Die Zuckermandel

[67] Am frölichen Saturnusfest,

Da die Moral an Evans Arme

Sich von der Scherze holdem Schwarme

Zu Wein und Mädchen führen läßt,

Gieng durch Athens belebte Gassen

Ein muntrer Kopf, der ohne Bart

Noch Buch zum Philosophen ward,

Und eben einen Schmaus verlassen.

Nun dieser war vom rechten Schrot:

Ein Demokrit lehrt auch im Lachen:

Der Schulfuchs, der nur seufzt und droht,

Wird wenig Proselyten machen.

Mein Weiser schwang, indem er gieng,

Mit seiner Rechten eine Weide,

Woran ein Band von bunter Seide

Mit einer Zuckermandel hieng.

Ein ganzer Schwarm verschmitzter Knaben –

Auch Mädchen waren mit dabey –

Folgt ihm mit jauchzendem Geschrey;

Ein jeder will die Mandel haben.

Ihr Kinder, rief der seltne Mann

Zu seinem hüpfenden Geleite,[68]

Nur der bekömmt die süße Beute,

Der mit dem Mund sie fangen kann.

Nun geht der rechte Spuck erst an.

Sie schließen zehn gedrängte Kreise

Und schnappen nach dem flüchtgen Preise,

Den alle vor der Schnauze sahn,

Wie Tantalus nach seinen Aepfeln

Und ich nach einem Reim auf Aepfeln;

Allein umsonst: weg war der Schatz.

Ein jeder lauscht: jetzt kömmt er wieder,

Und, wie auf einem Boßelplatz

Der Kegel allzudichte Glieder,

Stürzt flugs die halbe Gruppe nieder.

Hier flog ein Kranz, dort riß ein Latz,

So geht es, wenn man gerne naschet.

Der Weise lacht; die Gerte sinkt;

Er merkt es nicht; Fortuna winkt,

Und kurz, die Mandel wird erhaschet.

Hilf Himmel, wie die Kinder schreyn!

Sie klopfen tanzend in die Hände.

Doch nun hat auch der Spaß ein Ende;

Auf einmal stand mein Mann allein;

Es war als ob der Trupp verschwände.

Die kleine braune Delia,

Die niedlichste von allen Zofen,[69]

Die das Turnier am Fenster sah,

Verspottet unsern Philosophen.

O, rief er drohend, nicht gelacht,

Mein Täubchen! nimm dich wohl in acht!

So fliehn der Lecker bunte Schaaren,

Wenn sie der Unschuld Sieger sind.

Ihr Mädchen, Amor ist ein Kind;

Laßt ihm die Mandel ja nicht fahren!

Quelle:
Gottlieb Konrad Pfeffel: Poetische Versuche, Erster bis Dritter Theil, Band 1, Tübingen 1802, S. 67-70.
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