Siebender Auftritt

[20] Apollo, Arete, Vigilantia, Meletander, Themis, Euphrosyne, Alethea, Melpomene und Thalia.


VIGILANTIA.

Die Sache sollte mir doch bald verdächtig scheinen.

Silenus ist beherzt. Melpomenen ihr Weinen

Geht wohl von Herzens Grund; Allein die Thränen sind

Auch öfters nur verstellt.

MELETANDER.

Kan dir das arme Kind

Denn wohl verdächtig seyn?

VIGILANTIA.

Man kan es doch nicht wissen,

Und muß in diesem Fall auf alle Fälle schliessen.

Wen man so hart verklagt, und mit so kühnem Muth,

Auf diesen giebt man acht, auf alles was er thut

Und wie er sich bezeigt. Sein reden, weinen, lachen,

Sein schweigen muß so gar uns ein Bedenken machen.

Es ist wohl freylich hart: Allein wer kan davor?

Man gönnet jedem hier ein willig offnes Ohr.

ARETE.

Fragt beyde Theile recht. Mein Mitleid will mir sagen:

Daß man Melpomenen mit Unrecht will verklagen.

APOLLO zur Themis und Alethea.

Ihr wisset, was das Recht von eurer Schuldigkeit

Geleistet haben will, das nehmt zu aller Zeit

Mit Vorsicht wohl in acht. Auch in der kleinsten Sache

Ists nöthig, daß man sie nach Recht und Ordnung mache.

Ihr wißt den Willen schon. Er ist euch längst bekannt.

Vollbringt ihn allemal in unserm treuen Land![20]

THEMIS führt Alethea zur Melpomene.

Hier will ich dir, mein Kind, nun alles wiedergeben.

Dein Recht wird untersucht. Nach diesem kanst du leben.

Die Wahrheit findet nichts, das dich hier schuldig spricht;

Und die Gerechtigkeit verstößt dich also nicht

Drum muß dein Klagen auch sich mit Gehorsam mindern:

Denn man verfährt nicht hart mit wohlgezognen Kindern.

Es kommt zuweilen wohl, daß sie ein Knecht verklagt,

Und bald von diesem das vom andern jenes sagt:

Alleine wenn sie sich nur recht bescheiden zeigen,

Wenn man sie drum befragt; So muß der Knecht wohl schweigen.

APOLLO zur Arete und Themis.

Nun thut nach eurer Pflicht! Ich laß euch itzt allein.

Melpomene! es bleibt die Alethea dein.

Die Themis rettet dich; Arete wird dich lieben.

Was wilst du weiter mehr? Mich kan auch nichts betrüben:


Zu Meletander.


Denn Meletander bleibt an meiner Seiten stehn.

MELETANDER.

Ich will gehorsam seyn und niemahls von dir gehn.

APOLLO.

Silenus aber soll sich bessern, und mit Lügen

Mich nicht mehr hintergehn, und niemand mehr betrügen.

Und wenn er ja zur Lust nicht zu entrathen ist:

So habt wohl acht auf ihn, daß er sich nicht vergißt,

Und weiter um sich greift als wir es haben wollen.

Thalia wird hinfort noch viel mehr lernen sollen,

Sowohl in ihrer Kunst, als in der Redlichkeit.

Gebt ihr zur Beßrung Raum: Sie brauchet lange Zeit.

Deßwegen will ich ihr Gelegenheit verstatten,

Und hoffen, wo wir fast nichts mehr zu hoffen hatten.


[21] Zur Thalia.


Wiewohl mit Recht verdienst du bey uns keinen Platz:

Allein wir gönnen dir den unverdienten Schatz.

Vielleicht bekehrst du dich, und merkest diese Lehre:

Daß man durch eignen Fleiß sich selber wohl ernähre,

Melpomene mag dir indessen dankbar seyn:

Sie wird durch dich bekannt. Stell dein Verfolgen ein,

Und plag sie weiter nicht! das will ich dir befehlen.


Apollo und Meletander gehen ab.


Quelle:
Friederike Caroline Neuber: Ein Deutsches Vorspiel verfertiget von Friederica Carolina Neuberin, Leipzig 1897, S. 20-22.
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