schleier. Lips.


ANTON tritt zur Mitte links meldend mit Madame Schleier ein. Die verwitwete Frau von Schleier. Geht wieder zur Mitte ab.

LIPS. Unendlich erfreut –

MADAME SCHLEIER sehr elegant und auffallend gekleidet. Herr von Lips – entschuldigen –

LIPS. Was verschafft mir das Vergnügen?

MADAME SCHLEIER. Ich komm' als Ballgeberin; es wird sehr glänzend werden.

LIPS. Der Glanz alles Glänzenden wird durch schwarze Unterlag gehoben, drum sind immer die Bälle die glänzendsten, denen das Unglück den dunklen Grund abgibt, für welches dann der Glanz des Balles zum Strahl des Trostes wird. So wird auch ohne Zweifel Ihr Ball einen wohltätigen Zweck haben.

MADAME SCHLEIER. Das heißt, mein Ball hat allerdings einen wohltätigen Zweck, insofern das Vergnügen wohltätig auf den Menschen wirkt –

LIPS. Aha, und insofern der Ballertrag wohltätig auf die Finanzen der Ballgeberin wirkt.

MADAME SCHLEIER. Insofern es ferner eine Wohltat für die[513] Leut' ist, die einem kreditiert haben, wenn sie zu ihrem Geld kommen.

LIPS. Mit einem Wort, zu Ihrem Besten, und zum Besten Ihrer Gläubiger wird der Ball gehalten; jetzt brauchen Sie nur noch die Gäste mit dem Ball zum besten zu halten, so ist ein allgemeines Bestes erzweckt.

MADAME SCHLEIER. Der Herr von Lips machen Spaß mit einer Witwe, die im Drang der Verhältnisse –

LIPS. Entschuldigung.

MADAME SCHLEIER. Mir hätt' nie die Idee kommen sollen, den Schleier zu nehmen.

LIPS. Was? Sie haben den Schleier nehmen wollen?

MADAME SCHLEIER. Ich hab' ihn genommen, der Himmel hat ihn aber wiedergenommen.

LIPS. Ja so. Der selige Herr Gemahl hat Schleier geheißen.

MADAME SCHLEIER. Aufzuwarten.

LIPS. Und hat Ihnen nichts hinterlassen?

MADAME SCHLEIER. Nichts, als das kleine Haus da heraußen, von dem ich die Hälfte an eine Sommerpartei verlassen. Jetzt hab'n mir die Gläubiger auf das Haus greifen wollen.

LIPS. Fatal, vorm Feuer kann man ein Haus assekurieren lassen, aber an eine Assekuranzanstalt vor Gläubigern hat man noch nicht gedacht, und doch werden offenbar den Gläubigern mehr Häuser, als den Flammen, zum Raube.

MADAME SCHLEIER. In der Desperation hab' ich den Entschluß gefaßt, einen Ball zu geben, denn das Haus, worin mein Mann g'storben is, laß ich mir nicht entreißen.

LIPS. Natürlich, so was is als Tempel süßer Erinnerungen unschätzbar.

MADAME SCHLEIER. Konträr, Herr von Lips, daß ich ihn in dem Haus losworden bin, das is die unschätzbare Erinnerung.

LIPS. Also unglückliche Ehe, und wahrscheinlich ohne Delicatesse?

MADAME SCHLEIER. Oh! der Schleier war sackgrob.[514]

LIPS. Wer war der Herr Gemahl?

MADAME SCHLEIER. Ein alter Streich- und Projektenmacher. Sie glauben nicht, wie der mich hinters Licht g'führt hat. Herr von Lips müssen wissen, ich war in der Stadt bei der Handlung.

LIPS. Bei was für einer Handlung?

MADAME SCHLEIER. Putzhandlung.

LIPS. Eine schöne Handlung, die durch Wechsel floriert, während so manche andre Handlung durch Wechsel falliert.

MADAME SCHLEIER. Er is öfters in Equipage zu mir kommen; zu einer unerfahrnen Person gefahren kommen is das sicherste Verfahren, ihr Herz in Gefahr zu bringen.

LIPS. Mit einem Wort, Sie wurden geblendet, ohne weder Fink noch Belisar zu sein.

MADAME SCHLEIER. Die Equipage war ausgeliehen, – das Vermögen Schein –

LIPS. Wir kommen aber gänzlich vom Ball ab.

MADAME SCHLEIER. Hier hab' ich die Ehre ein Billet –


Übergibt ihm ein Billet.


