§ 12

[171] Was aber gewinne ich durch diese Darlegung?! So schwer die Zumutung an den Erfahrungsmenschen ist, diese Welt als sein Halluzinazionsprodukt anzusehen, was gewinne ich durch diese ganze Darlegung?: Den Schlüssel zu meiner ganzen Posizion. Die Identität von Körper und Geist, das Zusammenfallen von Ausgedehntem und Gedachtem, die Gleichzeitigkeit von Wahrnehmung und Aussenwelt. Ich denke und verwirkliche das Gedachte nicht nur a tempo, im gleichen Zeitmoment, sondern auch – bildlich gesprochen – ad un luogo, am gleichen Ort. Und da meine Zeitschäzung nur das Resultat meiner inneren Vermutung ist, zwischen meiner Wahrnehmung und ihrer Projekzion in die Aussenwelt besteht eine Streke, auf der ich zähle. So nehme ich mit meiner falschen Vermutung auch die Zeit zurük, und erkenne sie als ein – zwangsmässiges – aber illudorisches meiner Wahrnehmung anhaftendes Merkmal. Und ich befinde mich in der Situazion jenes Schläfers, der, als in der Frühe an seine Tür geklopft wurde, rasch noch einen Traum träumte (ein Duell u. dergl.), der seinerseits durch das Klopfen ausgelöst wurde und nach mehreren Episoden ebenfalls mit dem Klopfen, das im Traum ein Schuss u. dergl. ist, schliesst; wobei er erwacht; und nun erkent, die Traumstreke,[171] die sich anscheinend zwischen zwei Endpunkten abgespielt hat, falle überhaupt mit dem einzigen Klopfmoment zusammen, und erweise sich seiner irdischen Zeitmessung gegenüber geradezu anihilirt; so dass er empirisch gezwungen ist, an den Traum zu glauben, logisch gezwungen ist, die ihm gehörige Zeitstreke zurükzunehmen. – Mit der Zurüknahme der Aussenwelt in mein Denken nehme ich aber natürlich ebenfalls den Raum zurük, eine Bestimmung, die, wie sie unvermeidlich mit der Projekzion in etwas ausser mir gegeben war, nunmehr beim Zusammenfallen meiner räumlichen Halluzinazion mit meinem Denken in Nichts zerfällt. – Und da mein Körper, mein Kopf, mein Hirn, meine Ganglienzelle und der Gehirn-Reflex, den ich hier beachte, Teile der Aussenwelt sind und Illusions-Produkte, wie Alles andere ausser mir, so ziehe ich mich auf mein Denken, zurük; und Alles was ich tun kann, ist, mir zu sagen: vor mir ist Alles ausgelöscht; aber nach rükwärts zu greifen, und mir zu sagen: wenn etwas ist, so ist es hinter mir, so ist ein hier mich fassendes Prinzip, ein Dämon, der mich kreïrt und mich zwingt, ohne meine Schuld, zu denken, räumlich und zeitlich mich zu drehen, und in diese nur indirekt durch mich geschaffene Welt zu schauen, für die ich vielleicht nur Mitleid und Verachtung habe, –dies rükwärtige Band aber immer sicherer und fester zu schmieden.

Quelle:
Oskar Panizza: Die kriminelle Psychose, genannt Psichopatia criminalis. München 1978, S. 171-172.
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