Erste Szene

[131] [131] Rom. Ein Saal im päpstlichen Palast; zur Rechten (von der Bühne aus) ist an der Wand ein temporärer Altar errichtet, an dem ein Priester amtiert; zur Linken bis gegen die Mitte der Bühne reichend, stehen Armsessel, zum Teil mit Betpulten davor, auf denen der Papst mit seiner Familie, darunter Cesare und Lucrezia Borgia, die Vanozza und Julia Farnese mit den Mitgliedern des heiligen Kollegiums, Bischöfen und Erzbischöfen, Almosenieren, dem Zeremonienmeister Burcard, dem Kapitän der päpstlichen Garde und andern zum unmittelbaren Gefolge des Papstes Gehörigen Platz genommen; zu äußerst links, hinter den Stühlen stehen dichtgedrängt und ohne das Ende des Saales auf dieser Seite erkennen zu lassen, teils Geistliche, teils niedere Beamte des päpstlichen Hofstaates und ganz hinten auch etliche von der Dienerschaft, welche alle mit größerer oder geringerer Aufmerksamkeit der heiligen Handlung folgen. Erleuchtet wird der ganze Raum lediglich von den vier großen Kerzen, die am Altar brennen, so daß die entfernter gelegenen Teile in Halbdunkel gehüllt

sind. Im Hintergrund befindet sich ein einziges großes Portal, welches offen steht.


PRIESTER am Altar, den man längere Zeit hantieren gesehen und flüstern gehört hat. Hoc est enim Corpus meum1. – Das Flüstern und Zischeln geht weiter. – – Hic est enim Calix Sanguinis mei, novi et aeterni testamenti; mysterium fidei; qui pro vobis et pro multis effundetur in remissionem peccatorum2.


Während mitten unter den Zuhörern, die teils knien, teils stehen, der Papst mit überschlagenen Knien und im Schoß gekreuzten Händen, wie es scheint, gleichgültig dort sitzt, geht unter den übrigen, besonders unter den weiblichen Mitgliedern, ein lebhaftes Plauschen und Austauschen von Meinungen einher, welches von den rückwärts Stehenden wiederholt durch ein diskretes »Pst!« unterbrochen wird.[132]


PRIESTER am Altar. ... Hostiam puram, hostiam sanctam, hostiam immaculatum ...3


Lucrezia teilt aus einer Tüte Konfetti an ihre jüngeren Geschwister aus.


PRIESTER am Altar. ... Panem sanctum vitae aeternae, et Calicem salutis perpetuae ...4


Die Jüngeren scheinen sich um die Konfetti zu streiten; einiges fällt zu Boden; sie eilen sich, es aufzuheben; man hört Raufen und Schimpfwörter; Stühle werden gerückt; die Damen benehmen sich um die Kleinen; die Herren mahnen zur Ruhe; der Papst schaut hinüber und lächelt; von rückwärts wiederholte »Pst – Pst!«.


PRIESTER am Altar, mit lauter Stimme. ... Per omnia saecula saeculorum5.

DIE ANWESENDEN mechanisch murmelnd. Amen.


Cesare ist von seinem Stuhl aufgestanden und begibt sich hinter die Lehnen seines Vaters, des Papstes, zu dem herübergebeugt er sich längere Zeit halblaut unterhält; die Damen fangen ebenfalls unter sich ein halblautes Gespräch an; die Kleinen, wieder beruhigt, molfern an ihren Konfetti.


PRIESTER am Altar halblaut. Agnus Dei, qui tollis peccata mundi ...6


Bei diesen Worten ist das Weib plötzlich auf die Schwelle des rückwärtigen Portals getreten. Hinter ihr sieht man eine schwarze Gestalt verschwinden. Sie ist in der gleichen naiv-zauberhaften Attitüde wie oben im Himmel und trägt dasselbe weiße, jugendlich-züchtige Gewand wie damals, von dem eine von der Beleuchtung der Kerzen unabhängige

Helle auszugehen scheint.


PRIESTER vollendet. ... miserere nobis!7


Sofort entsteht eine heftige Erregung und große allgemeine Unruhe unter allen Anwesenden, deren Blicke starr[133] gegen die Türe gerichtet sind, und unter denen ein bald unentwirrbares Gemisch von staunenden Ausrufen von seiten der Männer, von Verwünschungen von seiten der Frauen hin- und hergeht. –


PRIESTER am Altar, halblaut. Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, miserere nobis! ...


