Überall wie hier

Georges Sand schreibt in dem Tageblatt »la vraie republique« von ihrem Landgut in der Provinz Berry aus: »So weit ist es mit uns gekommen: in Paris ist man ein Aufwiegler, wenn man sozialistisch ist; in der Provinz ist man ein Kommunist, wenn man republikanisch ist; und ist man zufälligerweise ein sozialistischer Republikaner, dann trinkt man Menschenblut, mordet die kleinen Kinder, prügelt seine Frau, ist ein Bankeroutier, ein Trunkenbold, ein Dieb und läuft Gefahr, an der Ecke eines Gehölzes von einem Bauer ermordet zu werden, welcher euch für toll hält, weil es ihm ein Bürger oder ein Pfarrer vorgesagt hat. Dies geschieht in Frankreich im ersten Jahr der demokratischen und sozialen Republik. Unser Vermögen, unser Leben, unsere Seele haben wir diesem Volke gewidmet, das man dahin bringen möchte, uns wie Wölfe zu behandeln.«

So ist es in Frankreich – wie könnte es bei uns anders sein? In Frankreich hat[85] man die allgemeinen Menschenrechte schon viel länger verkündigt als bei uns – der ewige Jean Jacques Rousseau ist für diese Verkündigung in Elend und an der Menschheit verzweifelnd gestorben, und es ist schon ein langer Zeitraum verflossen seit St. Simon zu wirken begann und von sich sagen konnte: »Ich schreibe für die Bienen gegen die Hummeln!« d.h. für die Erschaffenden gegen diejenigen, die nur verzehren, für die Arbeit gegen das Kapital. Und es kamen nach ihm viele in Frankreich, die sich nicht damit begnügten, nur von politischen Verbesserungen alles Heil für die Menschheit, insonderheit für ihr eignes Volk zu erwarten, sondern die es gerade heraussagten, daß die Verbindungen der Menschen untereinander ganz neu zu ordnen wären, da die gesellschaftliche Unordnung herrschend geworden sei und bekämpft werden müsse, daß es nicht genug sei, die Menschen von der Willkür einer tyrannischen Regierung, eines gekrönten Herrschers zu befreien, sondern daß es gelte, sie frei zu machen von der Tyrannei des Kapitals, das so gut die Fürsten wie die Völker beherrscht und das auch da noch Sklaven macht, wo es keine Königsthrone mehr gibt. Viele Jahre lang schon haben französische Schriftsteller sich neben der politischen mit der gesellschaftlichen Reform beschäftigt, und ihre Ideen sind in das Volk gedrungen, an das sie sich wendeten, und haben darin Wurzel geschlagen. Deutschland aber kam nur erst langsam damit nach – erst seit einigen Jahren haben wir uns – und zwar nur eine kleine Zahl deutscher Schriftsteller mit den sozialen Fragen, den Fragen der Arbeit und des Erwerbes innerhalb der Gesellschaft beschäftigt – aber wie war es möglich, damit eine größere Wirkung in weiteren Kreisen zu erzielen, da soziale Zeitschriften kaum geduldet wurden und Zensur- und Bücher-, ja Verlagsverbot die sozialen Schriften weit härter behandelten, als selbst die politischen. Wenn daher die Bemühungen jener glückten, welche alle, die für die Freiheit auf allen Gebieten kämpften, zu unterdrücken und zu verdächtigen suchten – wenn es durch sie dahin kam, daß das Volk selbst seinen wärmsten Freunden nichts Gutes zutraut, so ist dies eben nicht zu verwundern, besonders wenn wir sehen, wie es in Frankreich, das uns doch vorausgegangen, ganz dasselbe ist. – Wenn man sozialistisch ist, hält man uns für Aufwiegler – es heißt, wir wollten nur die Massen aufregen zu ungesetzlichen Handlungen, die das Eigentum der Reichen u.s.w. bedrohten, indes wir weiter nichts wollen als sie aufklären, daß sie keine ungesetzlichen Handlungen der Reichen gegen sie selbst, die Armen und Arbeiter, dulden. – Erklären wir uns als Republikaner, so sagt man, wir predigten Anarchie, die Herrschaft der rohen Gewalt, des Faustrechts u.s.w., und sind wir sozialistische Republikaner, soziale Demokraten, d.h. wollten wir einen Staat, in dem das Volk keine höhere Herrschaft über sich erkennt als die eines Gesetzes, das es zuvor sich selbst gegeben, wollen wir einen Staat, in dem auch das Mißverhältnis von Kapital und Arbeit aufgehoben und die Arbeit organisiert ist – so schreibt man uns alle möglichen Schlechtigkeiten zu. Wer von uns hätte das nicht selbst erfahren, entweder an sich oder an anderen? – Die Reaktion ist's, die alle, welche der Bewegung dienen, immer und überall zu verdächtigen und zu schmähen sucht, die Reaktion ist's, welche kein Mittel scheut, um zu ihrem Zweck zu kommen – und wahrlich! die Reaktion hat ihre Stützen noch ganz anderswo als in den Regierungen! – Ja, die Bourgeoisie, der Geldadel ist's, der die meisten Fanatiker der Ruhe aussendet, uns andere zu verketzern und zu verderben. In dem Geldadel scheinen sich der Materialismus und die Selbstsucht unserer Zeit verbunden zu haben. Die ihm angehören, wissen nichts von einem aus[86] Standesinteressen hervorgehenden Gemeingeist, sondern nur von dem Geist gewinnsüchtiger Spekulation, der allen ihren Gliedern gemein ist. Er erkennt nicht die nationalen Bande eines Vaterlandes an, denn seine Heimat ist überall, wo es Börsen und Kredit-Papiere gibt, auch nicht einmal der Welt will er angehören, sondern betrachtet vielmehr die Welt als eine große Domäne, welche lediglich ihm angehören müsse. – Diese Leute des Geldadels – sie sind es, welche das Volk verführen – um es auszubeuten. Sie sind es, welche den Bürger, den Landmann vor denen warnen, die der neuen Zeit und mit ihr der Freiheit dienen! Diese Leute sind es, welche den Volksfreunden alle möglichen Schlechtigkeiten andichten, damit das Volk seine Freunde verleugne und seinen Feinden sich geduldig überliefere, weil diese ihm sagen: »Ihr leidet noch mehr, wenn nicht bald Ruhe wird, so werdet ihr keine Arbeit, keinen Verdienst mehr haben – darum auf und verlacht und verfolgt die, welche an der Unruhe schuld sind.« Dann hilft es nichts, wenn wir sagen: »Die Unruhe jetzt ist nur da, damit ihr dann endlich einmal Ruhe habt vor euren Tyrannen, mögen sie nun auf Thronen oder auf Geldsäcken sitzen« – dann flieht doch das betörte Volk von uns. – Nein! es zaudert wohl, aber es flieht nicht, es läßt sich nicht für immer betören – es findet schon noch seine wahren Freunde heraus, es findet den Weg, auf dem es zur Freiheit zu wandeln gilt. – »Der Sieg muß uns doch bleiben!!«

L.O.[87]

Quelle:
»Dem Reich der Freiheit werb’ ich Bürgerinnen«. Die Frauen-Zeitung von Louise Otto. Frankfurt a.M. 1980, S. 71-72,85-88.
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