XVIII.

[70] Je seltsamer gestaltet

Ein Wesen fremden Zonen wohnet inne,

Vor unbefangnem Sinne

Gleicht's mir; so weit ach! hab' ich mich verloren! –

Dort an des Morgens Thoren

Ein Vogel fleugt, der, ferne von Genossen,

Aus Tode, frey beschlossen,

Zum Leben neugeboren sich entfaltet.

So abgeschieden waltet,

Wie er, mein Will', und hebt sich von der Zinne

Erhabener Gedanken auf zur Sonnen,

Daß er, in Staub zerronnen,

Das alte Seyn, dem Phönix gleich, gewinne;

Er brennt und stirbt, regt munter sein Gefieder,

Bis er dann wieder jenem gleich veraltet.


Ein Fels soll sich erheben

In Indiens Meer, der von Gelüst entzündet,

Das Eisen oft entwindet

Den Schiffen, daß zertheilt sie untergehen.

So ist auch mir geschehen

Auf bittrer Thränen Fluth; mit stolzem Zwange

Zu sicherm Untergange

Hat ach! ein schöner Fels geführt mein Leben.

Ihm ward zum Raub gegeben

Mein Herz, das mich, sonst fest und stark begründet,

Beysammenhielt, und nun durch ihn entfliehet,

Der Fleisch mehr an sich ziehet[70]

Als Stahl. O herbes Schicksal, unergründet!

Daß ich bereits in Fleischeshülle sehe

So süßem Wehe mich dahingegeben!


In Westens fernsten Auen

Da soll ein zahmes Wild und sanftes weiden

Wie keines sonst; doch Leiden

Und Schmach und Tod ihm in den Augen wohnen

Nur den mag es verschonen,

Der seinen Blick, vom Auge abgewendet,

Mit Vorsicht nach ihm sendet:

Das Andere doch kann man fahrlos schauen.

Ich Armer voll Vertrauen

Renn' in mein Weh', obwohl ich weiß von beyden,

Von dem, was ist und seyn wird; aber gierig

Und blind und taub nun spür' ich,

Daß, weil ich nicht den heil'gen Blick kann meiden,

Mir Untergang und Tod von ihm muß kommen,

Vom Wild, dem frommen, Engeln gleich zu schauen.


An wunderbarer Stelle,

Fern an des Mittags Gränzen, quillt ein Bronnen,

Sein Nahm' ist: Quell der Sonnen.

Zur Nachtzeit siedend ist er kalt bey Tage,

Und – also geht die Sage –

Wird, wie die Sonne steigt, gemach zu Eise.

Das ist auch meine Weise,

Der ich der Thränen Sammelort und Quelle.

Entflieht des Lichtes Helle,

So meine Sonne ist, dann weint umsponnen

Der Blick des Glühenden von nächt'gem Dunkel;

Doch kann ich im Gefunkel

Und Golde des lebend'gen Lichts mich sonnen,[71]

Fühl' Alles ich von außen und von innen

Zu Eis gerinnen, gleich der Wunderwelle.


Auch an Epirus Strande

Vergleicht ein kalter Quell sich meinem Herzen,

Der die erloschnen Kerzen

Entflammt, und auslöscht, die er brennend findet.

So ich, der nie entzündet

Zuvor mich fühlte von der Liebe Walten,

Mich nahend jener Kalten,

Nach der ich seufzend immerdar mich wandte,

Stand gleich in vollem Brande.

Nicht Sonne je und Stern sah solche Schmerzen,

Der Jammer hätt' ein Herz von Stein erbarmet;

Doch kaum daß ich erwarmet,

Beschwor Vernunft die heiße Flamm' im Herzen.

So geh von Gluth ich stets zu Kälte über, –

Ich fühl's, und drüber zürn' ich meinem Stande.


In fernem Meere baute

Natur Fortunens Inselreich; da fließen

Zwey Quellen. Lachend grüßen

Den Tod die, so die eine tränkt; daneben

Quillt aus der andern Leben.

So mein Geschick; denn lachend könnt' ich scheiden

Im Uebermaß der Freuden,

Mäßigten sie nicht bittre Wehelaute.

O Liebe du, Vertraute,

Die mich zu dunkelm Ruhme hingewiesen,

Kein Wort von jenem Quell, dem ewig vollen,

Dem reich're Adern rollen,

Tritt in den Stier die Sonne. So ergießen[72]

Sich meine Thränen und entquellen stärker

Zur Zeit dem Kerker, wo ich Laura schaute.


Fragt wer, was ich beginne,

Canzone, sprich, dort weilt er unterm Steine

Verschloss'nen Thals, dem sich die Sorge entwindet,

Wo Amor nur ihn findet,

Der keinen Augenblick ihn läßt alleine,

Und Jener Bild, die ihn mit Weh umnachtet,

Daß er verachtet jede andre Minne.

Quelle:
Petrarca, Francesco: Italienische Gedichte. Band 1, Wien 1827, S. 70-73.
Lizenz:
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