|
[92] Wie meiner Seele Harm
Vermittelnd zu besiegen?
O laß' in deinem Arm
Vergessensfroh mich liegen.
O laß', wenn neu erwacht
Ein schmerzliches Gedenken,
In deines Auges Nacht
Die Seele mich versenken.
Und will in seiner Pein
Mein Herz erschöpft verbluten,
Dann hauch' ihm Leben ein,
Mit deines Kusses Gluthen.
[93]
Doch keinen, keinen Schwur!
Meinst du, daß ich ihm traute?
Er mahnte mich doch nur
An hingeschwund'ne Laute.
An Laute, die vom Strand
Mich lockten auf die Wellen,
Bis ich am Klippenrand
Mein Fahrzeug sah zerschellen.
Die wild empörte Fluth
Kannst du zur Ruh' nicht sprechen;
Ich weiß zu gut, zu gut,
Wie leicht ein Schwur zu brechen.
Was glühend du verneinst,
Schon keimt's in dunkeln Saaten;
Ich weiß, du wirst mich einst
Verlassen und verrathen.
Das weiß ich, ach! und kann
Ihn nimmermehr doch heben
Den mächt'gen Zauberbann,
Der mich dir hingegeben. –
[94]
Ein Wüstenwand'rer trifft
Im Sand auf eine Quelle;
Und böthe sie ihm Gift,
Er tränk' die gift'ge Welle.
Denn leichter ist zumahl
Ein rasch hinlodernd Sterben,
Als in des Durstes Qual
Vorkommend zu verderben.
So bin in dunkler Stund'
Ich an dein Herz gesunken,
Und hab' von deinem Mund'
Den Untergang getrunken.
In unermess'ner Noth
Bist du mir so begegnet,
Und giebst du mir den Tod,
Sei dennoch mir gesegnet!
Das Glück der Welt erblaßt
Von dem, das mir erglommen –
Jetzt harr' ich, stumm gefaßt
Der Schmerzen, die da kommen! –
Buchempfehlung
Schnitzlers erster Roman galt seinen Zeitgenossen als skandalöse Indiskretion über das Wiener Gesellschaftsleben. Die Geschichte des Baron Georg von Wergenthin und der aus kleinbürgerlichem Milieu stammenden Anna Rosner zeichnet ein differenziertes, beziehungsreich gespiegeltes Bild der Belle Époque. Der Weg ins Freie ist einerseits Georgs zielloser Wunsch nach Freiheit von Verantwortung gegenüber Anna und andererseits die Frage des gesellschaftlichen Aufbruchs in das 20. Jahrhundert.
286 Seiten, 12.80 Euro
Buchempfehlung
1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.
396 Seiten, 19.80 Euro