§ 21

[185] Dass ich die Aussenwelt, obwohl ich sie angeblich als Wahrnehmung in mir trage, nochmals als nicht mir zueigen, sondern als ausser mir Gegebenes, von mir unterscheide, ist in der Tat eines der seltsamsten Ereignisse, die dem Denker aufstossen. Nicht nur unterscheide ich die Aussenwelt als etwas nicht mir Gehöriges, sondern auch das Kleid, das ich trage, meinen Kopf, meine Augen und Ohren, meinen Schmerz, meine Leiden, meine Gedärme, meine Handlungen, ja meine verflossenenen Gedanken, unterscheide ich alle von mir. Auf der andern Seite sehe ich, wie Gedanken, eben entstehende, kaum geborene, Stimmungen aus denen sich sicher klare Impulse herauskristallisiren werden, an mich herankommen; die ich also auch von mir unterscheide. Und nur einen ganz kleinen Teil dieser sozusagen vor mir und hinter mir liegenden Dinge und Empfindungen identifizire ich für einen kurzen Moment mit mir: ich sage dann: Ich! und meine dann die jeweilige Aussenwelts-Handlung oder eben eingetroffene Empfindung. Ich glaube gern, dass diese Art Lokalisirung: wonach die Aussenwelt so vor mir, wie innerlich an mich herankommende Gedankengebilde hinter mir, liegen, eine Zwangs-Eigenschaft meiner Psiche ist; ebenso, wie meine Empfindung, dass die in der Aussenwelt vollbrachte Handlung zeitlich vergangen, wir der immer assozjativ oder autochton entstehende Gedanke zeitlich herankommend ist, nur eine mir imputativ auferlegte Empfindungs-Form meines Innern ist; mag dem sein, wie ihm wolle; mag meine Psiche in Wahrheit gestaltet sein und funkzionieren, wie sie will: soll ich im Hinblick auf diese räumliche und zeitliche Plaasirung[185] meiner Anschauungen und Empfindungen eine Reihe aufstellen, räumlich gedacht die Linje a b c, zeitlich gedacht die Zählstrecke α β γ, so muss ich, da nun einmal sinliche Erscheinungsformen mir zur Erklärung unentbehrlich, wenigstens hier konsequent sein, und die Reihe einhalten. Wie wird sich nun eine solche zunächst räumliche, oder räumlich gedachte, Reihe für den Materjalisten bei Wahrnahmung der Dinge der Aussenwelt gestalten?: Ein in der Aussenwelt wirklich und wahrhaftig existirender Baum: Stazion a; – Wahrnehmung dieses Baums im Innern: Stazion b; – Verlegung dieses Baumes als in der Aussenwelt existirend: zurük zu Stazion a. – Zeitlich würde sich bei ihm eine solclie Reihe bei einem inneren Erlebnis einfacher gestalten: ein eben innerlich aufsteigender, vom Ich unterschiedener, Impuls: Zeitstazion (α: – Identifizirung des Ich's mit diesem Impuls, Handlungsbereitschaft: Stazion (β: Ausführung der Handlung in der Aussenwelt: Stazion: γ – Wir sehen sofort, wie unkonsequent der Materjalist sich im Hinblick seiner teoretischen Auffassung der Aussenwelt verhält. Seine räumliche Anschauung entspricht einem Hin und wieder Zurück (a b a); seine zeitliche einer geraden Linje (α β γ). Und unsere Teorie von der transzendentalen Entstehung des Denkens und der Aussenwelt will nur die räumliche wie zeitliche Reihe gleichgerichtet ansehen und formiren. Sie postulirt die Entstehung des Innenlebens als kausallos, d.i. transzendental, als unweigerlich Gegebenes – wie auch der naive Erfahrungsmensch dieses Innenleben gegenüber der Aussenwelt räumlich hinter sich verlegt, zeitlich als, Anfangsstazion deklarirt – und lässt Denken und Handeln räumlich wie zeitlich in einer Richtung sich vollziehen, um dann, wie geschehen, Ich-Psiche und Aussenwelt in einen halluzinatorischen Wahrnehmungs-Aussenwelt-Prozess zusammenzuziehen. – Was auch in der Erfahrungswelt sich für Schwierigkeiten entgegenstellen werden; die sind sekundärer Natur; sie wird es zu erklären gelten, wenn ich mit mir im Reinen bin. Ich kann aber nicht wie der Materjalist zugleich wissenschaftlicher Mensch sein und die Erscheinungswelt, die meinem Wissen schnurstraks[186] widerspricht, für baare Münze nehmen. Ich kann nicht Pöbel und Brahmane sein.

Quelle:
Oskar Panizza: Die kriminelle Psychose, genannt Psichopatia criminalis. München 1978, S. 185-187.
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