»Fata nos ducunt, et quantum cuique restat, prima nascentium hora disposuit.«
SENECA, de providentia.
Nero wird 16-jährig mit Oktavia vermählt und im gleichen Jahre Kaiser.[1]
[Er stand im Hinblik auf seine Ahnen in dem ungünstigen Verhältnis, seine geistige Erbschaft in der Richtung zum Vater und dessen Ahnen datiren zu müssen. Diese Ahnenreihe hatte ihm ausserdem nur schlimme Mitgift darzubieten. Für die Richtung zum Vater sprach schon das rote Haupt- und Barthaar. Von einem seiner väterlichen Ahnen aus der 5ten Generazion, der Konsul war, hatte ein gleichzeitiger Redner die Wendung gebraucht, »er habe eine Stirn von Eisen und ein Herz von Blei«. Grosse Furchtsamkeit finden wir hei einem Mitglied der vierten Generazion vor ihm. In der dritten Generazion, bei seinem Grossvater, zeigt sich schon jener heftige Drang zu Schaustellung und künstlerischer Betätigung in Schauspielen, Gladiatorenkämpfen Tierhezen u. dergl. Der Schlimmste aber war der ihm Zunächststehende: sein eigener Vater: Domitius Aënobarbus. Sueton nent ihn einen »in allen Beziehungen abscheulichen Menschen« (omni parte vitae detestabilem). Es kommen hier bei habitueller Trunkenheit jene plözlichen Anfälle von perversem Denken hinzu, wie sie eine durch den Alkohol aufgestörte, halb traumhafte Psiche zu Wege bringt, und wie sie dann von einem im Besiz grosser Machtmittel Sich-Befindenden oft sogleich in Taten umgesezt werden, so z.B., wie er bei Gelegenheit einer Ausfahrt in der Nähe Roms einen jungen Knaben aus purer Laune durch Einhauen auf die Pferde absichtlich überfahren liess, oder wie er seinen eigenen Freigelassenen, der bei einem Bankett nicht mehr weiter trinken konnte, zusammenhauen liess. Auch schwere sexuelle Verirrungen, wie Blutschande mit der Schwester, und in ihrem Wesen nicht mehr erkante erbärmliche Betrügereien, die er in hoher Stellung sich gegen Kutscher und dergl. zu Schulden kommen liess, weisen auf sitliche Abgestumpftheit in vorgeschrittenem Maasse hin. Also Totschlägertum, sitliche Taubheit, perverses Fühlen und Denken, impulsives Handeln und dabei starke künstlerische Veranlagung mit Hereinragen des Traumhaft-Erlebten in die Tages-Psiche bei der väterlichen Aszendenz. – Von Seite der Mutter, Agrippina, einer genjalen Verbrecher-Natur, hatte Nero, wenn er von ihr Züge besass, keine Kompensazion des meist fürchterlichen väterlichen Erbes zu erwarten. – Und so finden wir ihn denn, wie seine Eltern waren; verschieden nur, wie zwei Mosaikbilder, die nacheinander aus denselben Steinen zusammengesetzt werden, verschiedene dessins aufweisen können. – Ein Schöngeist und[2] frasenhafter Moral-Redner, wie Seneka, konte an diesem Prinzen, den er erzog, nichts ändern. – Ihn geisteskrank zu nennen, wie Wiedemeister (Der Cäsarenwahnsinn der Julisch Claudischen Imperatorenfamilie. Hannover 1875) wolte, ist unwissenschaftlich und unpsichiatrisch; auch wenn man die Spanne Zeit übersieht, die uns von ihm trent; von einer Perjode, in der es nicht, wie bei uns heute, ein bürgerliches oder wissenschaftliches Miljö gab, das hätte bestimmen können, was bei soinom Herscher »geisteskrank« war; sondern in der der Kaiser als »Gott« eo ipso gesund war. Aber auch bei Uebersehen des Unterschiedes der psichologischen und psichiatrischen Klassifikazion der Menschennatur zwischen damals und heute, auch bei strengster Anwendung des heutigen Maasstabes und der heutigen Nomenklatur – was, nebenbei gesagt, unhistorisch wäre – kann man Nero nicht geisteskrank nennen. Er war zum Teil imbeziller Natur, hatte melancholische Raptuse mit schreckhaften Angstzuständen, halluzinirte dann gelegentlich, und stand in seinem Denken und Handeln unter dem Einfluss einer starken Impulsivität. Aber daran leiden ja so viele Leute. Und das hindert doch nicht am Kaiser-Sein.] –
Nero's Liebesverhältnis zu Akte, einer Freigelassenen, deren Stammbaum er, um sie heiraten zu können, auf königliche Ahnen zurükzuführen befiehlt.