Die Unruhe wächst immer mehr; der Garde-Kapitän ist einige Schritte gegen das Portal zu getreten; die Dienerschaft drängt sich von dieser Seite immer stärker gegen die Mitte des Saales.


PRIESTER am Altar. Agnus Dei, qui tollis peccata mundi, dona nobis pacem ...8


Der Papst ist ebenfalls aufgestanden und schaut starr gegen die Türe, wo das Weib in regungsloser Haltung verharrt; Gruppen bilden sich und pflegen in erregter Weise Meinungs-Austausch. Der Zeremonienmeister Burcard ist von hinten vorgekommen, um sich mit dem Papst zu benehmen, der ihm aber kein Gehör schenkt. Man hört die

Kleinen schreien.


PRIESTER vollendet und sagt sein. Dominus vobiscum!9 Dessen Antwort. »Et cum spiritu tuo«10 Nicht mehr vernommen wird.


Man hört jetzt aus der Menge Rufe wie: »Wer ist die?« – »Woher kommt die?« – »Eine Neapolitanerin!« – »Schafft sie 'naus!« – »Halt! Halt!« – Man hört die Stimme des Papstes: »Schonung! Schonung!«. –


PRIESTER am Altar, wendet sich um, sieht erschrocken die Verwirrung, sagt aber sein. Ite missa est11 Und erteilt darauf, ohne daß sich noch jemand um ihn kümmert, den Segen.


Nunmehr verlassen alle ihre Plätze und drängen gegen die Türe zu; die Männer zunächst, die Frauen wie zurückgeschoben; der Papst, umgeben von seinem Sohn Cesare, dem Zeremonienmeister und dem Garde-Kapitän,[134] führt das Weib vornehm bewillkommnend unter großem Nachdrängen von seiten der Männer, unter lauten Ausrufen und Verwünschungen von anderer Seite, etwas gegen die Mitte des Saales. – Der Priester hat sich inzwischen am Altar verbeugt und ist rechts abgegangen; ein Sakristan ist gekommen und löscht vorschriftsmäßig die vier großen Kerzen aus. – In dem so

entstandenen Halbdunkel, in dem das Weib wie magisch beleuchtet herausglänzt, sieht man noch, wie die Männer wie wild gegen die helle Gestalt losstürzen, die der Papst jetzt fest unter den Arm genommen hat, während der Garde-Kapitän den Degen zieht, Burcard die großen mächtigen Arme, wie zur Ruhe mahnend, hoch emporhebt, und Cesare wie wütend gegen die Eindringenden um sich schlägt. Die Betstühle werden umgeworfen; man sieht vereinzelt Dolche in der Luft blitzen; im Hintergrund halb ersticktes Weibergeschrei. »He, Hilfe!« – »Ich bin's nicht!« – »Ich bin die Falsche!« – »Waffen!« – »Soldaten!« Man hört Lucrezias Stimme: »Cesare! – Cesare! – Mio papa – zu Hilfe!« – Schließlich drängt die Gruppe mit dem Weib und dem Papst in ihrer Mitte zur Türe hinaus; Alles wie wild nachstürzend; die Frauen kreischend zu beiden Seiten ab: – der Vorhang fällt.[135]


1

Denn dies ist mein Leib.

2

Denn dies ist der Kelch meines Blutes, des neuen und ewigen Bundes – das Geheimnis des Glaubens – welches für euch und für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden.

3

Die reine Hostie, die heilige Hostie, die makellose Hostie.

4

Das heilige Brot des ewigen Lebens und den Kelch des immerwährenden Heils.

5

Von Ewigkeit zu Ewigkeit.

6

Lamm Gottes, das du trägst die Sünden der Welt ...

7

Erbarme dich unser! –

8

Lamm Gottes, das du trägst die Sünden der Welt, schenk' uns Frieden.

9

Der Herr sei mit Euch.

10

Und mit deinem Geist.

11

Soviel wie: die Messe ist vorbei.

Quelle:
Oskar Panizza: Das Liebeskonzil und andere Schriften. Neuwied und Berlin 1964, S. 136.
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