§ 22

[187] Mit der Einrichtung meines Denkens bin ich also im Reinen. Und auch hinsichtlich der Frage des Enstehens des illusorischen Produkts der Aussenwelt, des Reiches der Körper, des Gebiets des Ausgedehnten. Für mein Denken bleibt gar keine andere Wahl, als dieses Reich des Ausgedehnten in mich, in mein Denken, zu verlegen, und den illusorischen Akt des Ausser-mir-Seins auf Rechnung der eigentümlichen Fähigkeit meiner Sinne zu sezen: sobald sie sich rühren, sobald sie induzirt werden, Körperliches zu schaffen, Ausgedehntes mir – oder sich – zu illudiren, mir – oder sich – die Tarnkappe der Aussenweltprojekzion als Resultat dieser Sinnesarbeit aufzustülpen. Es bleibt mir gar nichts Anderes übrig; denn sonst bin ich mit meinem Denken verloren. –

Ich brauchte also gar nicht mich mit Fragen abzugeben, wie: woher es komme, dass ich in meinem Erfahrungsleben den Eindruk habe, meine Sinne reagirten auf ein von Aussen Gegebenes. Denn dieses Gegebene, die Aussenwelt, leugne ich ja, spreche ich mir, dem unverbesserlichen Halluzinanten, ab. Und der »Eindruk« dieses Gegebenen für meine Sinne ist für mich nur ein Hysteron-Proteron, eine fehlerhafte Umstellung, wo das Später-Gegebene – die Aussenwelt – irrtümlich zuerst genant wird. – Trozdem kann ich in die Erfahrungswelt hinabsteigen und mich auf eine Diskussion über dieses illusorische Geschehene einlassen – mit der für mein Denken gegebenen Reserve – und darüber sagen, was ich zu sagen weiss. Gewöhnlich wird die Frage so gestelt: Was bleibt von den Dingen der Aussenwelt übrig, wenn ich Alles abziehe, was auf Rechnung meiner Sinne komt? Denn ist es klar – das geben auch die Materjalisten zu – dass von einem Apfel z.B. der Geschmak, der Geruch, das Gegenständliche, das Taktile, also die Form, der Raum, den er einnimmt, kurz Alles,[187] was ich von ihm erfahrungsgemäss aussagen kann, auf Rechnung meiner Sinne komt, von ihnen geliefert ist, bis selbst auf den Laut »Apfel«, der ganz mein eigen ist, und zu dessen Kreïrung Ohren und nervus acusticus gehören. Was bleibt also vom Apfel, vom Ding der Aussenwelt übrig? – Meist antwortet man: Das »Ding an sich«. Der Apfel an sich. – Was ist aber das »Ding an sich«? – Niemand weiss es. Es ist nur eine Abstrakzion, ein Gedanke; soviel ist es ganz gewiss; denn was habe ich Tatsächlicheres, als mein Denken? und als Gedanke fiele es rettungslos in mein Inneres hinein; und Apfel und »Apfel an sich«, und die gesamte Aussenwelt schlukte ich so ohne Rest in mich hinein. Filosofisch also müsste ich das »Ding an sich« jeder Zeit anihiliren.

