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Die Assoziation und das weibliche Geschlecht – Die Leipziger Dienstmädchen – Kein Anwalt der deutschen Frauen – Der Arbeitslohn – Die Stickerinnen und die vornehmen[134] Frauen – Erbärmlicher Verdienst – Details – Jammer und Elend – Die erzgebirgischen Klöpplerinnen – Einen Neugroschen pro Tag – Verkrüppelung einer ganzen Bevölkerung – Die letzte Zuflucht – Eine Geschichte aus dem Gebirge
Das Recht der Assoziation ist errungen; das sächsische Ministerium hat sogar selbst zur allgemeinen Benutzung desselben aufgefordert, und aus dem Recht ist dann gar bald eine Pflicht geworden.
Es ist allgemein von der Verbesserung der Lage der arbeitenden Klassen die Rede, die man als eine allgemeine Notwendigkeit erkannt hat; eben zu diesem Zweck ist es nötig, daß die Mitglieder dieser Klassen sich unter sich versammeln, beraten, assoziieren und dann ihre Wünsche und Beschwerden auf geeignetem Wege vor die Regierung und vor die Öffentlichkeit überhaupt bringen.
Bereits haben die Männer, die Arbeiter, auch diese Schritte getan – da, wo wie in einigen Fabriken die Interessen der Arbeiterinnen Hand in Hand gehen mit den Interessen der Arbeiter, sind die Frauen durch die Männer zugleich mit vertreten worden – aber wo diese Interessen auseinandergehen, wo die Frauen und Mädchen selbst eine besondere Korporation unter den Gewerbtreibenden bilden, wo mit den ihrigen die Interessen der Männer in gar keinem Zusammenhang sind, da ist auch die Notwendigkeit da, daß die Frauen ihre eigenen Angelegenheiten selbst beraten und zur Sprache bringen müssen.
Die Dienstmädchen in Leipzig haben dies bereits erkannt und sind den andern Klassen weiblicher Arbeiterinnen mit einem guten Beispiel vorangegangen. Sie haben eine Versammlung gehalten und ihre Wünsche und Beschwerden zur öffentlichen Kenntnis gebracht. Man muß die Bescheidenheit ihrer Ansprüche anerkennen, aber man muß auch bedenken, daß das Los der Dienstmädchen noch keineswegs das traurigste der weiblichen arbeitenden Bevölkerung ist. – Ein viel traurigeres Los haben diejenigen Mädchen, welche sich ihren Unterhalt durch weibliche Handarbeiten verdienen müssen. Es ist die Last der übergroßen Konkurrenz, welche diese armen Mädchen erdrückt, einer Konkurrenz, welche freilich eben daher entsteht, daß die Mädchen und Frauen immer und überall vernachlässigt geblieben sind, daß man sie nur weniges lehrt und ihnen alle Mittel und Wege abschneidet oder doch sehr erschwert, ihr Fortkommen in der Welt zu finden.
Es hat sich fast noch nie ein Anwalt der deutschen Frauen gefunden, um auch ihre Sache zu vertreten – nur einige Poeten haben iher gedacht, aber Lieder verhallen ja so leicht in allen Winden oder finden immer wieder nur ein stilles Echo in den Herzen der Frauen. – So müssen die Frauen selbst sprechen, wo auch dem Ärmsten im Volke das Recht der freien Rede gestattet wird. O meine deutschen Schwestern, glaubt nicht, ich sei jemals eurer, unserer Sache untreu geworden, weil ich aufgehört hatte, spezielle Artikel über die Rechte und Pflichten der Frauen zu schreiben. – Indem ich für die politische Freiheit kämpfte, kämpfte ich für eure mit, und indem ich am Banner der sozialen Welterlösung schwor, schwor ich zugleich die eure mit vollbringen zu helfen. So will ich denn auch jetzt eure Sache führen, zunächst eure, ihr armen Arbeiterinnen, und wenigstens das eine tun, was ich kann und darf, eure Angelegenheit öffentlich zur Sprache bringen und vielleicht euch selbst ermutigen, euch zu vereinigen und eure Bitten und Beschwerden dann die hören zu lassen, welche den Männern aus den arbeitenden Klassen ein Ohr leihen.
