Zur Ermutigung

Und mögt ihr mich verfolgen und verdammen

Und wollt ihr meines Herzens Schwüre nicht,

Weil ich nur eine schwache Jungfrau bin:

Nicht löschen könnt ihr der Begeist'rung Flammen,

Könnt sie nur schmähen – aber dämpfen nicht.

Und wenn mein Herz im heißen Kampfe bricht,

So bricht's mit Luthers Worten einst zusammen.

»Gott helfe mir! doch anders konnt' ich nicht!«


So rief ich 1847, als es noch sehr still in der Welt war und ich nicht wußte, ob ich nicht allein stehe mit meiner Begeisterung und meinen Bestrebungen, »zum großen Bau der Zeiten« – wie unser Schiller sagt – auch selbst »Sandkorn um Sandkorn« zu tragen – und ich wiederhole es heute nicht für mich allein, sondern im Namen Tausender von Frauen und Jungfrauen, von denen ich jetzt weiß, daß sie das gleiche Verlangen in sich tragen und demgemäß handeln.

Es ist hier nicht der Ort, es zu wiederholen, wie seit 48 unzählige Frauen es bereits durch Wort und Tat bewiesen haben, daß sie begeistert sind für das Wohl der Menschheit und Mitarbeiterinnen der Männer, die dafür tätig. Diese Zeitung selbst hat in jeder ihrer Nrn. davon Zeugnis gegeben – und sie[290] bestände gar nicht, wenn es nicht so wäre. Ich wiederhole nicht, was in jeder Nr. zu lesen. Das Gefühl, die Sehnsucht, auch mitzuwirken an der großen Arbeit des Jahrhunderts und bessere, menschlichere Zustände mit heraufführen zu helfen, dafür sich zu mühen im kleinen Kreis oder im großen, je nachdem er erreichbar – lebt in tausend Frauen-Herzen, und immer ruft es eines dem andern jubelnd zu: »Ich habe erkannt, was uns fehlt, was wir brauchen, ich habe es lange schon gefühlt, daß auch wir Frauen den Blick auf das Allgemeine richten und aus unserer Gesondertheit heraustreten müssen, daß wir andere, höhere Pflichten haben, als allein diejenigen, die man bisher ›weibliche‹ nannte – daß wir nicht nur Frauen sind, sondern Menschen; aber ich schwieg, weil ich meinte, allein zu stehen mit meiner Sehnsucht – und vielleicht war sie darum doch ein Irrtum; aber jetzt weiß ich: Du fühlst wie ich, und Hunderte fühlen wie wir – darum dürfen wir getrost diesem Gefühl uns überlassen und diese Sehnsucht zu befriedigen streben.«

Und wenn es nun so ist, wenn Tausende so empfinden und sprechen, wie kommt es dann, daß im Verhältnis zu diesen immer nur so wenige auch danach handeln? Hören wir die aufrichtige Antwort: es fehlt ihnen nicht an Erkenntnis, auch nicht an jener hochfliegenden Empfindung, der man gewöhnlich den Namen Begeisterung gibt, die in bewegten Augenblicken sich wie ein Sturmwind emporschwingt, aber im nächsten schon mit gebrochnen Flügeln am Boden kriecht, statt wie die Taube ruhig und sicher auch über der tobenden Sündflut zu schweben. Es fehlt ihnen an jener allein echten und rechten Begeisterung heiliger Überzeugung und innern Müssens, die einzig standzuhalten vermag im Kampf mit der Welt, mit all den Gefahren, die da ihrer warten, an der Begeisterung, die freudig jedes Opfer bringt – ja, die wie die Liebe kaum eines kennt.

