§ 23

[190] Das Resultat, das ich einem Mitlebenden gegenüber gewonnen habe – den ich auf sein Empfinden und Denken wenn auch nur im Bereich des illusorischen Gebiets prüfen konte – kann ich natürlich auf die gesamte mir gegenüber befindliche, und gegenüber tretende, Natur anwenden. Was mir in der Natur entgegentritt, nach abzug der Wirkung meiner Sinne, ist der Dämon. Eine Schnake umschwärmt mich, profitirt von meinem animalen Duft, oder eine Kröte klozt mich an, ein Tiger funkelt mir entgegen, ein Lama auf einer nie betretenen Insel betrachtet mich Nie – Gesehenen harm- und furchtlos – was sie in mir sehen, ist das Resultat ihrer Sinne, eine Täuschung, ein Spuk, dem sie unterliegen und hinter den sie nie kommen; sie wissen nicht, dass, was ich bin, sie in ihrem Kopfe, besser: in ihrem Denken, haben. Aber etwas, nach Abzug ihrer Sinnesleistung an mir Zurückbleibendes, Nicht-Spukhaftes, steht ihnen doch gegenüber, wenn auch nicht erkenbar – der in mir manifestirte Dämon. Und so geht es mir mit ihnen. Ihre Spukgestalt, die ich mit meinen Sinnen kreïre, und den Wald mit den Bäumen, und die Bäche, und die dröhnenden Felsen, und das Firmament mit seinem Gewimmel, was alles ich mir vormache und bildhaft zurechtlege, – das Alles stekt in mir, und ist mein persönliches Spielzeug, mein Spuk, ist mein Stuss, wie jeder Irrenhäusler seinen Stuss hat, nur, dass ich den meinen mit Hunderttausenden teile und darauf eine Welt- und Staats-Ordnung gründe; – aber etwas stekt doch drin, mir zwar nicht direkt Erkennbares, aber auf Grund meiner Orientirung auf illusionistischem Gebiet zweifellos Vorhandenes; und das ist das, was nach Abzug meiner Sinne dort drüben übrig bleibt, der Geist, das Kreatorische in der Natur, der Dämon. Ich ahne also,[190] ich bin nicht allein. Mag der Dämon ein Einfaches oder Vielfaches sein. Er ist da. Er tritt mir gegenüber. Wohl nur in Maske. Wir sind wie Blindgeborene, deren hereditär überkommene Gesichtsvorstellungen sie ahnen lässt, dass etwas mehr da ist, als was sie greifen und hören. Aber solange das Auge nicht operativ geöffnet wird, bleibt ihnen die geahnte Welt, das was hinter ihren Tast- und Gehörs-Empfindungen noch da ist, nämlich die räumliche Projekzion, verschlossen. – In der Erscheinungswelt trift sich also der Dämon von zwei Seiten, maskirt, wie auf einem Maskenball. In zwei einander gegenüberstehenden Menschen, die sich messen, spielt also der Dämon mit seinem »alter ego«; beide in Maske. Und ich, der sinliche Erfahrungsmensch, bin nur gut zum Maskenspiel. Wir sind nur Marjonetten, gezogen an fremden uns unbekanten Schnüren. Unser Glük: die Illusion, wir bewegten uns selbst. Wenigstens für den vulgären Menschen. Der Denker weiss genau, wie er dran ist. Deshalb ist er unglücklich, verbittert, resignirt. Warum wolte er den Schleier der Maya lüften?! Das brutalste Glük und die schmählichste Täuschung, die uns begegnet: die erotische Beziehung zwischen Mann und Weib, wo wir meinen zu empfinden, zu handeln, und nur die Arbeit eines Höheren verrichten, dem an Multiplizirung und Proliferirung sinlicher, illusion-erzeugender Aparate liegt.

Nur der Tod macht dem Spuk ein Ende. Für mich ein Ende. Denn Alles spricht dafür, dass ich, mein Denken, nichts weiss, dass mein Leichnam – ein illusionistisches Produkt – stinkend dort liegt, ein Schauspiel der Andern. Der Dämon zieht sich zurük. Die kreatorische Tätigkeit stelt er ein. Und die Hülse, die Maske, verfault zusehends im illusorischen Genuss – der Andern, Ueberlebenden. Dass kein Rest, kein Denk-Rest, soweit Menschen-Erfahrung reicht, von mir übrig bleibt, muss uns, so eifrig nach »Erhaltung der Kraft« Spürende, doch aufmerksam machen, dass hier etwas zum Teufel geht, wie man vulgär sagt, – wohin? Etwas, das Denken, wohin? – Und die Maske verfault vor unseren Augen. Sie mischt sich in die Masse der übrigen illusorischen Produkte. Sie geht ohne Rest auf.[191]

Für unsere illusorische Anschauung. Wir rechnen sie in Stikstoff und Kohlensäure um. Und die Rechnung stimt. Innerhalb der Erscheinungswelt giebt es kein Manko. Aber das Denken, wo geht das, Verfechter des Prinzips der Erhaltung der Kraft, hin?

Der Materjalist bleibt hier die Antwort schuldig. Der Spiritualist der von seinem Denken ausgeht, als der lezten, ihm greifbaren, zugänglichen Instanz, kann nicht mehr sagen, als jener Anatom, der sterbend den Aortenpuls überwachte: sie schlägt nicht mehr.[192]

Quelle:
Oskar Panizza: Die kriminelle Psychose, genannt Psichopatia criminalis. München 1978, S. 190-193.
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