§ 31

[197] Eines der schlagendsten Beispiele von der Zerstörung der Illusion durch Entlastung nach Aussen bildet die sexuelle Kohabitazion. Vor dem »Aktus« die Illusion der Verzükung in einen Gegenstand, der nach dem »Aktus«, wenigstens in der Richtung, kalt und langweilig erscheint. – Vor dem »Aktus« die Illusion, der begehrte Gegenstand bilde den Gegenstand der Verzükung, während sich bald ergibt, dass es der eigene Körper, das eigene Ich, war. Die eigene Illusion des Entzückens ist davon. »Omne animal post coitum triste.« – Während des libidinösen Aktes die Empfindung des ohnmächtigen Sich-Auflösens in den begehrten Gegenstand, was in dem Moment, in dem das Gehirn die Täuschung verzehrt hat, und die Entlastung erfolgt ist, sich als Wahn ergibt, denn zwei gleich im Begehren, für sich egoistische, stumpfsinnige Leiber bleiben als Resultat zurück.


»Mit dem Gürtel, mit dem Schleier

Reisst der schöne Wahn entzwei.«


Die Welt, die ihre Geschichte immer von Illusion zu Illusion schreibt – »Als noch das Lämpchen glüht« – statt wie der Denker von Desillusion zu Desillusion, sammelt nur die ihr günstig scheinenden Momente, wenn sie den Kopf voll hat, – aber entscheidend ist nur der Moment der Abstossung, der Entlastung, der Explosion; denn nur dies reinigt den Kopf und schaft Plaz für Nachfolgendes. Die reichste Geschichte hat derjenige, der die meisten Illusionen aus sich herausschleudert.

Quelle:
Oskar Panizza: Die kriminelle Psychose, genannt Psichopatia criminalis. München 1978, S. 197.
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