Unter den Proletariern muß jeder arbeiten, der nicht verhungern will. Es[135] heißt zwar immer und überall: Der Mann ist der Ernährer der Familie, der Erwerber, die Frau hat nur zu erhalten – aber wo, wie in den untersten Ständen, der Mann oft kaum genug verdienen kann, das eigene Leben zu fristen, da muß die Frau auch für das ihre selbst sorgen und die Kinder, Knaben und Mädchen auch wieder, wenn sie groß genug sind, um etwas verdienen zu können. Die Frauen, die für den Tagelohn die gröbsten Arbeiten verrichten, wie Holz- und Wassertragen, Waschen, Kehren usw., bekommen einen geringern Tagelohn als die Männer, die auf Tagelohn arbeiten, aber dies mag angemessen sein, da ihre körperlichen Kräfte oft nur zu geringeren Leistungen ausreichen. Diese Frauen sind noch nicht die beklagenswertesten, sie bekommen in den meisten Fällen gut zu essen, und ihre Arbeiten sind zwar anstrengend, aber doch nicht ungesund, der Tagelohn reicht in der Regel für den notdürftigsten Lebensunterhalt aus. Diejenigen aber, die nicht gelernt haben, diese gröbsten Arbeiten zu verrichten, oder die durch ihre Kinder oder alte Eltern ans Haus gefesselt sind, sich also auch nicht vermieten können, müssen sogenannte weibliche Arbeiten verrichten: Stricken, Nähen, Sticken. – Welche Konkurrenz hierin, welches Angebot der Arbeitskräfte im Verhältnis zu ihrem Verbrauch, und daher welch geringer Lohn!
Eine Strickerin bekommt für ein Paar Strümpfe zu stricken in der Regel 5 Ngr. – 2 bis 3 Tage muß sie darüber stricken, wenn sie nicht nebenbei etwas anderes tut. Da es die leichteste Arbeit ist, fällt sie meist den Kindern und alten Frauen zu, die zu anderen Arbeiten unfähig sind. Aber welche Konkurrenz! Wer anhaltend strickt, kann etwa 15 bis 18 Pfennige verdienen – aber wer hat so viel Kunden? – Da das Stricken eine leichte Nebenbeschäftigung für jede Frau ist, so gibt es Hunderte, die nur stricken, um nicht müßig zu gehen, und dann auch ihre Arbeit verkaufen – es ist auch denen, welche es nicht zur höchsten Not brauchen, nicht zu verargen, wenn sie sich einen kleinen Verdienst verschaffen wollen, aber dadurch, daß viele es nicht so bedürftig sind und die Bezahlung mehr als Nebensache betrachten, lassen sich diese auch die Arbeit schlechter bezahlen, und so drücken die vermögenderen Frauen eigentlich unbewußt und aus lauter Gutmütigkeit den Verdienst der armen Leute herab, da diejenigen, die davon leben müssen, nun auch so billig arbeiten sollen wie die, welche es nur zu ihrer Unterhaltung tun. Die armen Strickerinnen schätzen sich daher oft glücklich, wenn sie für die »Strumpfstricker«, die damit handeln, stricken können; sie dürfen da doch immer auf Arbeit rechnen, wenn sie gleich dieselbe noch schlechter bezahlt bekommen. Derselbe Grund ist es, welcher die Stickerinnen antreibt, für die Fabriken zu arbeiten. Sie werden für diese Weißstickereien sehr schlecht bezahlt, aber sie haben wenigstens keine Auslagen, da sie die Stoffe, Garne und Zeichnungen geliefert bekommen und, außer wenn eine Handelskrisis eintritt, doch sichere Beschäftigung. – Eine solche Stickerin – und gewiß kennt jedermann die kunstreichen Arbeiten des modischen Weißzeugs – verdient den Tag etwa 2 bis 3 Ngr., wenn sie von früh bis zum späten Abend arbeitet. Man glaube nicht, in den großen Städten und für Private würden diese Dinge besser bezahlt – ich habe gestickte große Namenszüge in Taschentüchern gesehen, welche mit 10 Ngr. (das Garn nimmt die Stickerin dazu) bezahlt wurden; es war nicht möglich, ein