Er kultivirt das literarisch-filosofische und poetisch-retorische »junge Rom«, das er schon als Prinz um sich zu versammeln pflegte, und dessen talentirtestes Mitglied der Dichter Lukanus war. [Nero's hervorragende künstlerische Qualifikazion ausser Zweifel.]
Verschlechterung seines Verhältnisses zur Kaiserin-Mutter Agrippina [zwei Verbrecher-Naturen stehen sich hier gegenüber und beobachten sich].
Der Finanzminister Pallas, ein Günstling Agrippinas, wird entlassen.
Brintannikus, sein Stiefbruder, und durch die geschikten Operazionen Agrippina's von der Tronfolge Ausgeschlossene, beim Mittagessen auf seine Anordnung und in seiner Gegenwart vergiftet.
Er beargwöhnt den Prätorjaner-Präfekt Burrus, dessen altrömischer Ordnungssinn dem Staat einen gewissen Bestand sichert.[3]
Er fürchtet, dass die verbrechengeübte Mutter, deren Einfluss er sich entzogen, ihm zuvorkomme, und beschliesst, ihr zuvorzukommen. – Massenhafte Denunziazionen gegen die Kaiserin und deren Günstlinge.
Nero in den Bordellen, und in unerkanter Maskerade Nachts auf der Strasse, wo er sich an den wüstesten Raufszenen beteiligt.
Der Senator Montanus zum Tote gezwungen, weil er bei einer nächtlichen Prügelei seine Frau, auf die Nero unsitliche Angriffe gemacht, verteidigt, und dabei unbewusst den Kaiser geschlagen hatte.
Vornehme Römerinnen beteiligen sich insgeheim an den verbotenen Kulthandlungen der jungen jüdisch-christlichen Gemeinde.
Nero wird wegen der von Korbulo in Armenien erfochtenen Siege in Rom zum Imperator ausgerufen.
Sabina Poppäa, eine »professional beauty« ihrer Zeit, von vornehmer Abkunft, die Gemahlin Otho's, von Nero begehrt; er wird von ihr à distance gehalten.
Agrippina, die Kaiserin-Mutter, wegen angeblicher Nachstellungen gegen Nero, auf dessen Befehl, nach wiederholtem Mislingen, ermordet. Seneka und Burrus, die einzigen Männer altrömischer Strenge in der Umgebung des Kaisers, dieser Anführer der Garden, jener oberster Staatsleiter, scheinen dieser Fikzion Glauben zu schenken, um auf ihren Posten bleiben zu können. – Erster nächtlicher Angstanfall Nero's. Er vergräbt sich in Kampanien. – In der Hauptstadt werden auf Senatsbeschluss in allen Tempeln Dankfeste für die Errettung abgehalten; des Kaisers Bildnis neben das goldene der Minerva in der Kurie aufgestelt; alljährliche Festspiele zur Feier des Tages. – Der Stoïker Thrasea verlässt angesichts dieser Beschlüsse demonstrativ den Senat. – Dem aus seinem Angst-Kollaps sich erholenden, nach Rom zurükkehrenden Kaiser geht die gesamte Bürgerschaft und der Senat im Festgewand entgegen, als dem »Sieger[4] über die allgemeine Sklaverei« (publici servitii victor), wie sich Tazitus höhnisch ausdrükt.
Rosswettrennen. Er besteigt öffentlich den Rennwagen. Mimt öffentlich. Mit Beifall überschüttet. Einführung des griechischen Habits. Des Kaisers Popularität unbestritten.
Nero gründet die Juvenalia, eine Art Subskripzions-Bälle im Freien, zu denen man sich einschreiben lassen musste; dieselben fanden im sogenanten Augustïeschen Hain statt, und waren mit musikalischen Vorträgen und Komödien-Aufführungen verbunden. Demimonde und Frauen aus den höchsten Ständen drängten sich in gleicher Weise zu diesen Festen. Kings um einen den Mittelpunkt des Festes bildenden Teich waren Verkaufs-Butiken aufgeschlagen, in denen die genanten Damen Luxusgegenstände ausboten. Die mänlichen Festteilnehmer erhielten Marken, deren Verausgabung ihnen die Gunst je einer der Verkäuferinnen sicherte. [Es muss daran erinnert werden, dass die römischen Saturnalien eine ähnliche Umkehrung der Stände und Vergessen der sozialen Unterschiede für einen bestimten Tag des Jahres vorsahen, und dass das Sich-Preisgeben von Frauen zu Ehren der Venus oder des ägiptischen Anubis, als Kulthandlung, wenn auch in vergröberter Form, längst in Rom Eingang gefunden hatte.]
