V.

[30] Zur Zeit, wann schnell der Himmel niedergleitet

Gen Westen, und der Tag zu Menschen fliehet,

Die dort vielleicht erwarten seine Helle, –

Wenn da in fernem Land' allein sich siehet

Ein altes pilgernd Mütterchen, so schreitet

Behend sie vorwärts mit zwiefacher Schnelle,

Und dann gelangt zur Stelle,

An ihrer Tagfahrt Ende,

Wird ihr des Trostes Spende[30]

In kurzer Ruhe, wo so Fahr als Mühen

Des langen Wegs ihr aus dem Sinn entfliehen.

Mir aber, weh! – Des Tages herbe Qualen,

Sie wachsen nur, entziehen

Sich mir des ew'gen Lichtes goldne Strahlen.


Wann niederwärts der Sonne Räder kreisen

Die flammenden, um Platz der Nacht zu schaffen,

Und größre Schatten von den Bergen wallen,

Erhebt der karge Pflüger seine Waffen,

Im Zwiegespräch, bey ländlich rauhen Weisen

Fühlt jede Last er von dem Herzen fallen,

Und dünkt sich reich vor Allen

Bey karggefüllter Schale,

Gleich jenem Eichelmahle,

Das keiner mag und alle hoch erheben.

Es freue sich, wem Freude ward gegeben!

Nur kann ich keine frohe Stund' ersiegen,

Ja keine still durchleben,

Nicht durch des Himmels noch der Sterne Fügen.


Der Hirt auch, wann sie sinkt, die Strahlenhelle

Des großen Sterns zu ihrem Ruhebette

Und fern in Ost der Dämm'rung Schleyer hängen,

Macht er sich mit dem Stab' auf von der Stätte,

Indem er Gras und Buchen läßt und Quellen,

Treibt seine Heerd' er aus des Thales Engen.

Fern von der Menschen Drängen

In Hüttchen oder Klüften,

In grünen Laubes Düften

Dehnt er sich dann und schlummert ohne Thränen. –

Du, böser Amor, lehrst mich andres Sehnen,

Dem Wilde nachzuspähn, das mich vernichtet,[31]

Dem Tritt, der Spur, den Tönen,

Und bindest's nicht, wann es sich birgt und flüchtet.


Piloten auch, die sichre Bucht begrüßten,

Ausstrecken sie am Abend ihre Glieder,

Auf rauhen Matten süßen Schlaf zu finden;

Mir aber, ach! – wohl taucht sie tiefer nieder

In's Meer, bis hinter ihr Hispania's Küsten,

Marokko, Granada, die Säulen schwinden:

Die Menschen all' verwinden,

Das Thier so als die Erde,

Wohl jegliche Beschwerde; –

Mir aber ward ein dauernd Leid bescheeret,

Das – weinend seh' ich's – jeder Tag vermehret,

Seit wachsend mich wohl bald im zehnten Jahre

Der Sehnsucht Gram verzehret,

Und ich nicht weiß, wer mich davor bewahre.


Und – weil durch Red' Erleicht'rung mir gekommen –

Ich seh' die led'gen Stier' am Abend kehren

Vom Felde heim und umgepflügten Lehnen;

Warum kann ich des Leids mich nicht erwehren?

Warum wird mir das Joch nicht abgenommen?

Warum schwimmt Tag und Nacht mein Aug' in Thränen?

Was mocht' ich Armer wähnen,

Als ich zuerst so nahe

In's schöne Antlitz sahe,

Um es im Geiste theilweis zu gestalten,

Aus dem es nicht durch List noch durch Gewalten

Gerissen wird, bis Er, der alles störet,[32]

Zur Beute mich erhalten.

Und weiß ich, was alsdann mir widerfähret?


Canzone, hat mein Wesen

Der Tag, da du verweilet

Bey mir, dir mitgetheilet,

Wirst du dich nicht an jedem Orte zeigen,

Noch lüstern dich nach fremdem Lobe neigen;

Genug, singst du von Berg zu Bergesspitze,

Wie mich des lebensreichen

Gesteines Gluth verzehrt, so meine Stütze.

Quelle:
Petrarca, Francesco: Italienische Gedichte. Band 1, Wien 1827, S. 30-33.
Lizenz:
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