LIPS es besehend. Der Preis ist 5 fl. –

MADAME SCHLEIER. Der Drucker hat vergessen, daraufzusetzen: ohne Beschränkung der Großmut, was ich ihm doch so oft aufgeboten habe.

LIPS. »Standespersonen zahlen nach Belieben« wäre besser gewesen. Ich hab' nicht gewechselt, Madame Schleier müssen schon gütigst diesen Hunderter nehmen.

MADAME SCHLEIER. Herr von Lips – Ihre Großmut – Ihre – Eilfertig. ich verharre mit untertänigstem Dank, die tiefergebenste Dienerin. Verneigt sich und geht rasch durch die Mitte links ab.

LIPS allein. Mein Kompliment. Wie sich die tummelt, die muß einen Abscheu vor dem Herausgeben haben. Sich besinnend. Aber halt, ich vergeß ja ganz, daß sie meine Braut is, Eilt zur Tür und ruft ihr nach. ich bitt', Madame, – haben S' die Güte, – auf ein'n Augenblick – Für sich. sie kommt zurück.[515]

MADAME SCHLEIER Mitte links zurückkommend. Herr von Lips haben gerufen? ich hätte vielleicht herausgeben sollen?

LIPS. O nein, das war's nicht.

MADAME SCHLEIER. Oder wünschen vielleicht noch ein Billet?

LIPS. Nein, ich dank'. Für einen Ledigen is ein Billet genug, und selbst wenn ein Lediger die Ballgeberin heirat, braucht er nur ein Billet; denn die Ballgeberin hat ja freies Entree auf ihrem eigenen Ball.

MADAME SCHLEIER. Ich versteh' Ihnen nicht –

LIPS. Werd' mich gleich verständlich machen. Ich hab' Ihnen auf einen Augenblick zurückgerufen, weil ich mich auf ewig mit Ihnen verbinden will.

MADAME SCHLEIER. 5 fl. kommen aufs Ballbillet, 95 auf den Spaß, den Sie sich machen, das kann man sich schon gefallen lassen.

LIPS. Ich mach' aber Ernst; und das is eigentlich der Hauptspaß.

MADAME SCHLEIER äußerst erstaunt. Ich trau' mein'n Ohren nicht –

LIPS. Is es denn so wunderbar; mir is der Schuß zum Heiraten kommen, und der Schuß trifft zufällig Sie. Besser als ein anderer Schuß, der bald mich selbst getroffen hätt'.

MADAME SCHLEIER. Wie das!?

LIPS. Sie müssen wissen, mein Innres is zerrissen, wie die Nachtwäsch' von einem Bettelmann – da hab' ich mich also unlängst erschießen wollen, und derweil ich so im Schuß ein Testament aufsetz', zugunsten meiner Freunde, is mir der Schuß zum Erschießen vergangen.

MADAME SCHLEIER. So einen veränderlichen Herrn tät auch 's Heiraten bald reuen.

LIPS. Dafür is ja eben 's Heirat'n. Also jetzt im vollen Ernst – Ihre Antwort –

MADAME SCHLEIER für sich, in Freude und Ungewißheit. Ich weiß nicht, träumt mir – oder –

LIPS. Spielen Sie mir jetzt die Komödie vor, als ob nicht mein Reichtum, sondern meine liebenswürdige Persönlichkeit Ihren Entschluß bestimmt.[516]

MADAME SCHLEIER. Komödie würden Sie das nennen – wenn –?

LIPS. Aha, Sie gehn schon drauf ein, das is recht, ich verdien's, daß man mit mir Komödie spielt, weil mich meine Eitelkeit schon manchmal undankbar gegen den Reichtum macht. Glauben Sie denn, wenn ich von einer G'sellschaft nach Haus kommen bin, ich hab' mich bedankt bei meine Obligationen, und g'sagt: »Euch nur verdank' ich's, daß diese Frau auf mich gelächelt, diese Tochter mit mir kokettiert hat. Euch nur, ihr herrlichen Papiere, daß diese Cousine mich heiraten will«; – kein Gedanken! ich hab' mich hing'stellt voll Selbstgefühl vorn Spiegel, und g'funden: Ich bin ein höchst gefährlicher Mann. Diesen Undank muß die Nemesis rächen. Also heraus jetzt mit dem Entschluß, meine Holde!

MADAME SCHLEIER sich zierend. Aber Herr von Lips, ich muß ja doch erst –

LIPS. Ich versteh', vom Neinsagen keine Rede, aber zum Jasagen finden Sie eine Bedenkzeit schicklich; gut, wie Sie wünschen.


Quelle:
Johann Nestroy: Werke. München 1962, S. 513-517.
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