Achtzehnter Auftritt

[465] Zangler. Die Vorigen.


ZANGLER eintretend. Alles is in Ordnung. Melchior!

MELCHIOR. Ew. Gnad'n.

ZANGLER. Der Wachter steht schon draußen auf der Pass', wie meine Mündel mit ihrem Entführer in den Wagen steigt, steigt der Kutscher auf den Bock und der Wachter hint' auf.

MELCHIOR. Das is klassisch! –

MADAME KNORR. Sehr ein gutes Kompott.

WEINBERL mit gedämpfter Stimme. Ich werd' den Fasan tranchieren.

CHRISTOPH ebenfalls mit gedämpfter Stimme. Und ich werd' schau'n, ob der wällische Salat noch nicht bald kommt. –

MADAME KNORR. Ach, ja! –

ZANGLER. Was is denn das mit der spanischen Wand?

MELCHIOR. Da derneben sind indiskrete Leut', zwei Weibsbilder mit ihre Liebhaber, damit Ew. Gnad'n nicht geniert sind.

ZANGLER. Gut!


Zweiter Kellner bringt Wein und Aufgeschnittenes,

stellt es auf den Tisch. Zangler setzt sich.


MELCHIOR. Das hab' ich für Ew. Gnaden ang'schafft.

ZANGLER. Gut! –

MELCHIOR. Gott! was wären Ew. Gnad'n ohne mich –

ZANGLER. Die Zeitung. Für sich. Wer weiß, wie lang das noch dauert. –


Kellner bringt Zangler die Zeitung und geht ab.


MELCHIOR. Ich werd' patroullieren.


Gebt in den Garten hinaus.


FRAU VON FISCHER. Der Fasan scheint sehr gut zu sein. –[465]

WEINBERL mit gedämpfter Stimme. Die Zähigkeit abgerechnet, delikat –

MADAME KNORR. Kommt der Kellner noch nicht?

CHRISTOPH mit gedämpfter Stimme. Nein, das ist ein langsamer Kerl.

MADAME KNORR. Warum reden denn die Herren so still, so heiser?

WEINBERL wie oben. Die Zugluft hat das gemacht.

CHRISTOPH wie oben. Es ist ein wahres Glück, daß die Wand aufgestellt ist.

WEINBERL wie oben. Ja, sonst hätt's uns die Sprach gänzlich verschlagen.

MADAME KNORR. Nein, wie die Herren jetzt heiklich sind –

MELCHIOR hereinlaufend. Ew. Gnad'n! Ew. Gnad'n!

ZANGLER. Was ist's? –

MELCHIOR. Ich seh' noch nichts –

ZANGLER. Dummkopf!

MELCHIOR. Früher waren zwei da herin, das waren aber andere.

ZANGLER. Die ich such', sitzen draußen, ich hab' sie von weiten gesehen, geh hinaus, stell dich in einige Entfernung vom Wagen und wie sie fortfahren, sagst du mir's, wir fahren dann gleich nach. –

MELCHIOR. Das wird klassisch!


Geht ab in den Garten.


CHRISTOPH hat während den letzten Reden schnell den Burnus der Frau von Fischer umgenommen und ihren Hut aufgesetzt. So kann ich neben unserm Alten vorbeipassiern.

FRAU VON FISCHER zu Weinberl. Du schenkst ja unserer Freundin gar nichts ein?

WEINBERL welcher bemerkt hat, wie Christoph sich ankleidet, zu Frau von Fischer. Aber Liebe, ich kann ja nicht tranchieren und einschenken zugleich.


Christoph hat den hintern Teil der spanischen Wand geöffnet und schlüpft so in die andere Hälfte der Bühne hinüber, wo Zangler sitzt, welcher in die Zeitung vertieft, ihn nicht bemerkt.


ZANGLER in der Zeitung lesend. »Verwegner Kleiderdiebstahl durch einen jungen Menschen.« Spricht. Nein, was man jetzt alles lest, die Halunken werden immer pfiffiger.


[466] Christoph hat sich an der Rückwand zur Glastür hin und in den Garten hinausgeschlichen.


MADAME KNORR. Wo is denn der Cousin hinkommen?

WEINBERL Madame Knorr den Fasan offerierend. Bitte sich zu bedienen. Läßt, indem er nach dem Fenster sieht, eine Gabel von der Schüssel und Frau von Fischer auf das Kleid fallen.

FRAU VON FISCHER. Himmel, mein neues Kleid!

WEINBERL. Pardon! Es wird nichts machen, als einen fetten Fleck. –

FRAU VON FISCHER. Der nie mehr herausgeht.

MADAME KNORR. Nur gleich mit dem Serviett reiben. Ist Frau von Fischer dabei behülflich.


Christoph steigt außerhalb dem Glasfenster in Sonders Wagen.


WEINBERL dies bemerkend steht auf und sagt für sich, indem er sich dem Fenster nähert. Der steigt in den Wagen, das is ein g'scheiter Einfall, der Kutscher muß uns führen bis aufs Feld hinaus, dann geb' ich ihm einen Gulden und laß ihn umkehren. – Wie komm' ich aber hinaus, dort der Prinzipal, da die Frauen. – Gott sei Dank, der Fleck is so fett, daß die mich nicht bemerken. –

FRAU VON FISCHER. Das geht nie mehr heraus. –

WEINBERL einen raschen Entschluß fassend. Aber was anders geht aus! – Öffnet schnell das Fenster und steigt hinaus.

MADAME KNORR Weinberl bemerkend. Freundin, da schau her, was dein Mann –

FRAU VON FISCHER betroffen. Er ist aus dem Fenster gestiegen!?

MADAME KNORR. Und steigt in den Wagen ein.


Man sieht Weinberl in den Wagen steigen.


FRAU VON FISCHER will hinausrufen. Mein Herr –!


Man sieht den Wachter in Uniform hinten auf den Wagen steigen.


MADAME KNORR. Was ist das, der Ortswachter –?! – Er stellt sich hinten auf –

FRAU VON FISCHER. Eine Arretierung –!


Man hört schnalzen, der Wagen fährt ab.


MADAME KNORR. Fort ist er!


Beide Frauen bleiben erschrocken an ihren Stühlen stehen, indem sie starr dem abgefahrenen Wagen nachblicken.[467]


MELCHIOR zur Glastüre eintretend. Das is klassisch! Wir haben s' schon, der Kutscher und der Wachter lassen s' nimmer aus.

ZANGLER. Wir fahren gleich nach, Kellner zahlen!


Quelle:
Johann Nestroy: Werke. München 1962, S. 465-468.
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