Nero selbst tritt bei dem Fest als Ziterschläger und Sänger auf. – Zur Sicherung des Beifalls wird das Augustjaner-Corps aus den Reihen der römischen Ritter gebildet.
Nero gibt ästetische Soireen, versammelt die jungen, noch unbekanten Dichter um sich, liest ihnen seine, meist extemporirten, Verse vor. Er gilt als entschieden talentirt.
Er gründet nach griechischem Vorbild die sogenannte Neronia, Wettspiele auf dem Gebiet der Retorik, Dichtkunst, Pantomimen, Gesang, Schauspielkunst, des Faustkampfes, der Pferdewettrennen.
Schwere Niederlage der Römer in Britanien, welches nur unter grossen Verlusten wieder zur Botmässigkeit zurükgeführt werden kann.[5]
Vierhundert Sklaven werden hingerichtet im Sinne des römischen Gesezes, wonach bei Ermordung eines freien Römers die gesamte Dienerschaft solidarisch kriminell verpflichtet war. Das Volk rottet sich zusammen und verlangt Abschaffung des veralteten Gesezes, dessen Durchführung Nero durch militärische Absperrung des Hinrichtungsplazes erzwingt.
Der Prätor Antistius ein junger Jurist, liest die von ihm verfassten Schmähgedichte auf den Kaiser in humoristischer Tischgesellschaft vor, wird denunzirt, wegen Majestätsbeleidigung angeklagt, im Senat die Totesstrafe gegen ihn beantraft. Der Stoïker Thrasea wendet sich gegen das Menschlich-Unwürdige dieses Verfahrens, beantragt und erringt Freispruch unter Vermögenskonfiskazion und Deportazion, auf welchem Urteilsspruch der Senat troz des Aergers des Kaisers besteht.
Burrus auf Anordnung Nero's vergiftet. Der Sterbende sagt: Ego me bene habeo!
Seneka beargewöhnt, wegen seines Reichtums beneidet, wegen seiner Indifferenz gegen des Kaisers Kunstbestrebungen gehasst, durch den Tot Burrus' isolirt.
Tigellinus, ehemaliger Pferdehändler, Freund Nero's, wird an Burrus' Stelle Gardepräfekt.
Plautus. Befehlshaber in Asien und Sulla, Befehlshaber in Gallien, deren Heeresmassen dem Kaiser Furcht einflössen, werden durch Kooperation Nero's mit Tigellinus durch gedungene Schergen ermordet und ihre Köpfe Nero überbracht. Der Senat bestätigt nachträglich die Totesurteile und beschliesst Dankfeste zur Errettung des Kaisers.
Nero verstösst die öffentlich nie hervorgetretene, noch sehr junge Kaiserin Oktavia wegen »Unfruchtbarkeit« und heiratet seine Mätresse Poppäa Sabina, deren Bildsäulen auf dem Forum und in den Tempeln aufgestelt sind. Das Volk, welches sich der Oktavia annimt, ihre Bildsäulen mit Blumen bekränzt, die Bildsäulen der Poppäa umstürzt, wird durch Militär auseinandergetrieben. Der Versuch, Oktavia des Ehebruchs[6] zu bezichtigen, scheitert an der Standhaftigkeit der gefolterten Kammerfrauen, von denen eine sagt: »Die Scham meiner Herrin ist reiner als des Kaisers Mund.« Endlich erbietet sich Anizetus der s.Z. gedungene Mörder Agrippina's, den Ehebruch mit Oktavia zu beschwören. Oktavia wird nunmehr wegen Ehebruchs auf die Insel Pandateria verbant. Wenige Tage später trift der geheime Tofeshefehl ein. Es werden ihr die Adern geöffnet und die langsam Sich-Verblutende zuleztim Bad erstikt. Ihr Haupt wird der Poppäa überbracht. Für die Götter werden die ühlichen Weihegaben beschlossen.