solches Tuch unter zwei Tagen anhaltender Arbeit zu vollenden. Ist nun die Stickerin im Zeichnen nicht geübt, so muß sie für das Zeichnen erst noch 2 bis 5 Ngr. geben – wie wenig bleibt ihr dann? – Auch die Arbeiterinnen der großen Städte schätzen sich glücklich, wenn sie für eine[136] Handlung, ein Putzgeschäft oder dergleichen arbeiten können – sie haben dann doch immer zu tun – , aber wenn sie von früh 6 bis abends 9 Uhr mit der geringen Unterbrechung der Mittagszeit arbeiten, können sie etwa, je nachdem die Arbeit ist, 3 bis 5 Ngr. verdienen – mehr gewiß nicht. Vielleicht nur um die Weihnachtszeit, wo die Arbeit drängt und viele dieser Arbeiterinnen ganze Nächte durchwachen, gewiß aber nie vor Mitternacht die Arbeit wegzulegen wagen. Und welche augenanstrengende Arbeit – die noch dazu zur Hälfte unter Licht getan werden muß – wohl gar in einer kalten Stube – denn Licht und Holz will auch verdient sein! – Dies sind die am besten gestellten. Was soll ich von den Klöpplerinnen im Erzgebirge sagen? Hier sind 3 bis 5 Pfennige der gewöhnliche Verdienst eines Tages! – Ich fand einst eine Klöpplerin an einer äußerst mühvollen schwarzseidenen Spitze arbeiten – sie sagte mir, daß es ihre Augen kaum aushielten, die dünnen dunkeln Seidenfädchen um die blitzenden Nadeln zu schlingen. – Abends sei sie gar nicht im Stande, daran zu arbeiten, aber sie schätze sich doch glücklich, diese Arbeit zu haben, denn die schwarzen Spitzen würden besser bezahlt – sie könne den Tag eine halbe Elle arbeiten und also einen Neugroschen ohne die Abendstunden, wo sie zu einer gröbern Arbeit greife, den Tag verdienen. Ein Neugroschen den Tag war für sie ein guter Verdienst! – Der Abkäufer gab ihr also zwei Ngr. für die Elle, die Seide dazu kostete etwa eben so viel – und im Handel gibt man für die Elle ähnlicher schwarzseidener Spitzen zwanzig Ngr. – nun macht euch die Anwendung davon selbst! – Die Feder zittert in meiner Hand, wenn ich an das ganze scheußliche System des Handels, der Fabrikation und seiner Opfer denke! – Hättet ihr diese Mädchen und Frauen des oberen Erzgebirges gesehen! – Die Kinder, die in den dumpfen Stuben aufwachsen, sehen gespenstisch aus, bleich, mit abgemagerten Armen und Beinen und aufgetriebenen Leibern – von der einzigen Nahrung, die sie haben, der Kartoffel. Der Vater hat sich im Blaufarbenwerk einen frühen Tod geholt oder er zieht mit Nußbutten oder Quirlen durch das Land – Weib und Kind daheim müssen arbeiten, er kann nicht auch für sie sorgen! Die kleinen Mädchen müssen klöppeln, sobald sie die Händchen regelrecht regen können – da verkümmern sie am Klöppel-Kissen, an dem die Mutter schon verkümmerte, daß sie nur schwächlichen Kindern das Leben geben konnte, am Klöppel-Kissen, an dem die Großmutter erblindete! Denn das unverwandte Sehen auf die feinen Fädchen und Nadeln raubt den Augen frühe die Sehkraft, und die spielende Bewegung der kleinen Klöppel mit den Fingern macht diese fein und die Arme schwach und mager, untauglich zu jeder andern Beschäftigung. Und da kommen die klugen Leute und sagen, die Frauen könnten etwas anderes tun als Klöppeln – es sei Wahnsinn, daß sie darauf beständen! Nein, sie können es nicht, denn sie haben sich niemals kräftigen können und sind abgeschwächt und ganz und gar unfähig eine schwerere Arbeit zu verrichten – wenn ihr sie ihnen auch verschaffen könntet. Der Kinder könnt ihr euch annehmen, daß sie etwas anderes lernen – aber wegnehmen dürft ihr sie der Mutter auch nicht, denn niemand hat dazu ein Recht.
