Bücherschau

Geschichte der Frauen von G. Jung, ehemal. Abgeordneter für Berlin zur preuß. National-Versammlung. Erster Theil: Geschichte der Unterdrückung der Frauen und ihrer allmählichen Selbstbefreiung bis zur Erscheinung des Christentums. – Frankfurt am Main. Literarische Anstalt. 1850.


Im ersten Kapitel, das Vorrede und Widmung zugleich ist, sagt der Verfasser: »Wenn ich es hier versuche, dir, hohes Frauenbild, mit den ewig reinen Zügen die Unterdrückung, das Leiden deines Geschlechts von Anfang der Geschichte bis auf den heutigen Tag zu Füßen zu legen, wenn ich deiner selbstgewissen Ruhe nahe mit dem Klageschrei jener Menschenhälfte, die stets ein Opfer der andern war oder, noch schlimmer, das Gemälde jener Apathie enthülle, die in der Sklaverei ihren natürlichen Zustand findet, so werde ich dir nicht die Beleidigung antun, aus sogenanntem Zartgefühle die scharfen Konturen des Bildes zu verwischen. – Jede Schmach, jede Entwürdigung, die die Frau erlitten, schlage an dein starkes Herz und rege es zur Empörung auf; ich wenigstens werde mich nicht der Mißachtung schuldig machen, die Frau noch für so schwach zu halten, daß sie die volle Wahrheit der Geschichte nicht vertragen könne. – Ich werde kein Buch für Frauen in dem gewöhnlichen Sinne eines hagestolzen Schulmeisters schreiben, der nichts mehr fürchtet, als daß[304] seine Schülerinnen zu tief in die Geheimnisse der Natur und Geschichte schauen möchten. Im Gegenteil, es schwinde dir gegenüber selbst jede philosophische Allgemeinheit, jede Umhüllung der Heuchelei oder des mangelnden Verständnisses, deren man sich unter Männern noch bedient.«

Wir schicken diese Stelle voraus, damit die Leserinnen gleich wissen, was sie von dem Buch zu erwarten haben – für diejenigen unter ihnen, »welche die Wahrheit der Geschichte und der Natur nicht vertragen können«, ist es nicht geschrieben, und ihnen will ich es auch nicht empfehlen.

Einen Überblick über diesen Band werden wir zuvörderst durch die Überschrift der einzelnen Kapitel finden: 2. Das Mädchen. – 3. Die Ehe. – 4. Das Weib in der Geschichte. – 5. Das Weib hat sich selbst befreit. – Die Frau bei den Wilden. – 6. Die niedere Natur des Weibes. – 7. Die Unreinheit der Frau. – 8. Die Frau Eigentum des Mannes. – 9. Polygamie und Polyandrie. – 10. Die Frau erhält einen Wert. – Die Frauen im alten Israel. – 11. Die Frauen der Patriarchen. – 12. Das Weib nach Moses Gesetz. – 13. Die spätere Zeit. – Griechen. – 14. Der Staat. – 15. Das Weibliche dem Griechen verhaßt. – 16. Die Bürgerin. – 17. Die Ehe. – 18. Die Hetäre. – 19. Was die Frau bei dem griechischen Dichter gilt. – 20. Die Knabenliebe. – Die Römer. – 21. Die Macht der römischen Familie. – 22. Das römische Recht. – 23. Der Einfluß des Christentums auf die Vollendung des römischen Rechts. – 24. Einfluß der römischen Frauen. – 25. Das entfesselte Weib. – 26. Lucretia. Cornelia. Messalina. – Christentum. – 27. Die das Christentum vorbereitende Philosophie. – 28. Die Evangelien und die Apostel. – 29. Die Kirchenväter. – 30. Was gewann die Frau beim Christentum? –

Von der größten Bedeutung sowohl als gewiß von den erfreulichsten Folgen ist es für uns Frauen, wenn solche Männer als unsere Anwälte auftreten, die, wie Jung, längst anerkannt sind als beharrliche Teilnehmer an der revolutionären Arbeit dieser Zeitdenn wir haben es oft schon bemerken und aussprechen müssen: wie viele, die als Demokraten gelten, doch dann, wenn die Gleichberechtigung der Frauen in Frage kommt, sich als arge Reaktionäre und Orthodoxe erweisen. Somit sind wir Jung für das Buch zu lebhaftestem Dank verpflichtet. Erschüttert stehen wir vor diesen Gemälden weiblicher Erniedrigung, die mit so fester Hand entworfen sind – und vor denen wir, an der Beleidigung, die bei diesem Anblick schon unsere edelsten und heiligsten Gefühle empfinden, ermessen können, wie dieselben, da jene Gemälde Wirklichkeit waren, in unseren mißachteten Schwestern ertötet sein mußten. – Aufklärend für viele, die für die Würde der Frauen in Griechenland und Rom schwärmen, sind die hierher gehörenden Schilderungen. »Wie verschwinden alle die glänzenden Tugenden der Alten, wenn man sie nicht durch die Brille deutscher Professoren ansieht!« – Wie der Verfasser auf das Christentum kommt, zeigte er sich befangen von der Sucht der Feuerbachschen Schule, dasselbe herabzuwürdigen und seinen humanisierenden Einfluß zu leugnen – ein Punkt, in dem wir und wohl viele mit uns, wenn ihnen auch das Christentum nichts anderes ist als eine Stufe welthistorischer Entwickelung, nicht mit ihm übereinstimmen können. In allem andern ist der moderne Standpunkt des Verfassers der unsrige, und wir erwarten gespannt den 2. Teil des Werkes, über den wir dann gleichfalls berichten werden.

L.O.[305]

Quelle:
»Dem Reich der Freiheit werb’ ich Bürgerinnen«. Die Frauen-Zeitung von Louise Otto. Frankfurt a.M. 1980, S. 293-294,304-306.
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