Doryphorus, kaiserl. Geheimschreiber, und der frühere Finanzminister Pallas, werden auf Anordnung Nero's, dieser wegen seines ungeheuren Vermögens, jener als Gegner der Ehe Nero's mit Poppäa, vergiftet.
Feldzug gegen die Parther. Die Römer unter Paëtus besiegt. – In Rom werden trozdem Triumfe über die Parther abgehalten und Siegesbogen errichtet.
Poppäa gebiert dem Nero eine Tochter. Der Göttin der Fruchtbarkeit wird ein Tempel errichtet. Das Kind stirbt aber im 4. Monat.
Nero's Bild im Gimnasium vom Bliz getroffen, zu einem Metallklumpen zusammengeschmolzen.
Tiridates, der König von Armenien, lässt sich herbei, sein königliches Diadem in Rom, aus der Hand Nero's entgegenzunehmen.
Der Schuster und Wizbold Vatinius macht sich am Hofe Nero's durch seine schamlosen Gedichte ebenso wie durch seine geheimen Anklagen gegen die Aristokratenpartei beliebt.
Torquatus Silanus, aus vornehmem Hause, der sich seiner entfernten Verwantschaft mit dem Kaiser Augustus rühmte, und mit seinen reichen Mitteln freigebig um sich warf, wird dadurch verdächtig, einer Staatsumwälzung günstig zu sein, und öffnet sich, der sicheren Verurteilung entgegensehend, die Adern.
Erotisches Fest auf dem Teiche Agrippa's mit[7] Lustknaben, Buhldirnen und Bordellstazionen an den Ufern, in welch' letzteren sich sowol Mädchen der Demi-monde wie vornehme Römerinnen preisgeben. [Auch dieses Fest scheint auf saturnalischer, den Gedanken an ehemaligen »Freiheit und Gleichheit« nahebringender Grundlage aufgebaut gewesen zu sein, wobei das ästetisch-menschlich schöne griechische Vorbild von den harten Römern verbestialisirt zu sein scheint.]
Nero lässt sich bei dieser Gelegenheit, sich als Weib, einen der Lustknaben mit Namen Pythagoras mit allen Formen und unter feierlichem Gepränge antrauen.
Neuntägige Feuersbrunst in Rom, wobei von vierzehn Bezirken zehn mehr weniger zerstört wurden, und die angesichts des furchtbaren Elends einen tiefen Eindruck im Volk hinterliess. Mancherlei Gerüchte gaben Nero die Schuld. [Von neueren Forschern zurückgewiesen. Die Ueberlieferung, er habe während des Brandes als Kitaröde gekleidet von der Plattform seines Palastes sein eigenes Gedicht »Der Untergang Troja's« rezitirt, ist, wie alles Legendäre, auf seinen Charakter zugeschnitten und soweit bene trovato, erscheint aber rein menschlich genommen kaum möglich, und ist daher von der modernen Kritik ebenfalls zurückgewiesen worden.]
Nero benüzt die durch den Brand gegebene neue Raumverteilung, um sich durch die Inscheniöre Severus und Zeler einen Palast von nie gesehener Pracht erbauen zu lassen: die domus aurea.
Das widersinnige Projekt des Kaisers, einen Kanal vom Avernus-See bis zur Tibermündung längs des Meeres quer durch Berge und Sumpfstrecken anzulegen, mißlingt. [Hier, bei rein einer tollen Fürsten-Laune entsprungenen Plänen, die lebhaft an die gelegentlichen, unausführbaren Aufträge Ludwig's II. von Baiern erinnern, müsste die psichjatrische Forschung einsezen, um eventuell die Geisteskrankheit Nero's zu erweisen, nicht bei seinen zeitweiligen, durch die Ereignisse motivirten Angstanfällen und nächtlichen Halluzinazionen.]
Gnadengebete wegen des Brandes an Vulkan, Zeres, Proserpina und Juno.
Massenhinrichtung der Christjaner, die als »Auswurf der Menschheit und Kehricht der Welt« (I. Korinth.[8] 4, 13) gut genug schienen, den Verdacht der Brandstiftung von des Kaisern Haupte abzulenken. In Folge der ungewöhnlich grausamen Hinrichtungsart aber, welche die Opfer in mit Talg getränkten Säken bei eintretender Dunkelheit lebendig Illuminazionskörper in den kaiserlichen Gärten anzünden liess, wante sich das Empfinden der Römer selbst dieser verhassten Sekte (odium generis humani) wieder zu, und vom Kaiser ab. – Während dieser aus Menschenfakeln gebildeten Illuminazion liess sich Nero, umgeben von römischen Kokotten (ambubajae) und spanischen Kurtisanen, im Kostüm des Apollo auf einem von nakten Bachantinnen gezogenen elfenbeinernen Wagen über die mit Goldsand bestreuten Parkwege seiner Gärten führen. Massen von Nimfen, Weihrauchfässer schwingend, liefen vorher, andere folgten nach und warfen dem Kaiser Blumenkränze zu.