Aber nein – ich will nicht nur von den Klöpplerinnen reden – dies Elend ist bekannt, obwohl diejenigen, die es nicht selbst gesehen haben, sich stets damit trösten, daß die Schilderungen aus dem Erzgebirge übertrieben seien! – Sie sind es nicht, sie erreichen die Wirklichkeit noch lange nicht! So hört doch nur endlich einmal auf, euch aus Feigheit mit Lügen und Leugnen trösten zu wollen. Ich glaubte an das Elend, schon ehe ich's sah – aber als ich's sah,[137] überstieg seine Wirklichkeit doch die Vorstellung noch. – Gehet selbst hin, und die schon in der Jugend entkräfteten Gestalten werden euch überall begegnen! –
Nein, ihr entgegnet mir doch: im Gebirge ist das Elend einmal so groß – aber in den anderen Städten, großen und kleinen, finden alle, die arbeiten wollen, hinreichende und lohnende Beschäftigung, auch die Frauen und Mädchen; ja sie finden sie, aber oft nur – in den Bordells.
Ich habe schon die Preise angegeben, die für einige weibliche Arbeiten gezahlt werden – ja wenn sie nur immer wirklich bezahlt würden – aber auch die armen Nähterinnen müssen Kredit geben und werden oft spät, zuweilen auch gar nicht bezahlt. Nach dem Ausbruch der letzten französischen Revolution befand ich mich in einer kleinen Gebirgsstadt, über der eine drohende Schwüle lag – man hatte Ursache, eine Gährung unter den Fabrikarbeitern zu fürchten. Ich gab mir zu dieser Zeit Mühe, die Stimmung der armen weiblichen Bevölkerung auszuforschen. Ein Mädchen, das mit ihrer Mutter »für die Leute arbeitete«, wie man es nennt, aber noch nicht zu den Ärmsten gehörte, denn der Vater hatte noch einen kleinen Dienst, aber die Familie war auch groß, sagte damals: »Ja, verdenken kann man's den Fabrikarbeitern nicht, wenn sie anfangen – aber ich sag's immer, unsereins wird von den ›Großen‹ auch schlecht genug behandelt und darf sich doch nicht mucksen. Da haben wir vor drei Jahren mit an einer Ausstattung für vornehme Leute nähen helfen – und heute haben wir das Geld noch nicht – es sind neun Thaler, und die verdient man doch gewiß nicht im Schlafe!« Ich frage nach dem weitern, und die Nähterin erzählte, in wie glänzenden Verhältnissen die Leute lebten, die sie nicht bezahlten, und nannte noch manche andere, die geringere Summen schuldig waren, und alle in guten Verhältnissen und Ansehen. »Aber warum mahnen Sie denn da nicht?« fragte ich, und die Antwort war: »Ja, da wird sich unsereins noch ein Herz dazu fassen können – da tadeln sie dann noch die Arbeit hinterher, daß es nicht schön genug wär, – nennen einen unverschämt, und der Bediente führt einen zur Tür hinaus – man müßt's nicht erlebt haben; nein, wenn man auch arm ist, grob behandeln läßt man sich auch nicht gern. Und nachher gilt man noch als zudringlich – das kommt unter den Großen herum, da heißt's: die sind zu impertinent – und dann läßt niemand mehr bei einem arbeiten. – Ja der Vater spricht wohl: erst säßen wir Tag und Nacht und nähten – nachher hätten wir nicht einmal etwas davon, und lacht uns noch für unsern guten Willen aus.« – Ich riet ihr, doch gerade in diesen Tagen hinzugehen, wo die Besitzenden anfingen, Angst vor den armen Leuten zu haben, jetzt würde niemand wagen, sie grob zu behandeln – und sie könne sich ja mit den schlimmen Zeiten entschuldigen. – Ja, denn so ist es! wenn eine arme Arbeiterin ihr Recht verlangt der vornehmen Dame gegenüber, so muß sie sich erst noch entschuldigen! – Nach vielem Zureden entschloß sich das Mädchen zu dem schweren Gange, sagte aber, wie ihr das Herz klopfe und sie immer denke, sie tue ein Unrecht und sei zu zudringlich – so zartfühlend und schüchtern sind die armen Arbeiterinnen! – Aber dann kam sie sehr vergnügt nach Hause – sie war freundlich aufgenommen worden, die Dame hatte ihr das Geld gleich gegeben und gesagt, wie sehr leid es ihr tue, das ganz vergessen zu haben. – Das Letztere mochte nun wahr sein oder nicht – es läßt einen tiefen Blick in unsere sozialen Zustände tun – insbesondere auf das Los der weiblichen Arbeiterinnen. –
(Schluß folgt.)[138]
Ausgewählte Ausgaben von
Aufsätze aus der »Frauen-Zeitung«
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