Seien wir uns vollkommen klar darüber: die Frau, die für das Allgemeine im öffentlichen Leben wirkt, die durch ihr Wirken in weiten Kreisen bekannt und genannt wird, muß ungleich mehr Mut dazu mitbringen als der Mann, und wo es ihm leicht ist, sich Lorbeeren zu pflücken, oder wo er im schlimmsten Fall die geheiligte Domenkrone des Märtyrers auf stolz emporgehobenem Haupte trägt – hängen an ihre Füße sich giftige Schlingpflanzen und Dornen, und man flicht ihr nicht einmal aus diesen eine Krone, sondern sie drückt sie sich selbst einsam und ungesehen in das weiche, hochschlagende Herz, – und die Welt weiß kaum, was sie für sie leidet. [...]

Wer auf seinem Lebensweg Schritte getan hat, die über die beschränkende Schwelle des Hauses hinaus in das öffentliche Leben führen – fällt auch der öffentlichen Beurteilung anheim. Nun, ihr kennt sie ja, diese tausendköpfige Hydra, die man da nennt: öffentliches Urteil. [...]

Und nun stellt euch als schüchterne und zartfühlende Frauen einer Partei gegenüber, die mit Verdächtigungen und Verleumdungen, Schimpfen und Spotten sich auf euch wirft und all diese schlechten Waffen nicht in Blut, sondern in Schmutz getaucht und an dem rastlosen Schleifstein der Gemeinheit geschärft hat. [...]

Mit der Gemeinheit kämpfen wie mit der Dummheit Götter selbst vergebens, und keine Frau, die ihrer weiblichen Würde sich bewußt ist, wird jemals diesen Kampf versuchen wollen. Die Gemeinheit findet uns wehr- und waffenlos – das würde einen ehrlichen Gegner zum Rückzug nötigen, aber die Frechen macht es nur noch frecher; wo nichts dabei zu wagen ist, da sind sie ja am liebsten, und die Verachtung aller Bessern ist für die, welche längst für[291] alles Edle abgestumpft sind, ja keine Strafe und kein Mittel sie zurückzuschrecken, sondern nur ein neuer Spaß.

Sollen wir uns wundern, wenn vor solchen Waffen unserer Gegner Tausende von Frauen schon zurückbeben, lieber in ihrer Zurückgezogenheit bleiben oder wieder in dieselbe flüchten, wenn sie jene giftigen Dolche auf sich gezückt sahen? Und wenn sie auch selbst in sich Kraft und Reinheit genug fühlen, ihnen zu trotzen – da sind Eltern, Verwandte und Freunde, die mit ihrer Furcht sie anstecken, sie bitten, nicht dieser Gefahr sich auszusetzen, oder wenn das nicht hilft, zu den Gemeinheiten jener Gegner noch die eignen Vorwürfe häufen, und jene Lügen zwar nicht glauben, jene Witze nicht billigen – aber die Schuld, daß dies ausgesprochen werden konnte, doch auf die Betroffene wälzen.

Das ist jenes stille Märtyrertum der heutigen Demokratinnen, von dem die Welt nichts weiß und das die Männer in seiner ganzen Größe nicht begreifen können. –

Aber es ist ein Märtyrertum – in diesen Worten liegt auch die Kraft, es zu ertragen. Wofür die Männer kämpfen und streben und alles aufopfern – dafür können auch die Frauen erdulden, was nur Frauen auferlegt werden kann.

Laßt nur eure Begeisterung jene Taube sein, die über der tobenden Sündflut schwebt – und die züngelnden, schlammigen Wellen tun euch nichts. –

Das beste Mittel aber, uns und euch alle mit gegen diese Angriffe der Gemeinheit zu schützen, ist: daß ihr alle, die ihr Demokratinnen seid, am Wirken für das Allgemeine euch beteiligt: denn nur was einzelne tun, ist dem Spotte preisgegeben, wenn aber viel Tausende dasselbe tun, so hören die Ausnahmen auf, und es wird Regel und Brauch daraus. Das ist der große Schild, der all jene giftigen Pfeile so sehr zu Schanden macht, daß alsbald niemand mehr die Lust hat, sie abzudrücken.

L.O.[292]

Quelle:
»Dem Reich der Freiheit werb’ ich Bürgerinnen«. Die Frauen-Zeitung von Louise Otto. Frankfurt a.M. 1980, S. 262-263,290-293.
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