Unerhörte Steuer-Eintreibungen durch ganz Italien und in den Provinzen, Plünderung der goldnen Weihgeschenke aus den Tempeln in Italien, Asien, Achaja, Einschmelzung der goldnen Gefässe und Götterbilder, um Geld zur Fortführung der kaiserlichen Bauten in Rom zu erhalten.
Seneka zieht sich, um der Verantwortung für diese Maasnahmen, die wachsende Unzufriedenheit erregen, zu entgehen, auf seine Landgüter zurück. Nero's Versuch, sich des unbequemen, moralisch sich gebärdenden Ministers [der von Heuchelei nicht frei, und durch Wucher sich ein enormes Vermögen verdient hatte] durch Vergiftung zu entledigen, mislingt.
In der Verschwörung des Piso macht sich endlich der Widerstand gegen die kaum mehr erträgliche Tirannei Luft; diese Verschwörung, dahin gehend, den beim Volk wegen seiner Verschwendung unmässig populären, aber durch seine Schlemmerei und absolutistischen Mord-Gelüste das Reich dem Abgrund zuführenden Kaiser, den »Teater-Prinzen«, am Tag der Zeres-Feierlichkeiten zu ermorden und den durch Vermögen und Bildung hoch angesehenen Stoïker Piso auf den Tron zu erheben, woran sich die höchsten Würdenträger,[9] Senatoren, Konsuln, Prätoren, Garde-Offiziere, Ritter u.a. beteiligen, wird durch einen Zufall verraten, und von Nero und dem Gardepräfekten Tigellinus zu grausamen Hinrichtungen und Verfolgungen Beteiligter und Unbeteiligter, sowie zu massenhaften Güter-Konfiskazionen benüzt. Schaaren Verdächtiger werden verhaftet; die Eparchis, eine Mitwisserin, wird gefoltert, und hängt sich, um nicht, durch die Folterqualen erschöpft, Geständnisse machen zu müssen, am Folterstuhl selbst auf. Piso öffnet sich die Adern; Konsul Plautius Lateranus nach seiner Verurteilung auf dem Forum ohne Weiteres niedergehauen. Seneka öffnet sich auf Befehl die Adern. Flavus enthauptet; ebenso Zenturjo Sulpizius Afer. Dem unbeteiligten Konsul Vestinus schikt man den Chirurgen und öffnet ihm die Adern; ebenso dem, Dichter Lukanus. – Viele verbant, darunter Rufius Krispinus, der als früherer Gatte der Poppäa unbequem geworden war. – Tigellinus' Bildsäule auf dem Forum aufgestelt. Massen-Geschenke an das Heer. Jedem Soldaten 2000 Sesterzien. Kriechende Unterwürfigkeit des Senats. Weihgeschenke an die Götter. Ununterbrochene Dankfestlichkeiten. Vorschlag im Senat: Nero als Gott schon bei Lebzeiten anzubeten [die Vergottung des Kaisers, die Apoteose, fand seit Zäsar in der Regel erst nach dessen Tote statt.]
Nero tritt neuerdings in den »Neronien« als Künstler und Wagenlenker auf.
Nymphidius, zweiter Präfekt der Garden.
Poppäa Sabina von Nero im Zorn erschlagen.
Kassius, Rechtsgelehrter, in hohem Alter, erblindet, und Silanus, von hoher Abkunft, werden, da sie durch ihr hohes Ansehen gefährlich erscheinen, der erste verbant, der zweite ohne Urteil hingerichtet.
Der ehemalige Prokonsul Luzius Vetus, seine Schwiegermutter Sextia, sowie seine Tochter Politta werden, da sie als Verwante des i.J. 62 von Nero ermordeten Feldherrn Plautus gefährlich erscheinen, von Nero ohne Weiteres zur Hinrichtung befohlen, und diese durch Oeffnen der Adern vollzogen. Nach[10] vollendeter Tat erfolgte die regelrechte Anklage vor dem Senat und die Verurteilung.
