§ 14

[174] Hast Du aber Deinen Dämon gefunden, dann bist Du nicht mehr allein auf der Welt. Du darfst Zwiegespräch halten, und bist einem Anderen, der Dein Denken leitet und antreibt, verantwortlich. Bist denn Du es, der denkt? Nein! Köntest Du dann mit Aufbieten aller Macht Dein Denken hindern? Ebensowenig: Ist es denn Dein Wille, der den Inhalt Deines Denkens ausmacht? Nicht entfernt! Musst Du denn nicht das ganze arrangement, wie es nun einmal besteht, einfach hinnehmen? Freilich musst du es! Musst du Dich nicht auf Grund eines, wenn auch illudorischen »post hoc« von ihm unterscheiden? Musst die Illusion mitmachen? Musst Dich also mit ihm auseinandersezen! Und sonderbar müsste es zugehen, wenn Du die Stimme deines »alter ego,« Deines »besseren Ich«, nicht verstehen solltest. Nenne ihn »Gewissen«, »Eingebung«, »Inspirazion«, »Impuls« »innerer Befehl«, oder wie immer; fliehe in die Einsamkeit, oder stürze Dich in den Trubel des Menschen-Gewühls, Du wirst ihn bei Dir finden, hast Du anders nicht Deine inneren Sinne abgestumpft und im grob-materiellen Verkehr mit den Täuschungen dieser Welt getötet. – »Nähme ich Flügel der Morgenröthe und bliebe am äussersten Meer, so würde mich doch Deine Hand daselbst führen, und Deine Rechte mich halten.« (Psalm 139, 9–10). – Du bist ihm verantwortlich und musst ihm Rede stehn, wenn er zu Dir spricht. Mag er geartet sein, wie immer; und mag er vom Standpunkt einer hiesigen Moral »gut« oder »schlecht«[174] genannt werden. Fürchte nicht: Er ist für die meskinen Unterschiede irdischer Pädagogen, oder die Paragrafen einer »Staats«- oder »Gesellschafts«-Moral unerreichbar. Und wenn auch die »Ordnung der Dinge« in dieser Welt auf ihn, als lezte causa efficiens, zurückzuführen ist. Du darfst nicht rükwärts schliessend dich auf Hiesiges stützen; Du musst, als Lebender und Wirkender, vorwärts schliessen, und Dich auf ihn stüzen. Er ist für Dich da. Und mit ihm vereint darfst Du diese blöde, dumme Welt herausfordern; darfst diese Larven mit wasserblauen Augen, die Dich hier umgeben, verachten, und jene bebrillten Automaten, die gegen ein sicheres Mittagessen Dir vordoziren: Du musst Den heilig halten, und für Jenen sterben, Du musst ein tüchtiges Mitglied der Gesellschaft sein, und ein braver Staatsbürger, der seinen Eid mit dem gehenden und kommenden Erlauchten Haus seines Landes bricht und hält – die darfst Du verlachen und für eine tief unter Dir stehende »genus hominum« halten, – wenn Du mit Deinem Dämon d'accord bist. –

Quelle:
Oskar Panizza: Die kriminelle Psychose, genannt Psichopatia criminalis. München 1978, S. 174-175.
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