IV.

[26] Es hält sich ach! mein jammervolles Leben

An also schwachen Faden,

Daß, hilft mir nicht in Gnaden

Ein Andrer, bald es seinen Lauf vollendet.

Denn seit ich mich mit schwerer Schuld beladen,

Von ihr hinwegbegeben,

Ihr, meinem süßen Leben,

Hat eine Hoffnung nur mir Trost gespendet,

Sprechend: »Dir ward entwendet[26]

Der Schein geliebter Wangen;

Doch, Armer, laß dein Bangen!

Was weißt du, ob nicht einst sich beßre Zeiten

Und schön're dir bereiten,

Ob dann nicht wiederkehrt, was jetzt vergangen?« –

Die Hoffnung hat mich kurze Zeit erhalten;

Jetzt nimmt sie ab und will mit mir veralten.


Es geht die Zeit dahin, und nach wie ehe

Fliehen so schnell die Stunden,

Daß ich nicht Zeit gefunden,

Nur zu bedenken, wie zum Tod' ich eile.

Kaum hat in Osten sich ein Strahl entzunden,

Als ich gelangt ihn sehe

Zur gegenseit'gen Höhe

Auf langen Pfades vielgekrümmter Zeile.

Kurz ist des Lebens Weile,

Und also schnell erkaltet

Des Erdners Leib und altet,

Daß, seh' ich, wie von ihres Auges Frieden

Ich also weit geschieden,

Und wie sich matt der Sehnsucht Schwing' entfaltet,

Ich des gewohnten Trostes viel entbehre,

Unwissend, ob noch lang dies Leben währe.


Wo mir nicht leuchtet ihres Auges Minne,

Muß ich in Schmerz erkranken;

Zu freundlichen Gedanken

War es durch Gott der Schlüssel mir. Drum stehen

Zu härt'rer Pein mir der Verbannung Schranken.

Und was ich auch beginne,

Nichts Anderes ich sinne;[27]

Und nichts gefällt, was ich nach ihm gesehen.

Wohl hinter Meer und Seen

Und dunkler Berge Schwärze

Verschwand des Auges Kerze,

Wie heitre Mittagsbläue mir zu schauen

In meiner Nächte Grauen,

Daß um so mehr mich die Erinn'rung schmerze.

Wie da mein Leben war so voll der Freuden,

Lehrt mich das gegenwärt'ge bange Leiden.


Weh! wenn sich jenes glühende Verlangen

Durch Reden neu entbindet,

So damahls sich entzündet,

Als ich dahinten ließ das beste Meine;

Und wenn durch lang Vergessen Liebe schwindet, –

Was konnte mich bethören,

Klagend mein Leid zu mehren?

Warum verstumm' ich nicht zu todtem Steine?

Wohl zeigt Krystalles Reine

Und Glas von außen nimmer

Verborgner Farbe Flimmer,

Wie hell und wahr der zagen Seele Qualen

Im Auge mir erstrahlen,

Und hoher, herzensinn'ger Liebe Schimmer,

Im Auge, das, begierig stets nach Thränen,

Befriedigung nur suchet seinem Sehnen.


Wohl manchem – seltsam! – mag es Lust gewähren,

Wie häufig sich erwiesen,

Das sorgsam zu erkiesen,

Was Seufzer sammelt in gedrängtem Schwarme.

So freut's auch mich, wenn meine Thränen fließen[28]

Und drängt mich, zu begehren,

Daß schwanger sey von Zähren

Mein Auge stets, so wie mein Herz von Harme

Und weil ich leicht erwarme,

So ich der Augen Helle

Gedenk', und nichts so schnelle

Mich rühret und ergreift in meinem Wesen,

So kann ich nur genesen,

Wo reichlicher mir strömt des Leidens Quelle.

Drum ist so Aug' als Herzen Weh bereitet,

Weil auf der Liebe Pfad sie mich geleitet.


Die goldnen Flechten, die mit lichtem Prangen

Der Sonne Neid erregen;

Des Blickes milder Segen,

In dem so warm der Liebe Strahlen glühen,

Die vor der Zeit zu sterben mich bewegen;

Die Wort' in Geist empfangen,

Wie nirgend sie erklangen,

Die mir sich einst so liebevoll geliehen, –

Sie sind dahin! Verziehen

Wär' jedes andre Wehe,

So lang' ich treu mir sähe

Des Engelgrußes Mild' und unbenommen,

Mit dem mir stets gekommen

Ein heißes Sehnen nach der Tugend Höhe,

So daß ich nimmer was zu hören denke,

Was Andres mir in's Herz als Jammer senke.


Und daß ich klagend mehr der Lust enthülle –

Die Hände zart gestaltet,

Der Arme Zier entfaltet,

Ihr Wesen voll von holdem Selbstvertrauen,[29]

Den Zorn, in dem so Stolz als Demuth waltet,

Des Busens Jugendfülle,

Erhab'ner Einsicht Hülle,

Verbergen diese Alpen mir, die rauhen.

Wer weiß, werd' ich sie schauen,

Bevor zur Grub' ich fahre.

Zwar wuchs seit manchem Jahre

Die Hoffnung; doch zu schwach, um fest zu stehen

Zeigt sie im Untergehen,

Daß, die der Himmel ehrt, ich nie gewahre,

Wo Ehrbarkeit so wohnt, als holde Sitte,

Und wo von Gott ich Wohnung mir erbitte.


Canzone, siehst Madonna

Du an dem Ort, dem süßen,

Meynst du vielleicht, zum Grüßen

Biethe sie dir die schöne Hand in Eile,

Von der so fern ich weile.

Doch nimm sie nicht; demüthig ihr zu Füßen

Sag', daß mit nächstem ich bey ihr erscheine,

Sey es ein Geist, sey's Mensch von Fleisch und Beine.

Quelle:
Petrarca, Francesco: Italienische Gedichte. Band 1, Wien 1827, S. 26-30.
Lizenz:
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