An der Pest sterben ca. 30,000 Menschen.
Publius Antejus und Ostorius Skapula werden wegen Befragung des Orakels über ihre eigene Zukunft (welches die Möglichkeit staatsumwälzender Profezeihungen bot) denunzirt. Von dem Moment an gelten Beide so gut als verurteilt. Dem Unvermeidlichen komt Antejus durch Oeffnen der Adern zuvor. Dem ahnungslos in Ligurien (Süd-Frankreich) auf seiner Villa befindlichen Ostorius wird der Chirurg hinausgeschikt. [Hier entschuldigt sich Tazitus beim Leser seiner Annalen wegen dar Monotonie der aufgezählten Morde, die bei äusserlich verschiedenen Umständen innerlich immer dieselben Motive zeigten: Furcht vor Verschwörung und Gier nach grossen Vermögen, und verspricht, sich kürzer zu fassen.]
Innerhalb weniger Tage öffnen sich auf einen kaiserlichen Wink hin die Adern: Annäus Mela, Zerjalis Anizius, Rufius Krispinus und der ehemalige Freund Nero's und bekante Schlemmer Petronius.
Der ehemalige Prätor Minuzius Thermus wird Tigellinus zulieb hingerichtet.
Thrasea, neben Seneka das Haupt der stoïschen Filosofenschule, republikanischer Tipus, einer der ersten Römer seiner Zeit, und einer der wenigen ganz intakten Charaktere, wird wegen verschiedener kleiner Ehrfurchtsverlezungen, wie ostentatives Wegbleiben von kaiserlichen Festen, und dann hauptsächlich, weil er im Majestätsbeleidigungsprozess gegen den Dichter Antistius Verbannung statt Totesstrafe beantragt hatte, selbst zum Tote verurteilt und öffnet sich die Adern.
Barea Soranus, gegen den Nero langjährigen Hass genährt, weil derselbe in seiner Stellung als Prokonsul von Asien die vom Kaiser gewünschte geheime Entführung der Statuen und Götterbilder Pergamon's verhindert hatte, wird unter nichtigem Vorwand angeklagt und mit seiner 16-jährigen Tochter Servilia hingerichtet; leztere, weil sie während des Prozesses die[11] Magier über den Ausgang desselben befragt hatte. Das Mädchen wurde, da sie als Jungfrau nach dem Gesez nicht hingerichtet werden durfte, vor der Hinrichtung vom Henker im Gefängnis entehrt.
Triumfzug des Armenischen Königs Tiridates durch Rom, wo derselbe sich von Nero das königliche Hoheitszeichen über Armenien aufsezen lässt.
Nero besucht die Fechterspiele seines Günstlings Vatinius, eines ehemaligen Schusters und Wizboldes in Benevent.
Er besucht in seiner Eigenschaft als pontifex maximus den sonst für Niemand zugänglichen Tempel der Vesta und schändet dort die Vestalin Rubria.
Vermutlich im Anschluss hieran neuerdings Anfälle von schrekhaften Angstzuständen und Halluzinazionen. Er erlässt ein Edikt: die Liebe zur Vaterstadt und zum römischen Volke gehe ihm vor alle seine Wünsche.
Vollendung der domus aurea, einer immensen Parkanlage mit Gärten, Wiesengründen, Tiergehegen, einem künstlichen Salzsee mit Meerungeheuern und ähnlichen Spielereien; die Portiken, welche die einzelnen Teile verbanden, erstrekten sich auf über eine römische Meile; im Palast selbst, der mit unerhörtem Aufwand von den Inschenjören Severus und Zeler auf der Höhe des Mons Esquilinus erstelt, die 120 Fuss hohe Kolossalstatue Nero's in Gold von Zenodorus. Parfümirte Springbrunnen, Sääle mit beweglichen Kuppeln, elfenbeinausgelegte Zimmer, babilonische Teppiche bis zu vier Miljonen Sesterzien das Stük, mit Goldsand bestreute Parkwege. »Endlich wohne ich wie ein Mensch!« –
Plünderung der Tempel Asiens und Griechenlands an Statuen und Götterbildern; aus dem Apollotempel zu Delphi allein 500 Stük. Verminderung des Goldwertes der Münzen, enorme Steuerauflagen in den Provinzen, Einziehung des Vermögens politisch Verurteilter oder Verdächtiger zur Erhöhung der kaiserlichen Einnahmen.