Aber als Erscheinung ist Alles gegeben, ich, der Apfel, sein Geschmak, seine Form, und der Raum, den er einnimt. In der Tat dürfte es gewagt sein, diese Dinge, wie Fichte und Berkley taten, ganz zu läugnen; d.h. sobald ich mich auf eine Diskussion des illudorischen Gebiets, der illudorischen Ereignisse, überhaupt einlasse. Aber das leztere will ich ja tun. Ich tue es, um mit meinen Freunden diskutiren zu können; um mich, selbst Erscheinung, in dieser Welt der Erscheinungen bewegen zu können. Es ist ein Kompromiss, den ich mit meinem Denken schliesse, und ohne den ich nicht auskomme. Ich frage meinen Nachbar, wieviel Uhr es ist, mit der Reservazion: Nehmen wir einmal an, die Uhr, der Nachbar und ich existirten als Erscheinung wirklich in der Aussenwelt. – Hier ist es in der Tat gefährlich, auf den Standpunkt des Läugnens sich stellen zu wollen. Hier ist es besser, mit den Wölfen zu heulen. Denn hier trift mich z.B. die fatale Frage an: woher es komme, dass z.B. ein Flötenspieler, dessen Spiel nach meinem Standpunkt des Denkens samt dem Spieler das Resultat meiner Sinnes-Projekzion ist, wenn ich fortgehe und ihn nicht mehr höre (ihn nicht mehr mit meinen Sinnen kreïre) noch immer da ist, und von Anderen gehört wird. – Freilich, was gehen mich die Andern an? In dem Moment, da ich da war, war er das Resultat meiner Sinne und ihrer illudorischen Fähigkeit. Wenn er jezt, wo ich fort[188] bin, von Anderen mit Hülfe ihrer Sinne kreïrt wird, was geht das mich an? – So müsste ich sprechen, wenn ich konsequent bin, und so, und so allein, spreche ich vom Standpunkt meines Denkens.

Aber was hindert mich, vom Standpunkt des Kompromisses, und um mich mit meinen Nebenmenschen zu verständigen, zu sagen: Der Flötenspieler mit seiner Erscheinung, seiner Siluette, seiner Flöte, den Silber-Klappen auf seinem Instrument, den Lichtreflexen auf diesen Klappen, seinen Tönen und der schmelzenden Wirkung seines Spiels, ist natürlich nur die Leistung meiner Sinne, meines Gemüts – soweit gehen auch die Materjalisten mit. – Aber der Flötenspieler kann ja nun denselben Gedankengang üben und sagen: Diese Zuhörer mit ihrer Toilette, ihrer pensiven Haltung, ihrem Applaus ist nur das Resultat meiner Sinne: denn was bleibt von dem ganzen Publikum übrig, wenn ich meine Sinne verschliesse oder dieselben nicht funkzionirten? – Hiebei trift der Flötenspieler mit solcher Kritik auch auf mich, den Filosofen. Und was wird das Resultat eines nun zwischen uns beginnenden Diskurses sein, wobei Jeder den Andern als das Resultat seiner, des Debattirenden, Sinne erklärt? Beide werden den Kompromiss schliessen müssen, dass Jeder für den Andern nur als »Erscheinung«, als Resultat der beiderseitigen Sinnes-Arbeit, Anerkennung finden kann; nur als Produkt ihres beiderseitigen illusorischen Denkens; dass sie also Beide sich, jeder dem Andern, ein Illusion sind. Aber Beide können ebenso gut zu der Annahme weiterschreiten, dass das kreatorische Prinzip der illusionistischen Tätigkeit des Andern – ebenso, wie bei sich – ein metafisisches, ein Transzendentes, der Dämon ist. Und damit ist ja das »Ding an sich« erklärt und konstruirt. Zwar nur auf dem Gebiete des Illusionismus, der Erfahrung. Aber hier allein tritt mir ja die Frage nach Erklärung des »Ding an sich« entgegen; die Frage was nach Abzug der Wirkung meiner Sinne in der Aussenwelt übrig bleibt. Von meinem Denken aus kenne ich kein »Ding an sich.« Denn von hier aus ist die gesamte Aussenwelt Illusion. Aber im Bereich der[189] Illusion mag ich immerhin meine auf dem Standpunkt des Denkens gewonnene Erkentnis verwerten, und nenne das »An sich« meines Gegenüber, was nach Abzug meiner Sinnestätigkeit an ihm übrig bleibt, – Dämon.

Quelle:
Oskar Panizza: Die kriminelle Psychose, genannt Psichopatia criminalis. München 1978, S. 187-190.
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