§ 11

[168] In welcher Form stelt sich mir nun mein Denken und die Körperlichkeit dieser Welt von Seite des Dämon, des gedachten transzendentalen Prinzips, aus betrachtet dar? Nur als causa efficiens, als antreibende Ursache, darf ich mir den Dämon in transzendentalem Sinn denken; sein Wirken ist mir gänzlich unbekant; könte ich es, so müsste ich es entweder aus der Erscheinungswelt kennen; diese ist aber für mich, für meine Wahrnehmung, Halluzinazion, ist mein Produkt, und als illudorisches Machwerk gar nicht fähig, mir über den Dämon etwas mitzuteilen; – oder ich müsste es aus dem Denken kennen; aber gerade hier finde ich kausallose Ereignisse, wie meine Einfälle, meine Halluzinazionen. Also stelle ich den Dämon an die Grenze, wo ich keine causa mehr finde, aber eine causa verlange, also als transzendentale causa. Dann ist er aber rätselhaft und ich darf ihn rätselhaft nennen, da keine mit mir gleichgeschaffene Intelligenz im Stande ist, hier Besseres oder Deutlicheres zu liefern. Der Dämon ist also ein aus dem Transzendentalen mit Notwendigkeit gewonnener Faktor, um mein mit Kausalbedürfnis ausgestattetes diesseitiges Denken und die an ihm hängende Erscheinungswelt zu erklären. –