Erbauung eines Privat-Fortuna-Tempels auf dem[12] Gebiet der domus aurea aus einem fast unbezahlbaren, nur in Kappadozien vorkommenden, milchweissen, harten, durchsichtigen Stein, der in die fensterlose, vollständig geschlossene Rotunde ein blaues, magisches Licht durchbrechen liess. [Diese Neigung zur Farbenberanschung, die ganze, entschieden künstlerische, Geistesrichtung, die sich in der Lust zu architektonischer Ausnüzung von landschaftlichen Schönheiten und in grandjosen Wunderbauten dokumentirt, bei gleichzeitiger persönlicher innerlicher Verrohung bis zum Henkerhaften und Kannibalischen, wiederholt sich später fast bis einzelne Züge getren bei Ludwig II.]
Tierhezen, Wettrennen, Pantomimen, Zirkus- und Teater-Vorstellungen werden dem stets vergnügungshungrigen Volke geboten. Bei Gelegenheit der Hinrichtung der unter keinem Gesichtspunkt Mitleid verdienenden Christjani tritt eine neue Art Schaustellung in Szene: die Verurteilten werden zur Darstellung tragischer Rollen benüzt, deren Träger in dem Stüke selbst den Tod finden. Aus den mitologischen Legenden werden dabei die unzüchtigsten Stoffe ausgesucht und, je nach der Art, im Zirkus oder auf dem Teater dargestelt. Besonders beliebt ist: die von einem Stier zu Tote geschleifte Dirze, oder: die von einem Stier heimgesuchte Pasifaë. Hiezu wurden nakte Christenmädchen benüzt, und Nero ging dabei so weit, sich in eine Stierhaut zu hüllen, aus einem Käfig vorzubrechen, um mit fürchterlichem Gebrüll über das an einen Pfahl gebundene nakte Christenmädchen herzufallen. Zum Schluss gingen als Pluto verkleidete Diener über die Szene, prüften mit glühenden eisernen Ruten die Dortliegenden, und erschlugen die etwa noch atmenden Körper.
Der für Griechenland und den Orjent schwärmende, das barbarische Rom verachtende, Kaiser tritt endlich seine längst projektirte Reise nach Griechenland an. Helios, ein Freigelassener, als Regent aufgestelt. Während 11/2 Jahren ziet Nero unter Beiseitesezung aller politischen Erwägungen als Schauspieler und Wagenlenker durch die grösseren griechischen Städte, um sich[13] den Titel eines Periodonikes zu verdienen (d.i. Eines, der in den vier grossen griechischen Kampfspielen, den Olimpischen, Pitischen, Nemeïschen und Istmischen, den Siegespreis errungen). Sein Repertoir umfasste: »Die Kanake in Kindesnöten«, »Der geblendete Oedipus«, »Der Brudermörder Thyestes«, »Der rasende Herkules«, »Der wahnsinnige Alkmäon«, »Der Muttermörder Orestes«. – Während der Reise lässt er sich – diesmal als Mann – mit einem jungen Griechen, der auffallende Aehnlichkeit mit der verstorbenen Poppäa Sabina hatte, Namens Sporus, trauen. Sporus tritt in Weiberkleidern auf und wird als Kaiserin angeredet. Ganz Griechenland feiert die Hochzeit mit. Ein Chirurg erhält den Auftrag, Sporus durch eine Operazion zum Weib zu machen. [In der Hofgesellschaft fält der Wiz: es wäre ein Glük für die Menschheit gewesen, wenn Nero's Vater auch eine solche Gemalin gehabt hätte.]
Korbulo, der erste Feldherr Rom's damaliger Zeit, der während 15 Jahren die römischen Waffen siegreich gegen die Parther geführt, wird von dem mistrauischen Kaiser nach Griechenland entboten und erhält heim Landen den Totesbefehl. Er stösst sich das Schwert in die Brust mit den Worten »Geschieht mir recht!« –
Währenddem treffen beunruhigende Nachrichten aus Rom ein, von wo Helios zur Rükkehr mahnt.
Mit 1808 Siegerkronen beladen zieht Nero in Neapel ein (März). Dann in Rom: »Heil Nero, dem Apollo!«
Aufstand des Statthalters Vindex in Gallien, der den spanischen Statthalter Galba auf den Tron erheben will. – Nero scheint die Grösse der Gefahr nicht zu erfassen. Bleibt untätig.
