§ 3

[151] In der Tat, die Behandlung, die man seit der Oberherrschaft des Materjalismus dem Denken hat angedeihen lassen, macht den denkbar komischsten Eindruck. Spencer erklärt das Denken für »gehemte Hirn-Reflexe«, ohne uns sagen zu können, wie denn aus einem Reflex, einer sinlich perzipirten Bewegung, ein – Gedanke, aus Materie – Bewusstheit entstehen solle; und ohne sich an Descartes zu erinnern, der uns gelehrt, dass Denken und Ausdehnung Geistiges und Körperliches, unvereinbare Dinge seien, deren Ineinander-Uebergehen für das Denken – und dieses macht doch die Filosofie – eine schlechterdings unmögliche Annahme sei. Spencer hat dies auch bis zu einem gewissen Grad gefühlt, indem er »Bewusstsein eine im Grunde ganz[151] überflüssige Begleiterscheinung zentraler Gehirn-Prozesse« nante. Aber das ist nicht genug. Er, und mit ihm jeder echte Materjalist, müsste das Denken überhaupt läugnen, wofern er im mechanisch verlaufenden, materjellen Gehirn-Reflex das gesamte geistige Dasein des Menschen beschlossen sieht; und wofern der Name »materjalistischer Monist« nicht eitel Betrug und Selbsttäuschung ist. Denn entweder glaubt er an die Möglichkeit des Uebergangs, des Entstehens von Gedachtem aus Körperlichem, dann wirft er den oben genanten Descartes'schen Saz um, und komt als nicht auf der Höhe filosofischer Bildung stehender, nicht ausgereifter, Denker nicht in Betracht. Oder er giebt die Unmöglichkeit des Entstehens von Psichischem aus Fisischem zu, bringt aber Gedächtnis, Bewusstheit und dergl. mit materjellen Gehirnvorgängen in Konnex, dann ist er Dualist, er mag sich wenden, wie er will, aber nicht Materjalist, und noch weniger Monist! – Hic Rhodus, hic amice salta! – Hier, in der Tat, kommen alle naturwissenschaftlichen Filosofen zu bösem Fall. – Die ältere Richtung von Vogt, Büchner, Moleschott, der sog. metafisische Materjalismus, deren Anschauung in dem Saz gipfelte, die Gedanken sind Produkte der Gehirntätigkeit, wie »der Urin das Produkt der Nieren«, ist heute allerdings abgetan; sie waren in ihrer starren Rüksichtslosigkeit den heutigen Halben vorzuziehen. Man hat heute eine mildere und täuschungsreichere Formel aufgestelt. Man spricht von »psicho-fisischem Parallelismus«, und erklärt dies so: jedem Bewusstseins-Inhalt entspricht ein materjeller Erregungszustand im Gehirn; oder: das psichische Leben ist ein Spiegelbild der fisischen Gehirn-Vorgänge in der Form des Bewusstseins. Aber die Fein-Näher kommen hier um keine Strecke weiter als die Grobnäher. Und Wundt steht heute noch auf demselben Standpunkt wie Büchner. Mit dem Wort »Parallelismus« ist gar nichts gesagt, weder Abhängigkeit noch Unabhängigkeit. Mein Denken kent nicht die Formel des »Parallelismus« als eine zureichende für seine Erkentniskraft. Es kent nur die Formel des Kausal-Gesezes, und der Frage: Warum? Mit dem Ausdruk »Parallelismus« ist ein Bild aus[152] der Erscheinungswelt gebraucht, um eine Behauptung zu erschleichen, die auf andere Art nicht bewiesen werden kann. Wenn ich ein Schienen-Geleise betrachte rücksichtlich des Umstandes, ob die eine Schiene von der andern abhängig sei, so ist die erste und einzige Frage, die mich interessirt, ob die eine Schiene von der andern kausal bedingt ist. Ist dies bejaht, dann ist der Umstand, ob die beiden Schienen mit einander paralell verlaufen, mir höchst einerlei, oder komt erst in zweiter Linie in Betracht. Ist sie verneint, so ist mein kausales Bedürfnis gedekt, und der weitere Umstand, ob die Schienen paralell verlaufen, kann mich dann ebenfalls nicht weiter interessiren. Mit der Anwendung des geometrischen Bildes des Paralellismus für den psicho-fisischen Prozess ist die Frage der Kausalität umgangen. Hier stekt also ein schwindelhafter Punkt im Denken des 19. Jahrhunderts.–Aehnlich steht es mit dem Bild des »Spiegels«, der in der Form des Bewusstseins die fisischen Gehirnprozesse wiedergeben soll. Das Spiegelbild ist in der Natur die kausale Folge des Objekts. Das Spiegelbild ist nicht Nichts. Sonst wäre auch das Licht Nichts. Mit Spiegeln konte schon Archimedes Schiffe verbrennen. Mit der Wendung also, dass die Psiche die Gehirnvorgänge im Bewusstsein wiederspiegle, ist gesagt, dass sie die kausale Folge der Gehirnprozesse sei. Dies soll aber vermieden werden. Also auch hier Spiegelfechterei und Zweideutigkeit. – Konsequenter, und daher beachtenswerter, erscheinen einige jüngere Forscher, wie Münsterberg, Herzen, die unter der Dewise des »psicho-fisischen Materjalismus« einhergehen. Sie geben offen zu, dass, den Wechselverkehr des Körpers mit dem Geist vom materjalistischen Standpunkt aus zu verstehen, eine Unmöglichkeit sei; andrerseits beharren sie auf ihrer Forderung, dass jede psichische Tätigkeit eine molekülare Bewegung der Nervenelemente ist. Bei dem weiteren Versuch freilich, besondere psichische Tätigkeiten molekular zu erklären, kommen sie auf Abstrusitäten, wie: dass »Ideen Muskelzusammziehungen« seien; oder: dass »Raum und Zeit Wahrnehmungen von Unterschieden von Muskelspannungen« seien; und »Muskelempfindungen die[153] Grundlage unserer Persönlichkeit« sind. Hier wird man unwillkürlich – man verzeihe! – an das kräftige Wort Scheffel's vom »Hegel'schen Mist« erinnert. Zu der idealistischen Exagerazion dort haben wir hier das materjalistische Gegenstük. Die Herren werden uns nächstens sagen, auf welchen Muskelspannungen »Wiz«, »Kausalität«, »Mitleid«, »das Edle, Wahre und Gute«, und vor Allem »der Unsinn« beruht, damit ihnen zur Lösung des Menschenrätsels nichts mehr übrig bleibe – bis auf's Denken!

Quelle:
Oskar Panizza: Die kriminelle Psychose, genannt Psichopatia criminalis. München 1978, S. 151-154.
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