Anders steht die Sache in meinem diesseitigen Denken, in meinem Denken als Erscheinung, wie es mir aus unmittelbarem Beobachten bekant ist, und im Bereich der mit ihr verknüpften Aussenwelt. Hier habe ich kein Recht mehr, kausallose, d.i. meinem Denken zuwiderlaufende Ereignisse zuzulassen. Nachdem ich hinter mir den Ariadne-Faden geknüpft, kann ich und muss ich an ihm, beim Vordringen in das Labirint meines Denkens und der Erscheinungswelt,[168] mein Ziel erreichen und eine kausalrichtige, lükenlose Kette, eine Assoziazion, von dem mich inspirirenden Dämon bis in die lezte, mikroskopische Beobachtung meiner Erscheinungswelt herstellen können. Das schwierigste Problem aber, welches mir hier entgegentritt, und welches die besten Köpfe aller Zeiten beschäftigt hat, ist die Lösung des Widerspruchs zwischen Körper und Geist, der Uebertritt von Gedachtem in Ausgedehntes, der Dualismus zwischen Denken und Erscheinungswelt, das Descartes'sche Problem. Oder, ein Beispiel gestelt: wie komt es, dass ein Stich in der Körperwelt, an meinem Arm, in meinem Denken zu Bewusstsein wird (Schmerzempfindung)? Oder: wie komt ein Baum in der Aussenwelt dazu, in mir zu einer Idee des Baumes zu werden? – Von der Materje aus kann ich die Idee nicht konstruiren, sonst verfalle ich in den Fehler der Materjalisten, die die Idee kurzer Hand zur Materje schlugen; oder in den der heutigen Psichologen, die Bewusstes aus Unbewusstem konstruiren. Der Sprung von der Materie zur Idee ist aber für mein Denken unausführbar. Wir bekämen es mit Descartes und der gesamten modernen Naturwissenschaft und ihren Postulaten zu tun. Umgekehrt, die Materje von der Idee aus zu konstruiren, ist mir noch viel weniger möglich, da dies nicht nur meinem Denken, sondern aller Erfahrung und der ganz vulgären Anschauung zuwiderläuft, da Niemand glauben wird, aus der Idee eines Ofens könne ein Ofen werden. Was bleibt mir in diesem Falle einzig übrig? Ich muss Idee einer Sache und die Sache selbst in der Aussenwelt als einen Prozess in meinem Innern sezen. Also der Baum in der Aussenwelt und die Idee des Baumes in meinem Innern sind identisch, sind ein und derselbe Prozess, gehen – bildlich gesprochen – an ein und demselben Ort vor sich, und die gesamte Aussenwelt stekt in meinem Innern. – Ist dies nicht unerhört? – Gewiss nicht! Die gesamte moderne Filosofie hat seit Berkeley wiederholt ganz oder teilweise die Realität der Aussenwelt geläugnet, wie Kant, Fichte, Schopenhauer, und hat, teils auf Erfahrungsursachen gestüzt, teils als Folge spekulativer Nötigung, als lezten[169] Grund der Erscheinung des Weltbildes eine kreïrende Eigenschaft unserer Psiche erkant. Wir haben aber täglich dieselbe Erscheinung in unserer Erfahrungswelt vor uns: Der Halluzinant sieht eine Gestalt in der Aussenwelt, er hat eine Idee von der Gestalt in seinem Geiste, er handelt genau so, wie wir einer wirklichen Gestalt gegenüber handeln, und keine Macht des Himmels ist im Stande, ihm diese Gestalt auszureden. Und doch ist sie für uns nicht vorhanden.– Gäbe es eine Intelligenz, die so über uns stände, wie wir über dem Halluzinanten stehen, sie könnte uns sagen, dass die Aussenwelt nicht real existirt, sondern unsere Halluzinazion ist, wie wir dem Halluzinanten sagen, dass seine Gestalt nicht existirt, sondern seine Halluzinazion ist. Wir würden es freilich nicht glauben, so wenig es der Halluzinant uns glaubt. Weil bei uns beiden der Zwang zu mächtig ist. Die genante Intelligenz könte aber tröstend hinzufügen: Dass wir uns benehmen müssen, als wenn die von uns halluzinirte Welt real wäre; und auf Momente würden wir es glauben, wie es der Halluzinant in lichten Momenten auch einsieht. – Da nun überdem die Halluzinazion von der modernen Psichiatrie und Psichologie definirt wird: einmal hinsichtlich ihres zentralen Auftretens als fisiologisch identisch mit dem bei uns allen stattfindenden Prozess der Wahrnehmung der Dinge im Raum; ferner, hinsichtlich ihrer Projekzion in die Aussenwelt, als einen nur im Innern, zentral, im Vorstellen, sich abspielende Erregung, die sich nicht in der Richtung des nervus opticus, geschweige der Aussenwelt, realiter fortpflanzt, – was hindert mich, nunmehr gestüzt auf die Naturwissenschaften, den Analogieschluss zu führen: dass auch für mich die Aussenwelt nur meine Halluzinazion ist, der ich ebenso zwangsmässig unterliege, wie der von mir als solcher erkante Halluzinant? – Es könnte hier noch der Einwurf gemacht werden, wieso es komme, dass ich nie zur Erkentnis meiner Welt-Halluzinazionen komme, wie es doch der Halluzinant manchmal komt. – Dies ist aber – naturwissenschaftlich betrachtet – eine biologische Frage, eine entwiklungsgeschichtliche Untersuchung, die ich ebensowenig klipp und klar beantworten kann, wie die: woher[170] es komme, dass ich nie von meinem Kausalgesez etwas spüre. Ich könte höchstens darauf hinweisen, dass in der geschichtlichen Zeit, da ich begann, diese Welt selbsttätig zu kreïren, aus mir zu projziren, ich, naiv, wie der Schöpfer ist, keine Zeit, kein Hirn, und keine Intelligenz hatte, mich zu informiren, eine Super-Intelligenz, ein Dämon, der mich belehren konte, damals, so wenig wie heute, zu meiner Verfügung stund, und ich, vollauf mit meiner Schöpferarbeit beschäftigt, mit analitischen Fragen mich nicht beschäftigen konte; dass aber später, durch die Gewohnheit eingelernt, ich nicht mehr merkte, was ich tat, und, sowenig ich heute den Luftdruck über mir spüre, der gewaltig ist, ich ehe dem die Leistung ahnte, die ich mit der Welt-Projekzion vollbrachte, und die gewaltig ist. –

Quelle:
Oskar Panizza: Die kriminelle Psychose, genannt Psichopatia criminalis. München 1978, S. 168-171.
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