Zusammenkunft des Befehlshabers der Rheinischen Legjonen, Rufus, mit Vindex bei Vesontio. Während Rufus nicht abgeneigt erscheint, sich an der Erhebung zu beteiligen, geraten die beiderseitigen Heere in Folge eines Misverständnisses und bei gegenseitigem, durch lokale Umstände bedingtem, Hass aneinander,[14] die rheinischen Legjonen siegen über die Gallier und Vindex stürzt sich in sein Schwert.
Im April fall auch Galba von Nero ab.
Nero hatte die ganze Zeit mit Kindereien vertrödelt, sich unfähig eines entschiedenen Widerstandes, grossartiger Maasnahmen, gezeigt, die Gefahr als solche gar nicht erfasst, war dann zwischen Wutausbrüchen und dumpfer Verzweiflung hin- und hergeworfen, um schliesslich mit aufgebrauchtem, widerstandsunfähigem Hirn, wie ein gelähmtes Kind, das ganze Geschik über sich ergehen zu lassen.
Der Senat verständigt sich mit den Prätorjanern, begibt sich in deren Lager, und ruft (Juni) Galba zum Kaiser aus.
Nero in psichischem Verfall am 3. Juni in seiner Villa in den Serviljanischen Gärten von aller Welt verlassen, flieht mit Epaphroditus seinem Schreiber, Sporus, seinem Lieblingsknaben, und Phaon, einem Freigelassenen, auf des lezteren Landgut, das tief in den Wäldern verstekt liegt, wohin ihm römische Reiterei nachsezt. Er lässt sich von Epaphroditus den Dolch in die Kehle stossen. »Welch' ein Künstler stirbt in mir!« 301/2 Jahre alt. Am 9. Juni 68. Nur seine alte Amme Ekloge und die verlassene Akte kümmerten sieh um seine Leiche und sorgten für Bestattung.[15]
1 Durch das hier Mitgeteilte wolte ich dem strebsomen Schauspieler, so z.B. dem Darsteller der Nero', Gelegenheit geben, sich in die damals in voller décadence befindliche, römische Kaiserzeit etwas einzuleben, und ihn an den Vorstudien, die ich selbst für das Werk machte mühelos teilnehmen zu lassen. Das Markanteste, was hier aus den Quellen mitgeteilt ist, kann heute für uns historisch nicht erfaßt werden; dafür fehlen uns psichologisch die Vorbereitungen. Wir müßten Römer, und zwar Römer der damaligen Zeit, sein. So oft wir uns beim Lesen er vielen Graßheiten und Unbegreiflichkeiten moralisch rühren wollen, befinden wir uns auf falscher Fährte. Wir sind gewohnt. Alles, was sich als Dichtkunst oder historisches Kunstwerk uns darbietet, auf dem Brüsstein jüdisch-christlichen Empfindens zu analisiren: dieser Brüsstein ging Nero und seiner Zeit gänzlich ab. Schon Tazitus, der nur ein halbes Jahrhundert nach Nero schrieb, steht, etisch genommen, unter ganz anderen Anschauungen. Allein der Umstand, daß Nero der beliebteste Monarch der gesamten römischen Kaiserzeit war, muß vorsichtig machen in Anwendung von Gesichtspunkten, die zu falschen Resultaten führen müssen. Was wir einzig tun können, ist, historische Ereignisse und Personen durch möglichst moderne Kunstsprache uns menschlich näher zu bringen, alles Archaisieren zu unterlassen, und sie nur unter jenen welt-moralischen Gesichtspunkten zu beleuchten, die für die Völker Asiens wie des Abendlandes gleichmäßig gültig waren; um ein großes Beispiel anzuführen: wie Goethe seine »Iphigenie« schuf, oder wie Dürer die »Passion« in die Bildsprache des 16ten Jahrh. übersezte. – Um einen Maasstab für die schauspielerische Auffassung zu geben, dürften immerhin Tazitus' »Annalen«, Buch XI–XVI (in vorzüglicher deutscher Uebersezung von Ad. Stahr. Berlin 1879) sich am geeignetsten erweisen, obwol er, durchtränkt von stoischen Grundsäzen, mit viel zu großem sitlichen Zorn an Nero herangeht. Wer dann noch etwa Ernst Renan's »Antechrist« lesen will, dürfte sich das Hauptsächliche angeeignet haben, um Nero als psichopatischen Herscher auf der Bühne darzustellen.
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