Emma und Eginhard

[56] An Betty.


Geh, Betty, schließ die Halle zu

Und gieb die Harfe mir;

Von einem Fräulein, schön wie Du

Sing ich ein Liedchen Dir.


Der große Carl, ein deutscher Held,

Des Fräuleins Vater war;

Die Sachsen schlug er aus dem Feld

Und manche Maurenschaar.


Doch Emma war so furchtbar nicht,

Mild, heiter, minnereich;

Ein Rosenbeet war ihr Gesicht,

Ihr Aug dem Himmel gleich.


Die schlaue Mutter hielt sie hart;

Kein Ritter kam ihr nah,

Bis auf den Junker Eginhard,

Den Schreiber des Papa.


Ein hübscher Mann aus altem Stamm,

Pechschwarz von Aug und Haar,[57]

Flink wie ein Hirsch, sanft wie ein Lamm,

Und keck wie Roland war.


Den ganzen Winter gab er ihr

Im Schreiben Unterricht;

Allein sie sah nicht aufs Papier,

Nur stets ihm ins Gesicht.


Ein weiches Herz führt Mädchen weit

Im siebenzehnten Jahr.

Herr Eginhard in kurzer Zeit

Der Hahn im Korbe war.


Einst hatte Carl das Zipperlein

Und zog mit seinem Weib,

Der schönen Hildegard, allein

Im Schach zum Zeitvertreib.


Im Vorsaal bebt des Schreibers Knie

Vor Nachtfrost. Immer wach

Führt Satan ihn, man weiß nicht wie

In Emmas Schlafgemach.


Lag sie zu Bett? Die Chronika

Sagt nichts davon. Genug,

Der arme Junker wärmt sich da,

Bis Glocke zwölfe schlug.
[58]

Die Mette schallt. Mit einem Kuß

Entwich er. Doch, o weh!

Im Hof, durch den er waten muß,

Lag nun ein tiefer Schnee.


Was seh ich, schrie er, großer Gott!

Läßt sich mein Fußtritt sehn,

So sterb ich heut auf dem Schaffot,

Du mußt ins Kloster gehn.


Stumm, wie die Schmerzensmutter, lief

Das Fräulein durchs Gemach;

Auf einmal stand sie still und rief:

Nur mir, Geliebter, nach.


Auf ihren Schultern trägt sie ihn,

Beym klaren Mondenschein,

Durch den beschneyten Schloßhof hin,

Bis in sein Kämmerlein.


Doch ach, ihr Heilgen alle, steht

Dem armen Paare bey!

Carl sieht aus seinem Kabinet

Die seltne Reuterey.


Voll Wuth griff er nach seinem Schwerdt,

Schoß wie ein Pfeil heran:[59]

Sterbt beyde, rief er – Nein, bekehrt

Euch erst! – Holla, Caplan!


Der Priester hörts; mit schwerem Kopf,

Das Chorhemd in die Queer,

Mit ofnem Wams und Hosenknopf

Flog er bestürzt daher.


Er sah – Nur Hogarth malt das Bild –

Das Fräulein auf den Knien,

Carl mit dem Schwerdt, der Knapp als Schild

Gelehnet auf sie hin.


Was soll ich? lallt Probst Engelbert

Mit einer Hand im Haar.

Ey nun, ruft Carl und senkt sein Schwerdt,

Vermähle dieses Paar.

Quelle:
Gottlieb Konrad Pfeffel: Poetische Versuche, Erster bis Dritter Theil, Band 1, Tübingen 1802, S. 56-60.
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